J.P. Conrad

totreich


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rannte, die Morgenausgabe der Times schützend über seinen Kopf haltend. Im Hauseingang der Doyle Street 221 schüttelte er seinen durchnässten Mantel aus und stopfte die Zeitung in die Seitentasche. Dann besah er sich die Klingelschilder. Er fand die Namen Martins und Calhey auf dem obersten und drückte auf den goldenen Klingelknopf. Einige Sekunden geschah gar nichts, dann meldete sich eine Frau.

      »Inspektor Macintosh«, rief er in die Gegensprechanlage und direkt darauf summte der Türöffner.

      Wie er es befürchtet hatte, lag die Wohnung, zu der er wollte, im obersten Stock. Vier Treppenabsätze später empfing Jack Calhey freundlich einen durchnässten und keuchenden Hubert Macintosh.

      »Danke, dass Sie trotz des Unwetters gekommen sind«, sagte Jack zur Begrüßung und sie gaben sich die Hand.

      Der Inspektor brummte etwas Undeutliches in Bezug auf das Wetter und wurde dann direkt Miss Martins vorgestellt. Sie war eine wirklich sehr hübsche, schlanke, für seinen Geschmack etwas zu große Frau um die dreißig. Ihre blonden Haare hatte sie hinter dem Kopf mit langen Stäbchen, wie eine Chinesin, zusammengesteckt und vor ihren strahlenden, blauen Augen trug sie eine modische, eckige Brille, die ihr einen intellektuellen Touch gab. Ihr Händedruck war unerwartet fest und maskulin.

      »Inspektor«, Sie nickte freundlich und lächelte. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«

      Nur zu gerne hätte Hubert jetzt etwas Warmes getrunken, also nahm er die Einladung dankend an. Er selbst hatte Jack Calhey am Vortag gar nichts angeboten, was er im Nachhinein als unhöflich betrachtete.

      Grace nahm ihm den Mantel ab und entfernte sich ohne ein weiteres Wort. Die Wohnung, zumindest der Teil, den Hubert bisher gesehen hatte, gefiel ihm. Sie hatte Stil und die Einrichtung zeugte von gehobenem Geschmack; eindeutig dem von Miss Martins. Jack bat ihn in das Esszimmer, dessen Fenster trotz des wolkenvergangenen Himmels den Raum angenehm erhellten und beide nahmen am Tisch Platz.

      Hubert ließ sich seine Neugier, auf das, was ihn erwartete, nicht anmerken. Aber sie war da.

      Jack zog einen Briefumschlag aus der Innentasche seiner wollenen Hausjacke und schob ihn dem Inspektor über den Tisch zu.

      »Das hat Mrs Keller in Byrons Anzug gefunden.«

      Sofort schoss Hubert die Frage durch den Kopf, warum Calhey ihm dies mitteilte und nicht Mrs Keller selbst, aber er schwieg. Vorsichtig nahm er die postkartengroße, glänzende Klappkarte heraus und las den Text auf der Vorderseite. In erhabenen, goldenen und üppig geschwungenen Buchstaben stand dort:

       Persönliche Einladung für Mister Byron Moore.

      Er sah Jack fragend an. Dieser sagte nichts und forderte ihn so dazu auf, sich dem Dokument intensiver zu widmen. Also faltete er es auf. Auf der Innenseite las er weiter:

       Sehr verehrter Mister Moore,

       ich möchte Sie herzlich einladen, eine unvergessliche Zeit fernab Ihres Alltags und Ihrer Vorstellungskraft zu verbringen. Zehn Tage, die Ihr Leben bereichern und ihm einen neuen Sinn geben werden. Das garantiere ich Ihnen. Möchten Sie sich auf dieses unbekannte Abenteuer einlassen? Ich bin gespannt auf Ihre Entscheidung. Bitte bedenken Sie: entscheiden Sie weise, sonst könnten Sie es vielleicht den Rest Ihres Lebens bereuen. In den kommenden Tagen wird sich ein Mister Black mit Ihnen in Verbindung setzen. Stellen Sie ihm keine Fragen, sagen Sie zu ihm nur ein Wort:

       Ja oder Nein.

       Hochachtungsvoll LJM

      »Sehr absonderlich«, war Huberts erste laute Reaktion. Er fuhr sich mit Daumen und Zeigfinger durch den dichten Schnauzbart. Dann fiel ihm etwas auf. Er fühlte mit der Fingerkuppe über die untere Kante des Blattes. Sie war nicht so glatt geschnitten, wie die anderen Seiten.

      »Hm. Da fehlt etwas, oder? Sieht so aus, als wäre ein Teil abgetrennt worden.«

      Jack zuckte mit den Schultern. »Möglich. Vielleicht war da noch etwas eingeklappt.«

      Grace kam mit einem Tablett herein, auf dem zwei dampfende Tassen standen. Hubert bedankte sich freundlich, als sie ihm eine davon vorsetzte und verrührte dann die Milch mit dem Löffel.

      »Was halten Sie davon, Miss Martins?« fragte er, ohne von der Tasse aufzusehen.

      Grace, die gerade wieder im Begriff war, zu gehen, drehte sich um. Nachdenklich verschränkte sie die Arme vor dem leeren Tablett.

      »Wenn Sie wirklich meine ehrliche Meinung hören wollen, Inspektor, ich halte das für eine Art Aprilscherz. Welcher Mensch mit seriösen Absichten verschickt solche Einladungen?«

      Hubert grübelte und trank einen Schluck von dem hervorragenden Minztee. »Jemand der es sich leisten kann, würde ich sagen«, antwortete er. »Das Papier und diese goldenen Buchstaben, das ist bestimmt nicht billig. Und der Mensch ist ein Exzentriker, zweifelsohne. Oder ein Verrückter. Oder beides.«

      »Auf jeden Fall hat Byron diesem Mister Black wohl zugesagt«, mischte sich nun Jack ein und sah zuerst Grace und dann den Inspektor an. Dieser pflichtete ihm bei.

      Jack nippte an seiner Tasse und fuhr dann fort: »Aber warum lässt ein Workaholic alles stehen und liegen für die inhaltslose Einladung eines Unbekannten?«

      »Hm.« Hubert drehte die Karte zwischen den Fingern.

      »Aber was mich am meisten interessiert«, fuhr Jack fort »Wer zum Teufel ist LJM?« Er erntete ratlose Blicke und ein leichtes Schulterzucken von Macintosh.

      »Keine Ahnung«, sagte dieser. »Und ich hege ernsthafte Zweifel daran, dass wir es je erfahren werden. Wie ich gestern schon andeutete, ist der Fall jetzt offiziell abgeschlossen. Wenn es ein, in Anführungsstrichen, normales Verbrechen wäre, wäre ich verpflichtet, jedem Hinweis nachzugehen. Aber bei einem Suizid... da sind die Umstände gewöhnlich überschaubarer. Und laut der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung sind sie es auch in diesem Fall. Dass ich hier bin, verdanken Sie allein meiner Neugier.«

      Jack senkte enttäuscht den Kopf und Hubert konnte es ihm nachfühlen. Er selbst fand die Situation nicht weniger frustrierend, denn der Fall Moore reizte ihn nach wie vor, ob er nun verwaltungstechnisch abgeschlossen war oder nicht. Es gab so viele unbeantwortete Fragen und nun auch noch eine geheimnisvolle Einladung, die vielleicht etwas Licht ins Dunkel um das Suizidmotiv bringen konnte. Auf der anderen Seite blickte Hubert im Geiste in das grimmige Gesicht von Superintendent Crowe, der ihm quasi schon einen schönen Urlaub gewünscht hatte und für den der Fall Moore nun, da er den Abschlussbericht vorliegen hatte, kein Thema mehr war.

      Hubert kannte Crowes Art nur zu Gut. Er war mehr Beamter als ein Kriminalist und eine absolute Fehlbesetzung für einen Posten, bei dem Eigenschaften gefragt waren, die er nicht besaß. Allem voran mangelte es ihm an kriminalistischem Instinkt. Nahezu perfekt ausgebildet war dagegen sein Spürsinn, wenn es um das Ermitteln unnötiger Kostenstellen ging. Seine Mission sah er in der Einhaltung von Budgets und dem Eindämmen jeder Art von Ressourcenverschwendung in seiner Dienststelle. Etwas, das der gebeutelte Staat gerne sah, seine Kollegen eher weniger.

      Dann war da natürlich noch Huberts Frau Patricia, die sicher schon die eingestaubten Reisekoffer vom Dachboden geholt hatte und die in Gedanken bereits in der Dominikanischen Republik war. Aber Hubert war nun einmal Polizist, ein ehemaliges Mitglied von Scotland Yard. Das konnte und wollte er nicht ignorieren. Er war ein Mann, dessen größte Fähigkeiten die Kombinationsgabe und ein ausgeprägter Instinkt waren und diese Befähigungen lechzten nach Aufmerksamkeit. Er wog das Für und Wider sorgfältig gegeneinander ab und traf dann eine Entscheidung.

      »Da meine Neugier aber schon immer sehr ausgeprägt war und durch das Auftauchen dieser Einladung nur noch größer geworden ist, mache ich Ihnen jetzt einen Vorschlag.«

      Jack sah ihn mit erwartungsvoll funkelnden Augen an und auch Grace trat wieder ein Stück näher.

      »Dafür komme ich in die Hölle.« »Ich habe für die kommenden zwei Wochen Urlaub. Eigentlich wollte ich da mit meiner Frau in den Süden fliegen, oder besser gesagt, meine Frau möchte