Bernd- Andreas Ulke

CUBANO PANKOW


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für etwas gut. Die Plakate tauchten im Übrigen zuerst in dieser Gegend auf.“

      Der Hauptmann erkennt, dass ganz oben in der letzten Wohnung unterm Dach, von greisen Händen die Gardine zur Seite genommen wird.

      „Fahr mal weiter.“

      Maik fährt los und blickt noch schnell auf den Platz neben dem Haus. Dort gibt es eine kleine Grünanlage, eine Litfasssäule, eine Bank und eine Telefonzelle. Irgendwie fühlt sich Maik an eine Filmkulisse erinnert.

      „Das ist noch nicht alles.“, setzt der Hauptmann fort. „Seit dem Sommer wohnen im Souterrain des Hauses Kubaner drin. Ein farbiges Mädchen und ihre weiße Mutter. …Weiß sag ich, ganz bleich ist sie.“

      „Richtig unheimlich. Vielleicht zelebrieren die da unten irgendwelche exotischen Bräuche, kochen Wurzeln, tanzen sich in Rage. Voodoo!“, sagt Maik fasziniert.

      „Das sind die Kubaner im Souterrain.“, ergänzt der Hauptmann ganz hochtrabend.

      Maik sieht seinen Vorgesetzten an.

      „Glauben Sie, dass an den Spukgeschichten nicht doch was dran sein könnte? Vielleicht liegt das gar nicht am Laden. Vielleicht ist es wirklich das Haus, so wie sie es sagen. Es übt eine Art Magie aus. Auf die Leute. Auf die Gegend. … Sonderbare Ereignisse.“

      „Ich habe von Instinkt geredet, junger Genosse, um nicht zu sagen vom kriminalistischen Instinkt. Nicht von Magie.“

      Der Hauptmann überlegt. Dann schreit er plötzlich auf.

      „Pass doch auf!“

      Ein mit einer Familie voll besetzter Trabant kommt von rechts aus einer kleinen Straße angefahren. Maik reißt im letzten Moment auf dem schlüpfrigen Kopfsteinpflaster das Lenkrad rum. Der Streifenwagen kommt ins schlingern, dreht sich auf der kleinen Kreuzung und prallt schließlich gegen den Bordstein, bleibt entgegen der Fahrtrichtung stehen.

      Der Motor hat versagt. Maik würgt den Zündschlüssel, doch der Motor stottert nur.

      „Genosse Mischalski.“

      An diesem ruhigen, eingeschneiten Samstagvormittag bildet sich plötzlich eine Menschentraube um den grüngrauen Streifenwagen. Die Familie aus dem Trabant, eine ältere Frau mit prall gefüllten Einkaufsbeuteln, ein Betrunkener, der gerade vom Frühschoppen gekommen ist, weitere Schaulustige. Wie aus dem nichts tauchen sie auf. Ein regelrechter Querschnitt der Bevölkerung versammelt sich da neugierig um das Fahrzeug, dessen Scheiben schon ganz beschlagen sind.

      In dessen Innern herrscht hektisches Treiben. Maik ist ganz warm in seinem dicken Uniformmantel. Er gibt alles, aber der Motor stottert und stottert nur.

      „Genosse Mischalski.“, ruft der Vorgesetzte fordernd. „Genosse Mischalski!“

      „Maik! Mein Name ist Maik. Und dieser gottverdammte Wagen …springt einfach nicht an!“

      „Mischalski… rüberrutschen!“

      „Jawohl!“

      Der Hauptmann steigt aus und blickt mit seiner aufgedunsenen Visage, die überwiegend aus einer dicken Hornbrille und ebenso dicken Koteletten besteht, in die vielen neugierige Gesichter. Er schreitet aufrecht, die Leute etwas abfällig musternd, um das Fahrzeug zur Fahrertür, wobei ihm eifrig Platz gemacht wird, rutscht auf der spiegelglatten Straße aus, kann sich gerade noch am Türgriff festhalten. Steigt ein, schiebt sich rasch auf den Fahrersitz, schmeißt die Tür hinter sich zu, würgt den Zündschlüssel. Wieder und immer wieder.

      „Ja das ist unsere Volkspolizei… die Pioniere in der Not!“, ruft der Betrunkene leicht lallend aber voller Überzeugung.

      Die alte Frau mit den Stoffbeuteln meldet sich aus den hinteren Reihen:

      „Vielleicht hilft anschieben.“

      Dann heult der Motor schließlich auf. Der Hauptmann gibt ordentlich Gas im Leerlauf.

      Vor der Windschutzscheibe überquert eine imposante Erscheinung die Straße. Ein sehr hübsches, aber, wie Maik findet, auch sonderbares, geheimnisvolles Mädchen, das ungefähr so alt ist wie er selbst. Es wirft Maik mit seinen grünen Augen noch einen aufmerksamen Blick zu. Dann verschwindet es aus dem Blickfeld des Polizisten mit den Sommersprossen, so plötzlich wie es vor ihm aufgestaucht war. Der Wagen braust los, Maik ist noch immer ganz verzückt.

      Als sie in eine andere Straße abbiegen, sieht er das Mädchen wieder, gerade noch bevor es in einen Hauseingang verschwindet.

      „Du musst noch viel lernen, Genosse Mischalski, du musst noch viel, lernen.“, tadelt der Hauptmann.

      Der grüngraue Lada entfernt sich immer weiter vom Ort der ominösen Ereignisse.

      Die Sonne ist den blauen Himmel schon ein ganzes Stück weiter hinaufgestiegen.

      An der Dachkante des Hauses mit dem Kartoffelladen glitzern die Eiszapfen nur so vor der düsteren Fassade.

      Hinter zugezogenen Gardinen, dort oben, direkt unter dem alten Ziegeldach, endet die Nacht erst jetzt und mit größter Zuversicht.

      Das Schicksal wird bald eine gravierende Wendung nehmen.

      Letzte Reste von Make-up verschwinden auf einem Taschentuch im Papierkorb, während draußen am Fenster ein schwerer Tropfen von der Rinne einen langen Weg zu Boden fällt, auf das Tretoir direkt vor dem Souterrain.

      Das kubanische Mädchen räkelt sich wunderschön aus dem Bett, erblickt die frische Schneeschicht, juchzt fröhlich und schlüpft mitsamt Pyjama in ihren Anorak.

      Maik Michalski schreibt derweil, von all dem nichts ahnend, eine Auflistung über entwendete Tabakwaren in sein Notizbuch.

      In einen Zeitungskiosk hat es einen Einbruch gegeben.

      Begegnungen.

      Vor dem ersten Unterricht hat sich praktisch die halbe Schule vor dem Portal versammelt. Ein Ritual. Es wird heimlich geraucht, es werden Heiterkeiten ausgetauscht, man berichtet. So manches auch hinter vorgehaltener Hand. Vielerorts in Pankow hat es wieder bunte Plakate gegeben. Sogar in der Schule wurde eins gesichtet. Der Direktor wird kommen und durch die Klassen gehen, die Sache ist kein Kinderstreich mehr, heißt es hochoffiziell.

      Eigentlich aber sind diese Plakatierer wirklich unverschämte Helden, da ist man sich irgendwie einig. Zumindest in den Reihen, in denen heimlich geraucht wird.

      Eduard Brink lauscht den Worten sehr aufmerksam und steht inmitten einer Ansammlung von Schülern der Oberstufe wie ein stiller Beobachter. Dabei hat man sich wieder mal nach und nach um ihn herum geschart. Er muss nicht mal einen Spruch zum Besten geben, um das Interesse auf sich zu ziehen. Offenbar ist es für viele eine Genugtuung, einfach in seiner Nähe zu stehen, von den bemalten grünen Augen erfasst zu werden oder ihn einfach dabei zu beobachten, wenn er genüsslich an seiner Zigarette zieht. Ob es der Junge Eduard nun darauf anlegt oder nicht.

      Immer, wenn jedoch die junge Kubanerin vor der Schule eintrifft, wie jetzt in das gleißende Neonlicht des Portals eintaucht, ihre Mütze abnimmt, ihre tolle Mähne dabei zum Vorschein kommt und die großen goldenen Ohrringe, schweifen die Blicke etlicher Schüler kurz zu ihr herüber. Es ist wie eine kleine Aufführung, eine Showeinlage. Nur die Darstellerin selbst ist sich dieser Rolle nicht im Geringsten bewusst.

      Eduard pustet Rauch aus und grinst zufrieden. Schon vor langer Zeit hat er begriffen, dass es da jemanden gibt hinter der vereisten Scheibe im Souterrain. Jemanden, für den es sich lohnen könnte, ihm besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

      Er beobachtet nun jede ihrer Bewegungen im Detail, wie sie ins Schulgebäude verschwindet, ein ganz leises, bewunderndes Raunen umher geht, es hier und da auch neidvolle, missgünstige Blicke von unliebsamen Mitschülerinnen und Getuschel gibt.

      Da liegt was in der Luft, meint der Junge Eduard zu spüren, ganz konkret sogar.

      In diesem Moment beschließt er, sich seiner hübschen Nachbarin