J.P. Conrad

totreich


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06. Mai

       11.31 Uhr

       23.21 Uhr

       07. Mai

       8.30 Uhr

       12.35 Uhr

       Epilog

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       Impressum neobooks

       Prolog

      Zögernd öffnete Jack die Augen und sofort war er wieder da, der stechende Schmerz, der ihm mittlerweile durch den ganzen Körper fuhr. Er hatte bereits zum zweiten Mal das Bewusstsein verloren und noch immer war kein Ende seines Martyriums in Sicht. Wieder lag sein Körper auf den kalten, weißen Metallplatten. Vorsichtig bewegte er seine Arme, versuchte sich in eine aufrechte Position zu stemmen. Die Metallringe, die um seine Hand- und Fußgelenke gelegt waren, hingen bleiern an seinen Gliedern und sie schienen von Minute zu Minute schwerer zu werden.

      »Wollen Sie nicht endlich mit mir reden?«, dröhnte die Stimme seines Peinigers durch den Lautsprecher direkt in seinen hämmernden Schädel. Jack ließen seine Worte kalt, sie verhallten ohne jede Reaktion. Nun, da er das große Geheimnis kannte, wegen dem mehrere Menschen hatten sterben müssen, würde er ohnehin ebenfalls bald das Zeitliche segnen. Er war bereits körperlich am Ende. Sein Geist würde in Kürze folgen, auf die eine oder andere Weise. Dann war sowieso alles egal. Sollte er sich den Mund fusselig reden, der Kerl im Lautsprecher.

      »Fahr zur Hölle!«, schmetterte Jack mit schmerzverzerrter Stimme in den leeren Raum, während er vergeblich versuchte, sich die aufgeschürften Handgelenke unter den Klammern zu reiben. Auch die Wunde auf seiner Stirn schmerzte nun das erste Mal seit vielen Tagen wieder. Die Naht war aufgeplatzt und Jack spürte das Blut daraus über seine Wange laufen.

      »Wirklich bedauerlich«, kam die blechern klingende Antwort der körperlosen Stimme. »aber was wollen Sie mir mit Ihrer Sturheit beweisen, Mister Calhey? Dass Sie dumm genug sind, zuzulassen, jetzt und hier zu sterben?«

      Endlich hatte er es ausgesprochen, das Unvermeidliche und Jack bereitete sich innerlich auf sein Ende vor. Wie lange würde es wohl noch dauern? Wann würde auch sein Peiniger die Lust verlieren und es zu Ende bringen? Jack schloss die Augen und dachte an Grace.

      Plötzlich wurde er mit einem gewaltigen Ruck nach oben gezogen. Er glaubte Knochen in seinem Körper brechen zu hören. Sein schweres Keuchen erfüllte den weißen Raum, Schweiß rann von seiner Stirn und tropfte zu Boden, vermischte sich mit seinem Blut. Alles um ihn drehte sich und er spürte, wie seinem Körper langsam die Kraft versagte, um weiter zu kämpfen. Die Schwerkraft zog sein ganzes Gewicht zu Boden, doch er konnte nicht nachgeben, war regungslos gefangen. Minutenlang passierte nichts. Dann, kurz bevor er erneut ohnmächtig wurde, hörte er noch, wie das unterschwellige Brummen, das der weiße Raum die ganze Zeit ausgestrahlt hatte, plötzlich verstummte. Dann fiel er.

       Dienstag, 06. April

      9.03 Uhr

      Als der unausgeschlafene Inspektor Hubert Macintosh den vom morgendlichen Sonnenlicht durchfluteten Salon des alten Herrenhauses betrat, glaubte er, die einsetzende Erleichterung der Anwesenden förmlich spüren zu können. Es war ein gutes Gefühl, wenn auch mit viel Verantwortung verbunden. Sobald er auftauchte, vertraute jeder darauf, dass er das Bindeglied zwischen Verbrechen und Verbrecher sein würde und bisher hatte er auch meistens diese Erwartungen erfüllen können. Heute begann eine neue Runde.

      Bevor er zu den beiden Polizisten gehen würde, die bereits seit etwa einer halben Stunde die Stellung hielten und nun sehnsüchtig zu ihm herüberschauten, sah er sich erst einmal im Raum um.

      Der Salon des großzügigen Anwesens machte einen gediegenen Eindruck und zeugte von edlem und vor allem teurem Geschmack. Es schien, als sei jedes einzelne Möbelstück und jedes noch so kleine Accessoire mit großem Bedacht ausgesucht worden, um eine perfekte Harmonie zu erzeugen. Die Einrichtung war modern, aber keineswegs kalt. Die Sonnenstrahlen, die durch die fast deckenhohen Fenster an der Längsseite des Raumes fielen, und in denen kleine Staubkörner tanzten, unterstrichen diesen Eindruck nochmals.

      Es war eine trügerische Stimmung, wie Hubert bereits wusste.

      Zu seiner Rechten befand sich, einen breiten, inaktiven Kamin aus schwarzem Marmor einrahmend, eine große Sitzgarnitur mit zwei cremefarbenen Ledersofas und einem Sessel. Auf dem der Fensterfront abgewandtem Sofa saß eine ältere Frau; sie war kreidebleich und stand offensichtlich unter Schock. Ihrer Kleidung nach zu urteilen musste sie die Haushälterin sein.

      Dicht an sie gedrängt saß ein Mann um die siebzig in einem, selbst für Macintoshs Geschmack, altmodisch grob karierten Jackett, der die Frau sanft am Arm hielt und offenbar sowohl als seelische als auch physische Stütze fungierte. Vor ihm, auf dem ovalen Glastisch, stand eine geöffnete, abgewetzte bauchige Ledertasche. Der Mann war der Hausarzt, schlussfolgerte Hubert.

      Die beiden jungen Beamten standen auf der anderen Seite des Raumes, an einem glänzenden schwarzen Konzertflügel und beobachteten die Szenerie schweigend und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. Als Hubert sich ihnen näherte, nahmen sie sofort eine steife Haltung an.

      »So, Jungs. Macintosh, Hertfordshire Constabulary«, sagte er, ohne einen guten Morgen zu wünschen. Wenn er gerufen wurde, konnte es ohnehin kein guter Morgen sein. Er ließ die Männer einen kurzen Blick auf seinen Dienstausweis erhaschen.

      »Klärt mich mal auf. Was ist hier los?«

      Der linke der beiden Männer, ein hagerer Kerl mit kantigem Grübchenkinn, der Hubert fast um einen Kopf überragte, war augenscheinlich der etwas Ausgeschlafenere. Sofort begann er mit einer Erklärung.

      »Mrs Keller ist die Haushälterin von Mister Moore. Sie hat ihn wohl heute Morgen gefunden.« Er nickte in Richtung der Frau auf dem Sofa.

      »Hat sie die Polizei gerufen?«

      »Nein, das war Dr. Drake, der Mann neben ihr. Sie hat zuerst ihn verständigt. Offenbar dachte sie, es wäre noch was zu retten.« Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass dem nicht so war.

      Hubert beobachtete die Frau und den Arzt durch den Raum. Drake flüsterte Mrs Keller, so schien es, gerade aufmunternde Worte zu.

      »Okay! Was muss ich noch wissen, bevor ich mir den Toten anschaue?«

      Die beiden Polizisten wechselten einen stummen Blick, als würden sie ausknobeln, wer jetzt antworten sollte. Wieder war der linke Bursche schneller. Er warf einen kurzen, entschuldigenden Blick auf seinen Kollegen und räusperte sich.

      »Doktor Rainard hat gesagt, dass alles auf Selbsttötung hindeutet.«

      Auch wenn Hubert die ihm bekannten Wagen auf dem Hof bereits bemerkt hatte, entfuhr ihm ein innerlicher Fluch. Rainard, der Rechtsmediziner, war samt seinem Team vor ihm eingetroffen. Es schien, als seien an diesem Morgen alle schneller gewesen, als er selbst. Er überlegte kurz und sah die beiden Männer prüfend aus den Augenwinkeln an.

      »Und was meint ihr?«

      Jetzt würde sich zeigen, ob diese Staatsbediensteten tatsächlich etwas im Köpfchen hatten, oder doch eher, dem Klischee entsprechend, als Dorfpolizisten nur zur Verwarnung von Parksündern geeignet waren.

      »Ja,