Bernd- Andreas Ulke

CUBANO PANKOW


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völlig andere ist.

      „Ja. Und die kleinen Menschen tapsen mit Fellmützen und roten Nasen durch die eisigen Straßen.“, sagt Eduard, hält kurz Inne und schmunzelt siegessicher.

      Der neue Plan ist einfach genial.

      2

      Das Haus mit dem Kartoffelladen.

      Im Dezember 1987 liegt der Ostberliner Bezirk Pankow unter einer dicken Schneeschicht begraben. Zumindest tun die Menschen in ihrer dicken Winterkluft schwer daran, sich durch das Gestöber zu bewegen, und gewiss ist auch so manche Nase dabei ganz rot vor Kälte.

      An dem Abend, an dem die Geschichte tatsächlich beginnt, ist das Sternenzelt bereits in der früh einsetzenden Dämmerung über den eingeschneiten Ziegeldächern hoher Altbauten sichtbar. Antennen ragen dort in die Höhe, rauchende Schornsteine.

      Was der Schnee nicht bedeckt, wirkt grau und dunkel. Die wenigen frei geräumten Straßen, die Häuserwände. Es riecht nach verbrannter Kohle der vielen Ofenheizungen.

      Aber von Tristesse kann im Norden der größten Stadt der Republik keine Rede sein.

      Immerhin funkelt das Licht nur so aus den Wohnungen. Und in der Dussekestraße, im Haus mit dem Kartoffelladen, ganz unten, aus dem Souterrain, könnte man meinen, da scheint durch die beschlagene, wellige Scheibe das Licht so golden und warm auf den Gehsteig, dass eigentlich der Schnee von dort wegtauen müsste.

      Das sind die Kubaner im Souterrain, das weiß in der Dusekestraße jedes Kind.

      Der Kachelofen im Wohnzimmer trotzt der eisigen Außenwelt und heizt die kleine Wohnung, die halb unter Tage liegt, gut ein. Dazu gibt es ein paar exotische Rhythmen vom Band. Das Kubanische Mädchen sitzt zwar in seinem Zimmer allein am Fenster und sieht nach draußen.

      Doch in der Küche brutzelt es, und Martin, der Lehrer wird auch bald kommen, wovon vor allem die Mutter sehr angetan ist und beim Kochen bereits vor sich hin summt.

      Helena Casera, das Mädchen mit der seidig braunen Haut, freut sich über die gute Stimmung in ihrem bescheidenen Heim, welches sich halb unter der Erdoberfläche befindet, und vor allem freut es sich über den Schnee. Helena kann davon nicht genug bekommen. Als vor ein paar Tagen die ersten Flocken vom Himmel fielen, da war sie sofort hinaus gerannt auf die Straße. Sie berührte den Schnee zunächst ganz vorsichtig und ließ sich dann mit geschlossenen Augen die Flocken aufs Gesicht rieseln. Später hatte sie etwas Schnee mit in ihr Zimmer genommen und in einem Glas beim Schmelzen beobachtet. Sie hatte noch am gleichen Abend in der Dunkelheit Schneemänner gebaut, war sogar barfuss vor der Tür gewesen. Sie wollte eben alles Erdenkliche ausprobieren mit ihrem geliebten Schnee, auf den sie über fünfzehn Jahre lang warten musste, der nun alles bedeckte und versöhnte und ihr endgültig das Gefühl gab, in der neuen Heimat angekommen zu sein.

      Eine kleine Odyssee hatte sie gewiss hinter sich gebracht seit ihrer Ankunft im Spätsommer.

      Sie hat Alleen gesehen mit Kopfsteinpflaster und hohen, dichten Baumkronen. Hochhäuser, Hinterhöfe und voll besetzte U- Bahnzüge, Kinder in Uniform, Gänge mit Linoleum, Menschen, die sie anstarren, höflich sind aber bestimmt, Menschen hinter Schreibtischen, neben Kaffeemaschinen, Warenhäuser, Gummistiefel, dreieckige Milch. Sie hat mitbekommen, wie die Blätter braun wurden, von den Bäumen fielen und ihre Mutter einen Freund gefunden hat. Wie die neue Sprache sich in ihrem Geiste manifestiert und sie manchmal gar im Schlaf begleitet. Helena Casera hat oft auf ihrem Fenstersims halb unter Tage gesessen und auf den Gehweg gestarrt, die Schuhe vorbei schreitender Leute beobachtet und es wie Kino gefunden. Sie hat Stunden verbracht, die einsam waren, voller Wehmut und Sehnsucht, gleichwohl in Akzeptanz, dass dies wohl Beiwerk sei des Anbeginns eines neuen Lebens.

      Weil sie das Gute in den Menschen sehen kann, ist sie stets tapfer geblieben und hat sich auf jeden nächsten Tag gefreut. Helena Casera hat gespürt, dass da draußen etwas ist.

      Etwas, das den Weg ganz allein zu ihr finden wird, wenn sie nur offen ist, wachsam bleibt und der Mut sie nicht verlässt.

      Dieses Etwas kam in Form von weißen, flinken Turnschuhen, die täglich an ihrem Fenster vorbeihuschen, die Stufen des Hauseinganges mit einem einzigen gesprungenen Schritt nehmen und schließlich ganz oben, in der letzten Wohnung unter dem Dach des alten Hauses ankommen, dort gewiss lässig in die Ecke gekickt werden.

      Die weißen Turnschuhe gehören Eduard Brink.

      Er wohnt dort oben, zusammen mit seinem älteren Bruder und der Oma.

      Eduard ist der tollste Junge überhaupt. Das sagt man über ihn auch in der Schule.

      Das kubanische Mädchen mit der seidig braunen Haut macht sich aber lieber ihr eigenes Bild vom Leben. Da passt es ganz gut, dass sie zwar noch nie mit ihm gesprochen, aber zumindest schon mal seine Schuhe kennen gelernt hat.

      Als Martin, der Freund der Mutter, halb untertage ankommt, mit seiner eleganten Hornbrille, hochgeschlagenem Jackettkragen und einer Flasche Wein, als er und die Mutter sich in die Arme fallen und sich beide riesig auf den Abend freuen, der Lehrer schon sein Jackett ablegt, das Essen auf dem Herd inspiziert und nach einem Flaschenöffner fragt, als sich die beiden das erste Mal wundern, wo die Helena eigentlich ist, warum sie den Gast nicht begrüßt, da kommt diese plötzlich durch die Wohnung gefegt, rennt den Martin beinahe um und eilt ins Treppenhaus. Dieser glaubt noch, gesehen zu haben, dass sie keine Hausschuhe anhatte, sondern auf Strümpfen hinausgerannt ist.

      Helena Casera kommt sodann völlig außer Atem, in einem Kleid für das sie sich eigentlich schämen möchte und es deshalb nur Zuhause trägt, auf Strümpfen auf dem obersten Treppenabsatz an. Der Duft von Weihnachtsgebäck war ihr auf dem rasenden Weg die knarrenden Stufen nach oben begegnet, ebenso die hohlen Klänge einer Blockflöte.

      Aber vor der unscheinbaren Tür, der sie allzu ehrfürchtig gegenübersteht, herrscht in ihrem Kopf ein einziges Gedankengewusel um den Jungen Eduard. Erst jetzt fragt sie sich, wie es zu dieser Kurzschlusshandlung kam. Schließlich hatte sie Wochen auf eine Zusammenkunft mit Eduard gewartet, ohne dass sie je stattgefunden hatte. Warum nun also diese Eile? Sie kann keine Antwort finden und drückt auch schon den Klingelknopf an der letzten Wohnung unterm Dach des alten Hauses. Da kommt ihr plötzlich dieser irrsinnige Gedanke. Über diese irrsinnige Geschichte, die selbstverständlich auch sie und ihre Mutter erreicht hatte, spätestens seitdem sie im Souterrain richtig eingezogen waren.

      Es spukt im leeren Kartoffelladen.

      Sie hat dieses Thema bisher gut verdrängen können. Sicherlich gibt sie eh nicht viel auf solches Gerede. Aber in direkter Nachbarschaft zu einer solchen Herberge zu wohnen, über die in der gesamten Gegend gesprochen wird, ist dann auch nicht immer einfach. Helena erinnert sich jetzt plötzlich an den netten Mann vom Kreisamt, der sogar den Hut gelupft hatte vor ihr und ihrer Mutter, wie er aufgeatmet hatte, wie kühl es doch im Souterrain im Sommer sei, als sie dort gemeinsam hineinkamen.

      „Dit is aber schön kühl hier unten. Dit ist aber anjenehm.“, hatte er gesagt. Und trotzdem hatte er es ganz eilig gehabt, die beiden dort allein zu lassen, wollte man meinen.

      „Besser als im Wohnheim. Die eigenen vier Wände.“, ließ der Mann die Damen abschließend noch wissen und klang nicht gerade sehr überzeugt dabei.

      Und bei dem Hoffest am Ende des Sommers, fällt es Helena nun ein, da hatten die aus der Nachbarschaft noch draußen gesessen, in der tiefsten Nacht, mit einer Decke über dem Schoß. Alle waren versammelt. Nur nicht die Brinks. Da wurde das Thema wieder mal aufgegriffen. Es wurde zwar viel dabei gekichert. Aber so manch ältere Dame beispielsweise hatte ganz ernst, ganz ehrfürchtig genickt im Schein des Grillfeuers.

      Helena konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viel verstehen. Aber sie wusste ganz genau- es geht um den Kartoffelladen.

      Nun, da sie jetzt bei genau der Familie vor der Tür steht, die diesem unheimlichen Laden näher stehen muss wie kein anderer, heißt es doch, dass Eduards Eltern vor ihrem Tode diesen Laden führten und nun noch ihr Unwesen dort