J.P. Conrad

totreich


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wurde Hubert hellhörig. »Das ist uns bekannt. Nur wissen wir nicht, wohin er gefahren ist. Vielleicht können Sie uns in diesem Punkt weiterhelfen?«

      »Leider nicht. Deshalb komme ich ja eben darauf zu sprechen. Als ich Byron auf diesen Urlaub angesprochen habe, verhielt er sich plötzlich ganz merkwürdig. Er wich meinen Fragen aus, als ob er davon gar nichts mehr wissen wollte.«

      Macintosh überlegte kurz. »Hm, einen Moment.« Er nahm eine Aktenmappe aus dem Ablagefach und öffnete den Deckel vor sich. Dann holte er seine Brille wieder hervor und setzte sie sich auf die Nase. Einige Sekunden suchte er die einzelnen Zeilen des aufliegenden Blattes ab und sagte dann:

      »Mrs Keller hat zu Protokoll gegeben, dass ihr Arbeitgeber sie Anfang März darauf aufmerksam gemacht hatte, kurzfristig für unbestimmte Zeit zu verreisen. Er hatte ihr auch zu verstehen gegeben, dass es sich um keine Dienst- sondern um eine Erholungsreise handeln würde.« Er blätterte weiter und las kurz den Text für sich quer. Dann fasste er laut zusammen: »Wie sie weiter angibt, ist er dann auch, wenige Tage später, für zehn Tage seinem Wohnsitz und dem Büro fern geblieben. Sie hatte ihm auf seine Anweisung hin seine Koffer gepackt, aber weder wusste sie, wohin er abreisen würde, noch wer ihn am zwölften März, ohne dass sie es mitbekommen hatte, von der Villa abgeholt hat. Sein Gepäck hat er dabei versäumt mitzunehmen.«

      Ein leises Brummen Macintoshs verriet Jack, dass er die mysteriöse Urlaubsgeschichte auch nicht verstand.

      »Am zweiundzwanzigsten März war er dann morgens plötzlich wieder anwesend, hat in seinem Bett gelegen, als wäre er nie weg gewesen.« Hubert sah auf und Jack über seinen Brillenrand hinweg an.

      Jack wusste das alles schon. »Klingt äußerst merkwürdig, wenn Sie mich fragen«, kommentierte er den Bericht. Das Wort ›merkwürdig‹ tauchte seit Byrons Tod häufig in seinem Wortschatz auf.

      »Vielleicht war diese Urlaubsreise einfach ein Reinfall? Schlechtes Wetter, schlechtes Essen, schlechter Service? Kann selbst dem reichsten Menschen mal passieren«, mutmaßte Hubert und bot Jack somit eine einfache Lösung an.

      Jack schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Sir, das glaube ich nicht. Und selbst wenn es so gewesen wäre, wäre das noch lange kein Grund, sich selbst zu erdolchen. Nach so vielen katastrophalen Pauschalurlauben, die ich in meinem Leben schon verbracht habe, müsste ich schon lange unter der Erde liegen. Und wer, bitte schön, fährt ohne jedes Gepäck in den Urlaub, verschwindet ohne ein Wort und taucht dann ebenso plötzlich wieder auf?«

      Hubert pflichtete ihm bei, die gleichen Gedanken waren auch ihm durch den Kopf gegangen. »Mister Calhey, wenn ich Sie richtig verstehe, vermuten Sie, dass die Reise von Mister Moore etwas mit seinem Tod zu tun hat?«

      Je mehr Jack sich mit den ihm bekannten Fakten auseinander setzte, umso sicherer war er sich mit seinen nächsten Worten: »Ja, das glaube ich.« Wissentlich verschwieg er in diesem Gespräch bisher den Brief, von dem ihm Martha erzählt hatte und dessen Inhalt ihn brennend interessierte. Er hielt es auch für angebracht, die Polizei erst dann darüber in Kenntnis zu setzen, wenn er selbst wusste, worum es sich genau handelte. Zurzeit war Inspektor Macintosh sein Konkurrent auf der Jagd nach dem Selbstmordmotiv Byron Moores.

      Das Telefon klingelte. Hubert entschuldigte sich höflich für die Unterbrechung und nahm ab.

      Dem einseitigen Gespräch, das nun folgte, konnte Jack entnehmen, dass dem Inspektor die Nachricht nicht sehr gelegen kam. Mit einem leisen Knurren knallte er den Hörer auf die Gabel und fuhr sich angestrengt mit den Fingern über die gerunzelte Stirn.

      »Mister Calhey. Ich danke Ihnen für ihre Unterstützung. Mehr Fragen habe ich im Augenblick nicht an Sie.« Mit diesen Worten stand er auf und reichte Jack die Hand.

      Dieser erhob sich ebenfalls zögernd und sah Macintosh unsicher fragend an.

      »Aber...« Er wollte gerade gegen die äußerst geringe Anzahl an Fragen, die ihm gestellt worden waren und die gleichermaßen geringe Anzahl an Antworten, die er selbst erhalten hatte, protestieren, als Hubert ihm das Wort abschnitt:

      »Es tut mir leid, aber was Sie und ich auch immer für einen Hintergrund für Mister Moores Freitod sehen...« Er atmete tief durch. Dann fuhr er, für Jack sichtbar unzufrieden fort: »Wird dieser Fall wohl zu den Akten gelegt. Als Suizid mit unbekanntem Motiv.«

      Jack war sprachlos über diese plötzliche Wendung. Eben noch hatte er den Inspektor auf einen möglicherweise bedeutsamen Zusammenhang gestoßen und nun erhielt er diesen unsanften Dämpfer. Andererseits kam es ihm auch ganz gelegen, wenn die Polizei sich aus der Angelegenheit zurückziehen würde. Wenn es wirklich zur Einstellung der Untersuchungen kam, konnte sich Jack viel ungezwungener bei seinen eigenen Ermittlungen bewegen. Er hatte sich fest vorgenommen, sein Vorhaben durchzuziehen, den wahren Grund für den Freitod Byrons zu finden. Nach einer knappen Verabschiedung und der Bitte Macintoshs, sich für eventuell noch ergebende Fragen zur Verfügung zu halten, verließ Jack das Büro.

      Nachdem er alleine war, ließ sich Hubert angeschlagen auf seinen Stuhl sinken. Doktor Rainards telefonischer Zwischenbericht nach Abschluss der Obduktion hatte bestätigt, was er zuvor schon vermutet hatte: Es gab keinerlei Anzeichen für äußere Gewaltanwendung. Moore hatte sich, ohne jeden weiteren Zweifel, selbst das Leben genommen. Superintendent Crowe würde die Information sicher auch schon vorliegen und er würde jetzt nach dem Abschlussbericht verlangen. Hubert musste ihn also, da er außer Vermutungen keine neuen Beweise hatte, wohl oder übel mit all den noch offenen Fragen abgeben. Die Geschichte mit der Urlaubsreise Moores, von der keiner etwas wusste, klang zwar interessant, aber mehr auch nicht.

      »Schließlich ist es ein Suizid, Herrgott nochmal«, dachte Hubert bei sich und schwang seinen Stuhl in Richtung Computer. Vielleicht war es auch besser so. So konnte er sich nun dem seit langem geplanten Urlaub mit seiner Frau widmen und bis zum Wochenende nur noch ein bisschen Verwaltungskram erledigen. Er war davon überzeugt, dass der Fall nun für ihn erledigt sein würde, ob er wollte oder nicht. Er sollte sich irren.

       Donnerstag, 08. April

      9.04 Uhr

      Weniger als vierundzwanzig Stunden nach seinem Gespräch mit Jack Calhey war Hubert in seinem klapprigen Rover auf den erneut verregneten Straßen von Loughton unterwegs zu ihm. Dessen Anruf und seine Bitte um ein sofortiges Treffen, hatten ihn etwas verwundert. Eine Neuigkeit im Fall Moore sollte ihn erwarten, mehr hatte Calhey in dem kurzen Gespräch nicht verraten. Und seine Rechnung ging auf: Hubert war mehr als gespannt auf das bevorstehende Treffen, das auf seinen eigenen Wunsch nicht in seinem Büro, sondern bei Calhey Zuhause stattfinden sollte.

      »Wenn Crowe das erfährt, kriegt er gleich wieder eines von seinen berühmten Magengeschwüren«, fuhr es ihm durch den Kopf, während er das Intervall der quietschenden Scheibenwischer erhöhte.

      Er sah sich die Häuser an, an denen er vorbei fuhr: Jack Calhey wohnte in einer recht noblen Gegend, wie er feststellte, was er wohl dem Umstand, eine Freundin aus reichem Hause zu haben, zu verdanken hatte, Huberts Assistent Steve hatte auch in diesem Punkt gründlich recherchiert. Grace Martins Vater Gregory war ein bekannter und vor allem sehr erfolgreicher Immobilienmakler in der Region. Hubert hatte schon des Öfteren seine großformatigen Anzeigen in der Tagespresse und ihn selbst in mehreren kitschigen Werbespots sowie als Interviewpartner anlässlich gemeinnütziger Aktionen seines Wohltätigkeitsvereins im Fernsehen gesehen. Mit einem solchen Hintergrund konnte man als Tochter sicher gut leben, sich nebenbei etwas als Lektorin dazuverdienen und noch einen zweitklassigen Reporter als Freund mit durchfüttern.

      Hubert bog in die Doyle Street ein und hielt Ausschau nach der richtigen Hausnummer. Wie er feststellte, war Calheys und Martins Adresse die eines Mehrfamilienhauses gehobenen Stils, einem schönen viktorianischen Altbau aus der Zeit der Arts & Crafts Bewegung. Er sah sich nach einem Parkplatz um, fand aber nur einen, der etwa fünfzig Meter von dem Haus entfernt war. Hubert fluchte, als ihm einfiel, dass er, wie so oft, keinen Regenschirm dabei hatte. Seine Frau Patricia hätte ihn eigentlich daran erinnern sollen, hatte es aber dann offenbar auch selbst vergessen. Er hatte das Gefühl,