J.P. Conrad

totreich


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Einen Brief oder so. Morgen fahre ich noch mal rüber und dann kann ich dir mehr sagen.« Er hielt einen Moment innen und dachte nach. Dann kratzte er sich müde am Kopf und verzog beim Gähnen sein Gesicht zu einer schrägen Fratze.

      Grace war klar, dass ihr Freund nach diesem ereignisreichen und anstrengenden Tag nicht mehr sehr kommunikativ sein würde und so biss sie sich auf die Lippen, obwohl ihr die Neugier über das gerade geführte Telefonat sicher eine schlaflose Nacht bereiten würde.

       Mittwoch, 07. April

      8.47 Uhr

      »Es ist sehr freundlich, dass Sie sich extra herbemüht haben, Mister Calhey«, sagte Hubert Macintosh freundlich und bot Jack mit einer Handbewegung an, sich zu setzen. Dessen anfängliche Anspannung legte sich sofort etwas.

      Der Inspektor erschien ihm auf den ersten Blick recht sympathisch: Er war ein mittelgroßer Mann mit grau melierter Halbglatze und einem rundlichen Gesicht. Er trug, sichtlich mit Stolz, einen buschigen Schnauzbart unter seiner leicht knubbeligen Nase. Seine freundlichen Augen sahen Jack durch ein rahmenloses Kassengestell an. Er schätzte den Kriminalisten auf Mitte fünfzig und konnte den leichten Bauchansatz erkennen, den Männer dieses Alters gerne bekamen, wenn das Interesse an sportlicher Betätigung langsam abnahm und mehr auf die kulinarischen Genüsse gelenkt wurde. Die Wahl seiner Kleidung, er trug einen grauen Anzug und eine dunkelblaue Krawatte, und seine gesamte Erscheinung ließen Jack vermuten, dass er noch ein Ermittler vom alten Schlag war.

      Auch sein Büro fügte sich in Jacks Einschätzung dieses Mannes: Nicht allzu groß, vergilbte Tapeten, wenige, spärlich mit Wasser versorgte Pflanzen auf der Fensterbank und ein altmodischer grüner Metallschreibtisch. Das Einzige, was hier von Fortschritt zeugte, war ein Computer, der jedoch etwas abseits in der hinteren Ecke auf einem eigenen kleinen Tisch stand, eingerahmt von zwei hohen Karteischränken.

      »Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt?« fragte Hubert.

      »Ja, danke. Die Straßen sind ja schon wieder trocken.« Er erinnerte sich an das furchtbare Regenwetter der vergangenen Nacht. Es hatte in der Region mehrere Unfälle gegeben.

      Der Inspektor verstaute seine Brille, die er nur zum Lesen brauchte, in seiner Brusttasche.

      »Sie wissen sicher, worum es geht?« frage er und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch.

      »Um Mister Moores Selbstmord.« Diese Worte kratzten ihm im Hals.

      »Richtig. Aber ich hasse den Begriff Selbstmord. Er sagt etwas völlig Falsches aus. Ein Mensch kann sich nicht ermorden. Das wäre ein Verbrechen. Und an sich selbst kann man, rein juristisch, kein Verbrechen begehen.«

      Jack wusste nicht so recht, was diese Belehrung bezwecken sollte und erwiderte nur ein neutrales »Aha.«

      »Nun gut.« Hubert rückte Notizblock und Stift zurecht, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände auf seinem gemütlichen Bauch. »Sie sind Journalist, soviel ich weiß?«

      »Ja. Beim Loughton Courier.«

      »Angenehmer Job?«

      »Abwechslungsreich. Nicht immer angenehm, aber abwechslungsreich.«

      Hubert lachte kurz. »Tja, wo gibt’s das schon? Immer Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist illusorisch.« Er wusste, wovon er sprach. Bei Scotland Yard hatten die schlechten Tage überwogen, obwohl er sie auch irgendwie vermisste. Dieser Fall, so unspektakulär ein Suizid auch war, war das seit langem fehlende Salz in seiner Suppe. »Aber kommen wir lieber zur Sache. Ich denke, das ist Ihnen auch am liebsten.«

      »Ja.« In der Tat war Smalltalk das Letzte, was Jack jetzt brauchen konnte.

      »Mister Moores Haushälterin hat uns gesagt, dass Sie sein bester Freund waren. Würden Sie das bestätigen?«

      Jack rief sich ihre Beziehung in ihrer Gesamtheit ins Gedächtnis. »Nun, ich denke schon. Er hat es zwar nie offen ausgesprochen, aber ich weiß, dass er nicht allzu viele Freunde hatte. Und wir kennen uns schon seit der Schule. Insofern könnte man es so sagen, ja.«

      »Wie haben Sie reagiert, als Sie von Mister Moores Tod erfahren haben?«

      Jack brauchte nicht zu überlegen. »Ich war geschockt.«

      Er war sich der Blicke des Inspektors, die ihn einschätzend und prüfend trafen, voll bewusst und empfand sie als äußerst unangenehm. Was mochte der Kriminalbeamte von ihm halten? Glaubte er ihm vielleicht nicht? Oder war er eine so durchschaubare Person, dass man ihn nur eindringlich beobachten musste, um alles von ihm zu erfahren?

      Die kurze Redepause dehnte sich wie Kaugummi. Dann schwang Macintosh seinen Oberkörper auf den Schreibtisch und verschränkte seine Arme auf der Tischplatte, den Blick immer auf Jack gerichtet.

      »Sie haben ihn einen Tag vor seinem Tod besucht.« Hubert wartete gar nicht erst eine Reaktion seines Gegenüber ab, sondern fuhr direkt fort: »Und Sie waren der Letzte, außer der Haushälterin Mrs Keller, der ihn lebend gesehen hat.«

      Dieser unangenehmen Tatsache war sich Jack durch das Gespräch mit Martha bereits bewusst. Es war ja mit ein Grund dafür, dass er nun der Polizei Rede und Antwort stehen durfte.

      »Ich habe es gehört«, antwortete er, aber Macintosh reagierte gar nicht darauf. Weiterhin starrte er Jack nur an und wartete ab. Jack spürte, wie der Inspektor auch die kleinste seiner Bewegungen genauestens analysierte: Seinen Gesichtsausdruck, seine Augenbewegung und seine gesamte Körpersprache. Er hoffte, dass die Signale die er aussendete, sich mit dem deckten, was er fühlte: Nervosität und Unbehagen, gemischt mit Niedergeschlagenheit und geistiger Erschöpfung.

      »Erzählen Sie mir, worüber sie beide geredet haben«, brach der Kriminalbeamte schließlich die Stille.

      Jack verlagerte seinen Oberkörper etwas nach links. Dann begann er, den besagten Abend erneut Revue passieren zu lassen. Während er erzählte, stand Macintosh auf und trat mit verschränkten Armen ans Fenster. Jack erkannte deutlich, dass er dabei gar nicht nach draußen blickte, sondern ihn in der Spiegelung der Scheibe beobachtete. Nachdem Jack seine Ausführungen beendet hatte, drehte sich der Inspektor um und trat wieder hinter den Schreibtisch. Jack sah auf und ihm direkt ins Gesicht. Es verriet ihm nichts über das, was dem Mann in diesem Moment durch den Kopf ging. Er hatte Jack ruhig ausreden lassen, ihn kein einziges Mal unterbrochen oder etwas nachgehakt und seine Erzählung nur hier und dort mit einem verstehenden Brummen kommentiert.

      »Mister Calhey, was denken Sie, warum sich Mister Moore das Leben genommen hat?«

      Jack überlegte, obwohl er das bereits die ganze Zeit getan hatte, was diese Frage anging. Eine Antwort hatte er nicht, und das frustrierte ihn zunehmend.

      »Ich weiß es nicht, Sir. Ich suche auch schon die ganze Zeit nach einer Erklärung.« Er machte eine kurze Pause und sah dann dem Inspektor fest in die Augen. »Es gab keinerlei Streitigkeiten zwischen uns. Das hat Ihnen Mrs Keller sicherlich bestätigt.« Macintosh sagte nichts und so fuhr Jack fort. »Und ich meine auch, behaupten zu können, dass Byron nicht der Typ Mensch war, sich umzubringen.«

      Hubert setzte sich wieder und ließ einen Kugelschreiber durch seine Finger gleiten. »Sie haben also keinerlei Anzeichen für eine seelische Zerrüttung, Depressionen oder etwas anderes auffälliges an Mister Moore beobachten können?«

      Jack schüttelte den Kopf. »Nein, Sir.« Er fragte sich, ob er eines dieser Anzeichen überhaupt hätte erkennen können.

      »Tja, das ist schon sehr seltsam...«, entgegnete Hubert und sah stirnrunzelnd an Jack vorbei, der ihm im Geiste nur zustimmen konnte.

      Jacks Blick fiel auf die Wand links neben sich. Dort hing ein breiter Motivkalender, der das Bild eines goldenen Sandstrandes irgendwo in der Karibik zeigte und in diesem Büro deplatziert wirkte. Beim Anblick des Bildes kam Jack auf sein Stichwort.

      »Da fällt mir etwas ein. Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, Sir, aber da war doch eine eigenartige Sache, die ich in Bezug auf unser Treffen erwähnenswert finde.« Sein Gegenüber zog erwartungsvoll eine Augenbraue