J.P. Conrad

totreich


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»Die Haushälterin hat zuerst Sie verständigt, nicht wahr?« fragte er und öffnete die Organizer-App seines Smartphones.

      »Ja, das stimmt. Sie war völlig aufgelöst, ja fast hysterisch. Ich habe sie am Telefon erst gar nicht richtig verstanden. Natürlich bin ich sofort rübergefahren und als ich Mister Moore dann in seinem Arbeitszimmer liegen sah...« Er machte eine kurze Pause und starrte mit leeren Augen in Richtung des Fundorts. »Da vermutete ich gleich, dass jede Hilfe zu spät kam. Ich habe dann die Polizei in Sawbridgeworth verständigt.«

      Hubert formte in seinem Kopf eine geographische Karte. Sawbridgeworth war der Ort, der dem Anwesen Moores am nächsten lag. Mit flinken Bewegungen tippte er einige Stichworte zu Drakes Aussage in sein Smartphone. Er mochte dieses kleine Ding, aber dem war nicht immer so. Als es ihm seine Frau im letzten Jahr zu seinem achtundfünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte, war er noch ein absoluter Verfechter von Block und Bleistift gewesen. Er hatte ihr auf seine charmante Art klar gemacht, dass er das Ding nicht wollte und ihr vorgehalten, dass sie damit nur auf sein fortgeschrittenes Alter und die damit einhergehende Vergesslichkeit anspielte. Außerdem war es winzig, brauchte Strom und konnte leicht kaputt gehen. Aber mit der Zeit und dank seines technisch versierten Assistenten hatte Hubert neben der Telefonfunktion seine weiteren Vorzüge kennengelernt und inzwischen hatte das Gerät einen festen Platz in seinem Arbeits- und Privatleben eingenommen.

      »Wann haben Sie Mister Moore zum letzten Mal untersucht? Ich gehe davon aus, dass Sie sein Hausarzt waren?«

      Drake nickte. »Das ist richtig. Ich kenne ihn schon seit seiner Kindheit. Sein Vater und ich waren recht gut befreundet. Aber der ist jetzt auch schon seit über fünfzehn Jahren unter der Erde. Zu Ihrer Frage: Ich mache bei ihm normalerweise einmal pro Jahr einen kompletten Checkup. Der letzte war kurz vor seinem Urlaub. Das war erst vor etwa eineinhalb Monaten. Bis auf leichte Stresserscheinungen war er topfit.«

      Hubert brummte etwas Unverständliches und überlegte einen Moment. Dabei fuhr er sich mit Daumen und Zeigefinger über die Konturen seines Schnauzbarts. »Stresserscheinungen?« fragte er dann.

      Doktor Drake suchte nach den richtigen Worten. »Nun ja. Er ist, pardon, er war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Und ich habe ihn eigentlich immer als einen Workaholic eingeschätzt. Da stellt sich Stress natürlich automatisch ein, egal ob man seinen Job liebt oder nicht. Er liebte ihn.«

      Macintosh nickte stumm und machte sich wieder ein paar Notizen. »In welcher Branche war er tätig?«

      »Elektronik. Seine Firma stellt Bauteile für Computer her, glaube ich.«

      Hubert sah sich nun in seiner Annahme bestätigt, dass der Tote der Gründer der Moore Enterprises, einem Konzern aus London, sein musste.

      »Glauben Sie, dass er sich selbst getötet hat?«

      Drakes Miene verfinsterte sich. »Ich hätte es, ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten. So wie ich ihn kannte, war er nicht der Typ Mensch, der sich in ein emotionales Loch stürzen würde.«

      Huberts fragender Blick verriet Drake, dass er noch weiter ausholen musste.

      »Nein, ich finde es tatsächlich sehr ungewöhnlich für einen Mann seines Charakters, sich etwas anzutun. Er war eine Führungsperson, jemand zu dem andere automatisch aufblicken, sich leiten lassen. Aber wie ich durch die Gespräche Ihrer Kollegen mitbekommen habe, deutet ja alles darauf hin, dass es keine andere Erklärung für seinen Tod gibt.«

      »Ich möchte da keine voreiligen Schlüsse ziehen. Mir fehlt noch ein ganzer Haufen an Informationen. Apropos…« Er sah sich suchend im Raum um. »Wo ist Mrs Keller?«

      »Sie bat mich, sie in die Küche gehen zu lassen. Sie wollte sich etwas mit Hausarbeit ablenken«, antwortete Drake.

      Wut stieg unwillkürlich in Hubert hoch. »Hey ihr!«, rief er fingerschnippend den beiden Polizisten zu, die noch immer tuschelnd und untätig am Klavier standen, und winkte sie zu sich.

      »Wozu steht ihr hier eigentlich rum?« fuhr er die Männer in gedämpftem Ton an. »Hier sollte doch niemand den Raum verlassen.«

      Dick und Doof sahen sich fragend an. Macintosh verkniff sich einen weiteren Kommentar und wandte sich wieder Doktor Drake zu.

      »Wo ist die Küche?«

      Drake zeigte mit dem Finger in Richtung der Halle. »Da durch und dann links.«

      Der Inspektor nickte dankend und verließ den Salon. Er fand die Küche sehr schnell und dort Mrs Keller, die mit dem Rücken zu ihm an der Anrichte vor dem Fenster stand und Gemüse klein schnitt.

       »Für wen bereitet sie jetzt noch das Essen zu?«

      Er trat näher.

      »Sie werden mir jetzt sicher einige Fragen stellen«, sagte die Frau zu seiner Verwunderung, noch ehe sie sich umgedreht oder er einen Ton gesagt hatte. Weiterhin widmete sie sich dem Gemüse; Lauch, glaubte Hubert zu erkennen. Er räusperte sich.

      »Das ist richtig Mrs Keller. Ich bin Detective Inspector Hubert Macintosh und leite die Ermittlungen in diesem Fall.« Insgeheim glaubte er allerdings nicht, dass wirklich ein Fall daraus werden würde. Suizide wurden in der Regel schnell zu den Akten gelegt.

      »Zunächst möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.«

      Jetzt drehte sich die Haushälterin um und sah ihn mit roten Augen an; sie hatte geweint. Langsam trat sie näher, die Hände an einem Geschirrtuch reibend. Martha Keller war fast einen Kopf kleiner als er. Sie war vierundsechzig Jahre alt, wie Hubert bereits wusste und sie hatte schwarzgrau melierte Haare, die sie in einer rundlichen Dauerwelle trug. Ihre Wangen wirkten, sicher noch als Folge des erlittenen Schocks, eingefallen.

      »Ich war nur eine Angestellte, nicht seine Frau«, entgegnete sie und es klang fast wehmütig.

      »Aber Sie waren doch hier sicher eine der Personen, die er immer um sich hatte? Da halte ich eine Beileidbekundung für angebracht oder hatten Sie kein gutes Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber?« Der Inspektor deutete Mrs Keller, sich an den Tisch zu setzen. Sie steckte das Handtuch in die Tasche ihrer blauen Schürze und kam seiner stummen Aufforderung zögernd nach. Er selbst nahm über Eck Platz.

      »Doch, es war sehr angenehm, für ihn da zu sein. Er war immer freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Wissen sie, wenn man ein so großes Haus in Schuss halten muss, ist das schon eine Menge Arbeit.«

      »Gibt es keine weiteren Bediensteten?«

      »Nein, ich bin die Einzige hier. Für handwerkliche Dinge und den Garten lassen wir immer Leute aus Sawbridgeworth kommen.«

      »Aha. Wie lange arbeiten Sie schon für Mister Moore?«

      Sie überlegte einen Moment, drehte aufgelöst eine kleine Zuckerdose zwischen Ihren Händen.

      »Seit beinahe zehn Jahren. Er war gerade mal siebenundzwanzig, als ich hier anfing. Anfangs hatte ich das Gefühl, es mit einem verwöhnten und verzogenen Jungen zu tun zu haben, aber das hat sich schnell geändert. Er war zwar immer sehr zielstrebig und – na ja, karrieresüchtig ist vielleicht das falsche Wort, aber alles in allem ein guter Arbeitgeber.« Interessiert beobachtete Mrs Keller, wie Hubert mit seinen breiten Fingern über das spiegelnde Display seines Telefoncomupters fuhr. »So was hat wohl wirklich jeder heute, oder?«, sagte sie kopfschüttelnd.

      Macintosh sah fragend auf und bemerkte, worauf sie anspielte. »Ach ja, das ist sehr hilfreich«, sagte er und drehte das Gerät kurz hin und her. »vor allem, wenn man seine eigene Schrift nicht richtig lesen kann.«

      Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Haushälterin. »Mister Moore hat selbst beim Essen ständig was in so ein Ding da getippt. Ich fand das furchtbar.« Dann wurde sie sofort wieder ernst. »Ich kann einfach nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Er war doch noch so jung.« Hubert entgegnete nichts und sie fuhr direkt fort:

      »Es war ein so furchtbarer Moment, als ich ihn fand. Das wird mich den Rest meines Lebens verfolgen.«

      Entgegen seinem Willen tätschelte der Inspektor plötzlich ihre Hand. »Ich