J.P. Conrad

totreich


Скачать книгу

      Ohne ein weiteres Wort, nur von einem leisen Knurren begleitet, machte sie kehrt und verschwand wieder.

      Hubert brauchte jetzt Nikotin, um seine grauen Zellen zu noch mehr Höchstleistungen antreiben zu können.

      Jack und seine Freundin wechselten einen unauffälligen Blick und waren sich stumm einig, wie amüsant dieser kleine kalte Ehekrieg war. Lediglich Highsmith schien davon bisher nichts mitbekommen zu haben oder er übersah es einfach höflich.

      »Wir sollten unbedingt herausfinden, wer dieser LJM ist«, schlug er vor und erntete einhellige Zustimmung.

      »Richtig«, entgegnete Hubert. »Wenn Perrant ebenfalls eine Einladung von LJM erhalten hatte, kann er oder sie uns die nötigen Antworten geben. Haben Sie von Perrants Sekretärin diesbezüglich noch irgendwelche Hinweise erhalten?«

      Highsmith schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, weder von ihr noch von seiner Witwe oder den Hausangestellten.« Er war an diesem Morgen schon sehr fleißig gewesen und hatte die Telefonrechnung seiner Dienststelle mit seinen Auslandsgesprächen in astronomische Höhe getrieben.

      »Von einer Einladung wusste niemand etwas, aber auch nicht, wohin er verreist war. Allerdings soll er nach seiner Rückkehr zeitweise recht distanziert gewirkt haben.«

      »Kommt mir bekannt vor«, sagte Jack missmutig.

      »Na schön.« Macintosh klopfte sich ungeduldig auf die Schenkel und sah zur Tür. Wo blieben nur die Zigaretten? Dann wandte er sich an Jack. »Wir sollten uns jetzt aber erst mal auf Mister Patterson konzentrieren. Vielleicht kann er uns ja schon ein paar Antworten liefern.«

      Patricia Macintosh kam zurück und reichte ihrem Mann sein Zigarettenetui. Mit den trockenen Worten »Rauchen gefährdet die Gesundheit« entfernte sie sich wieder.

      »Sie hat Recht«, sagte Hubert locker und bot zunächst seinen Gästen eine Zigarette an. »Aber nicht so sehr wie sie selbst.«

      18.17 Uhr

      Grace massierte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schläfen.

      »Mein Schädel platzt gleich«, stöhnte sie.

      Jack, der den Wagen gerade in den Hof hinter ihrem Haus lenkte, musterte sie von der Seite. Sie sah wirklich etwas erschöpft aus. Das Treffen mit Macintosh hatte wesentlich länger gedauert, als er gedacht hatte und das Essen von McDonald's, den sie gerade noch aufgesucht hatten, lag ihr sicher ebenso schwer im Magen wie ihm selbst.

      »Jetzt kannst du dich ja ausruhen, Schatz«, sagte er mit sanfter Stimme und parkte den Mustang. »Es tut mir leid, dass wir so lange unterwegs waren.«

      »Ich bin selbst schuld, ich wollte ja mitkommen.« Sie öffnete die Wagentür und spannte ihren Regenschirm auf. »Aber…«

      In diesem Moment erklang die Melodie von ›Rule Britannia‹ und Jack, der gerade aussteigen wollte, schob sich wieder auf den Fahrersitz zurück. Hektisch wühlte er in der Innentasche seines Jacketts. Doch der Klingelton war abrupt wieder verstummt.

      »Na toll, wie immer«, sagte er genervt, dann bekam er das kleine Telefon zu fassen. UNBEKANNTER ANRUFER stand auf dem Display. Mit einem leisen »Scheiße!« steckte er es wieder ein und schloss den Wagen ab.

      Grace empfing ihn bereits mit dem aufgespannten Schirm. »An deiner Ausdrucksweise müssen wir bis Mittwoch dringend noch arbeiten«, sagte sie leicht ironisch, während sie mit schnellen Schritten zum Hauseingang liefen.

      Jack sah sie fragend an. »Mittwoch…?«

      »Du hast es vergessen.«

      »Ich habe gar nichts vergessen. Was denn?«

      Grace lachte und bereute es sofort, denn der Kopfschmerz meldete sich mit einem neuerlichen Stich zurück. »Am Mittwoch ist die Gala in Harlow.«

      Jack verdrehte die Augen und klimperte mit dem Hausschlüssel. Er hatte es tatsächlich vergessen oder besser gesagt verdrängt. Auch wenn ihr Vater, den er sehr sympathisch fand, diese Wohltätigkeitsgala mit organisiert hatte, war er sich ziemlich sicher, dass diese Veranstaltung nicht nach seinem Geschmack sein würde.

      »Ach ja«, antwortete er. »am Mittwoch habe leider ich Kopfschmerzen.«

      Grace erwiderte diese Aussage mit einem sanften Schlag auf seinen Oberarm. »Hey, ich leide, OK?«, sagte sie. »Ich dachte immer, Männer kennen keinen Schmerz?«

      Jack musste grinsen. »Naja...«, begann er schmunzelnd und schüttelte den Schirm aus. »Wenn du dir Macintosh anschaust, kennen Männer sehr wohl Schmerzen. Ihre Frauen.« Noch einmal bekam er einen Schlag auf die gleiche Stelle; es würde wohl ein blauer Fleck werden.

      »Jetzt aber mal im Ernst«, entgegnete Grace humorlos, während sie die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf stiegen. »Kommst du mit, oder nicht?«

      Er überlegte kurz. Innerlich sträubte sich alles dagegen, insbesondere, da er gerade müde war und sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder etwas außerhalb seines Bettes zu unternehmen.

      »Ich denke nicht, dass ich da hin passe, Sweety.«

      »Das sagst du mir jedes Mal, wenn ich dich auf eine Party meines Vaters mitnehmen will.«

      »Und ich gebe dir jedes Mal die gleiche Antwort.«

      »Irgendwann wäre es schön, wenn du mal über deinen Schatten springst.«

      »Irgendwann, ja. Aber bitte nicht, solange noch diese Sache mit Byron in meinem Kopf rumschwirrt.«

      Diesem Argument wollte sie sich nicht widersetzen. »Okay. Dann werde ich mich eben alleine amüsieren.« Sie waren vor ihrer Wohnung angekommen.

      »Tu das, Sweety«, sagte Jack. »Ich muss mich jetzt erst mal mental auf morgen vorbereiten.« Mit gemischten Gefühlen dachte er an sein Gespräch mit Thomas Patterson.

       Als er kurz darauf sein Handy aus dem Jackett nahm und es auf den Garderobentisch legte, hatte er den unbekannten Anrufer bereits wieder vergessen…

      19.33 Uhr

      Verärgert steckte er sein Mobiltelefon wieder in sein Jackett. Der Anruf eines seiner Zöglinge hatte Lee Ashton gar keine positiven Nachrichten gebracht.

      Wenn man will, dass etwas richtig funktioniert, muss man es selbst machen. Diesen Satz hatte er schon früh zu seinem Leitspruch gemacht. Leider hatte er aber irgendwann feststellen müssen, dass man selbst nicht überall sein und nicht alles machen konnte.

      Die Jobs, die er an seine Zöglinge vergab, wollte er auch nicht selbst erledigen. Es waren schmutzige kleine Jobs. Keine Fragen, nur Geld und Stoff. Das waren die Bedingungen. Seine Zöglinge hatten keine andere Wahl gehabt. Selbst wenn, wie weit wären sie ohne ihn gekommen?

      Es war ärgerlich, verdammt ärgerlich, was ihm sein Zögling da berichtet hatte. Eigenmächtiges Handeln war absolut unerwünscht und auch gefährlich. Aber es war nun mal passiert. Ein Kollateralschaden, damit musste man immer rechnen. Sie waren in Lee Ashtons Plänen einkalkuliert.

      Er hatte seine Verärgerung zum Ausdruck gebracht und dann mit seinem klaren, analytischen Verstand die Situation untersucht. Dann hatte er den passenden Lösungsweg ersonnen und ihn seinem Zögling mitgeteilt. Die Sanktionen, die der Mann erwarten würde, hatte er ihm natürlich verschwiegen. Aber sie standen schon fest. Nachdem er Jack Calhey getötet hatte, würde er entsorgt. Wie ein Papiertaschentuch.

      Er blieb auf der belebten Straße stehen. Die Leute, bepackt mit Tüten, Kinderwagen schiebend oder in Telefongespräche vertieft, wichen ihm aus. Er musste sich eine Notiz machen, bevor er seinen Geistesblitz wieder vergaß.

       »Ich muss den Zeitungsartikel besorgen, zur Sicherheit.«

      Er zog sein Smartphone erneut aus der Tasche und tippte die Information in den integrierten Organizer. Dann steckte