J.P. Conrad

totreich


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Er schwang heroisch mit der Faust in der Luft.

      Jack grinste schief. »Danke für das Kompliment«, sagte er und wurde dann ernst. »Aber Bowlers war erst zweiundfünfzig. Das ist doch noch kein Alter, um abzutreten. Selbst unser Chef Butterworth ist älter. Ich möchte jedenfalls noch etwas länger warten, bevor ich ins Gras beiße.«

      Byron hielt kurz im Kauen seines Sandwichs inne. »Da hast du Recht.«

      Jack wusste, dass sein Freund, der nur ein paar Monate älter war als er selbst, ein stressiges Leben führte. Irgendwann würde auch sein Körper rebellieren. Vielleicht schon früher, als ihm lieb war.

      Langsam wurde es dunkel draußen und Martha heizte den Kamin an. Wie Jack es vermutet hatte, hatte Byron am meisten zu erzählen. Von seinen internationalen Geschäften, den Problemen an der Börse, von seinen diversen prominenten Bekannten aus Wirtschaft und Politik, und natürlich den weiblichen Bekanntschaften, die aber nie mehr waren, als Bettgespielinnen oder bei offiziellen Anlässen als Begleiterinnen an seinem Arm hingen. Männersachen. Jack hörte sich all dies immer wieder gerne an und war fasziniert. Ein Leben, so unvorstellbar und unerreichbar für ihn selbst, gelebt von einem Mann, dem er vor fast zwanzig Jahren einmal die Nase blutig geschlagen hatte. Auslöser war eine Meinungsverschiedenheit gewesen, die nach dem Genuss einiger Ales eskaliert war. Heute undenkbar.

      Nachdem eine Pause entstanden war, wollte Jack die Chance nutzen, seinen Freund nach etwas auszuhorchen, das ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte.

      »Sag mal, als ich neulich hier angerufen habe, sagte mir Martha, dass du im Urlaub wärst. Da bin ich ja fast vom Stuhl gekippt. Stimmt das? du warst tatsächlich mal privat unterwegs?«

      Byron hielt kurz inne und nickte dann zögerlich. »Ja, das stimmt. Mehr oder weniger privat, ja.«

      Jack richtete sich etwas auf. Das klang spannend. »Wie lange kennen wir uns jetzt? Zwanzig Jahre? Ich kann mich nicht entsinnen, dass du jemals irgendwo hingeflogen bist, um die Füße hochzulegen. Aber offenbar geschehen noch Zeichen und Wunder. Wo warst du denn?«

      Byron antwortete nicht sofort. Wenn Jack es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, seinem Freund wäre das Thema unangenehm.

      »Ich war...«, begann er und machte nochmals eine rhetorische, nein, eine verwirrende Pause. »Es war eine spannende Erfahrung. Wirklich.« Er wirkte plötzlich wie in Trance, starrte mit leeren Augen zu Boden.

      Jack wusste nicht, wie er reagieren sollte. Hatte er schon früher an diesem Abend ein undefinierbares, seltsames Verhalten an seinem Freund festgestellt, so stand er jetzt vollkommen vor einem Rätsel.

      »Mach es doch nicht so spannend«, entgegnete er witzelnd energisch. »Wo warst du?«

      Jetzt stand Byron auf und wanderte vor dem prasselnden Kaminfeuer auf und ab, sein Glas in der Hand schwenkend. »Das ist schwer zu erklären...« begann er. »Das war nicht irgend so ein Trip, den man im Reisebüro bucht. Es war eher...« Wieder unterbrach er sich selbst und blieb mitten vor der Feuerstelle stehen, Jack den Rücken zugewandt. Dann fuhr er plötzlich herum und sah seinen Freund mit einer Mischung aus Verärgerung und Nervosität an. »Vielleicht hätten wir gar nicht mit diesem Thema anfangen sollen. Martha kann einfach nicht ihren Mund halten«, sagte er gereizt.

      Jack erwiderte seinen Blick mit Unverständnis. »Entschuldige. Ich war doch nur neugierig, wo es dich hin verschlagen hat. Falls ich dir irgendwie dabei auf den Schlips getreten bin...«

      Byron reagierte nicht, sah nur stur an Jack vorbei.

      »Byron?« Jack wurde energischer. »Was ist denn plötzlich los mit dir? Wenn es so ein Horrortrip war, müssen wir nicht darüber...«

      Sein Freund lachte trocken und schüttelte den Kopf. »Nein, es ist doch besser, wenn wir... lass uns einfach das Thema wechseln.«

      Jack spürte Unbehagen in sich aufsteigen. Die Atmosphäre hatte sich plötzlich um hundertachtzig Grad gedreht. Es war eine seltsame, surreale Stimmung, die sich im Raum ausbreitete. Als suchte er einen rettenden Anker, sah Jack auf seine Armbanduhr.

      »Oje, es ist ja schon halb Eins«, stellte er fest und hätte sich für diese dumme Ausflucht am liebsten selbst geohrfeigt. Die Zeit war jedoch wirklich wie im Fluge vergangen. »Ich glaube, es wird Zeit, dass ich mich verabschiede«, sagte er und stand auf.

      Byron schien sichtlich enttäuscht. »Hey, früher hast du aber länger durchgehalten«, spottete er, als hätte es die Minuten zuvor nie gegeben. Dann sagte er mit erhobenem Zeigefinger und einem hintergründigen Lächeln: »Bevor du aber gehst, denk ja nicht, ich hätte es vergessen.«

      Jack sah ihn fragend an, doch Byron verschwand ohne ein Wort in seinem Arbeitszimmer, um kurz darauf mit einem kleinen Päckchen zurückzukehren. Er reichte Jack das in braunes Packpapier eingewickelte Etwas.

      »Nachträglich noch alles Gute zum Geburtstag, mein Freund.«

      Jack nickte dankend. »Hey, das wäre aber nicht nötig gewesen«, sagte er mit tatsächlicher Überraschung und besah sich sein Geschenk. Es fühlte sich durch das Papier wie ein Buch an.

      »Doch, Jack, das war es, denn Lesen bildet«, entgegnete Byron ironisch und zwinkerte Jack zu. Der hatte den kleinen Seitenhieb verstanden. Jack war kein großer Bücherwurm und von seinem Freund schon diversem Male damit aufgezogen worden, dass er jederzeit einen Actionfilm einem guten Roman vorziehen würde.

      »Soll das heißen, ich bin ungebildet?«

      »Nein, aber es gibt Bücher, die einem die Augen für verschiedene Dinge öffnen.« Byrons Tonfall wurde nachdenklich und leise. »Tu mir nur den Gefallen und lies es, versprochen?«

      Jack zuckte mit den Schultern und lächelte. »Ja klar, mach ich. Ich sag dir dann, wie ich’s fand, okay?«

      »Okay.«

      »Wir sollten aber auch unbedingt bald mal wieder eine Wandertour machen, was meinst du?«

      »Klingt toll.«

      »Meldest du dich, wenn du Zeit hast? Mein Terminkalender ist ja etwas überschaubarer als deiner.« Jack erwartete ein Lachen oder zumindest ein Lächeln. Nichts.

      »Ich melde mich«, sagte er nur und trat vor, um seinem Freund auf die Schulter zu klopfen. Jack tat es ihm gleich. »Komm gut nach Hause.«

      »Und du heil ins Bett.« Jack winkte ihm noch vom Treppenabsatz zu, dann setzte er sich in seinen Wagen und fuhr los.

      Während er durch die Dunkelheit zurück nach Loughton rauschte, kreisten seine Gedanken immer wieder um Byrons seltsames Verhalten. Warum hatte er nichts von seinem Urlaub erzählen wollen? Er fand keine plausible Antwort. Gerne hätte er das abnorme Benehmen seines Freundes auf sein Alter geschoben, doch damit hätte er sich nur ins eigene Fleisch geschnitten.

      Als er spät in der Nacht die Ortseinfahrt von Loughton passierte, hatte er den Vorfall schon fast wieder vergessen.

Dienstag, 06. April

      19.57 Uhr

      »Ja, Sir. Selbstverständlich. Ich versichere Ihnen, bis Ende der Woche ist die Sache erledigt.«

      Hubert schlug den Hörer, entsprechend seinem aktuellen Gemütszustand, unsanft auf die Gabel. Er hatte bereits den ganzen Nachmittag mit dem Anruf von Superintendent Crowe gerechnet. Und wie er es erwartet hatte, wurden ihm von oberster Stelle Steine in den ohnehin knapp bemessenen Zeitrahmen seiner Ermittlungen geworfen. Sein Vorgesetzter wollte sicher gehen, dass Hubert mit dem Fall Moore keine Baustelle hinterlassen würde, wenn er nächste Woche in den Urlaub fuhr. Darüber hinaus hatte sich irgendjemand in seinem Umfeld verplappert, weshalb er am Nachmittag einigen aufdringlichen Pressefritzen Rede und Antwort stehen musste, was seine Laune auch nicht gerade positiv beeinflusst hatte.

      Die bohrende Frage, wieso sich ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich, laut seinem Hausarzt, bester Gesundheit erfreut hatte und offenbar auch nicht unter Depressionen litt, ohne jedes erkennbare