J.P. Conrad

totreich


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Lee Ashton sicher, dass er es mit seinem Verstand weit bringen würde. Und er war sich endgültig darüber im Klaren, dass er Frauen hasste. Alle Frauen. Er hatte sowieso nie etwas mit ihnen anfangen können oder jemals für eine etwas empfunden. Sie waren dumm, genauso wie die Männer. Aber er mochte Männer, liebte Männer. Sie konnten ruhig dumm sein. Muskulös und gutaussehend mussten sie sein, das reichte ihm völlig und tut es heute noch.

      Heute konnte er mit Gewissheit sagen, dass er Recht gehabt hatte: Er hatte es weit gebracht. Er arbeitete für den größten Konzern der Welt. In einer verantwortungsvollen Position. Einer ungewöhnlichen Position. Kaum jemand wusste, was genau er tat und für wen. Sie alle waren ahnungslos. Naja, fast alle. Nach seiner sensationellen Entdeckung, die einer Goldader gleichkamen und aufgrund dessen die Operation Triple Jump initiiert worden war, wurden seine Befugnisse erweitert. Er war dankbar gewesen. Und fleißig. Er hatte Männer rekrutiert und sie zu seinen Werkzeugen gemacht. Es war wunderbar. Sie gehorchten aufs Wort und er konnte sie, im Falle eines Falles, einfach wie gebrauchte Papiertaschentücher entsorgen. Er genoss seine Überlegenheit, die geistige und die seiner Position.

      Lee Ashton wollte seine Sache gut machen. Er würde sie gut, nein noch besser machen. Niemand sollte sich beschweren können. Er war glücklich. Endlich hatte er seinen Platz gefunden. Endlich konnte er sein Genie sinnvoll einsetzen. Für jemanden, der es zu schätzen wusste. Für LJM.

       Montag, 12. April

      9.25 Uhr

      Die Kollegen des Départements Ille-et-Vilaine, die für die Untersuchung des Absturzes von Philippe Perrants Skyhawk verantwortlich waren, sollten weniger hilfsbereit sein, als Steve Highsmith es sich erhoffte. Sie hatten die tödliche Bruchlandung als Unglück abgeschrieben und damit war der Fall für sie erledigt gewesen. Menschliches Versagen wurde als Absturzursache genannt und damit sollten sich alle begnügen. Er selbst hatte sich nicht damit zufrieden gegeben und Perrants Büro antelefoniert.

      Den Block mit seinen wichtigsten Fragen darauf notiert vor sich, wartete er nun, zum Sekretariat Perrants durchgestellt zu werden. Nach einigen langen Sekunden verstummte der französische Schlager der Warteschleife und eine jungklingende Frauenstimme meldete sich. Highsmith räusperte sich und hoffte, dass seine Kenntnisse der französischen Sprache ausreichen würden, die folgende Konversation zu führen. Er konnte zwar – zur Freude seiner Bekannten – wunderbar Stimmen imitieren, aber wenn es um Fremdsprachen ging, war er eher eine Niete, was man ihm in der Schule auch immer wieder nur allzu gerne bescheinigt hatte.

      »Sekretariat Philippe Perrant. Sylvie Leprieux.«

      »Gute Tag, Madame. Mein Name ist Steven Highsmith. Ich rufe Sie aus England an. Ich bin von der Hertfordshire Constabulary, der Polizei der Grafschaft Hertfordshire.«

      »Guten Tag, Monsieur«, antwortete die Frau freundlich aber auch etwas überrascht. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

      Er erklärte ihr kurz den Sachverhalt über Byron Moores Tod und die Verbindung zu ihrem verunglückten Chef.

      »Das ist schrecklich« kommentierte die Sekretärin.

      »Ja, Madame. Der Grund, weswegen ich Sie nun also anrufe: In welcher Beziehung standen Monsieur Perrant und Mister Moore?«

      »Sie waren Geschäftspartner. Monsieur Moore war schon des Öfteren bei uns in Lille. Ich kannte ihn ebenfalls, daher hat mich die Nachricht von seinem Tod ja auch so getroffen. Und dann jetzt unser Chef. Es ist schrecklich. So kurz hintereinander.«

      Hektisch notierte sich Highsmith die Information. Er war fast schon stolz darauf, wie flüssig ihm das Französisch bisher über die Lippen gekommen war. »Welche Art von Geschäftsbeziehung war das?« fragte er dann.

      »Unser Unternehmen hat elektronische Bauteile von Moore Enterprises bezogen.«

      »Wissen Sie, wann die beiden Herren zuletzt Kontakt miteinander hatten, Madame?« Steve besah sich den Ausdruck von Moores Terminkalender.

      »Einen Moment, Monsieur«, sagte die Frau. Sie schien etwas nachzusehen. »Es tut mir leid«, sagte sie dann bedauernd. »aber ich habe keine Informationen gespeichert. Es liegt wohl schon wieder etwas länger zurück.«

      Gerade, als Highsmith zu einem Kommentar ansetzen wollte, fügte sie hinzu: »Ach, da fällt mir etwas ein: Monsieur Moore hat Monsieur Perrant angerufen. Ich hatte ihn zu ihm durchgestellt. Das war…«, sie überlegte kurz. »Anfang März, glaube ich.«

      Sie hatte Recht: Der Eintrag mit Perrants Namen stand unter dem 3. März in Moores Telefon. Steves Hirn ratterte. »Wissen Sie zufällig, worüber die Beiden sprachen?«

      »Leider nicht, Monsieur. Aber es war, wenn ich mich recht erinnere, ein sehr langes Telefonat.«

      »Hm. Ich danke Ihnen, Madame.«

      »Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen konnte, Monsieur Highsmith.«

      Er schmunzelte, als sie seinen Namen mit der ungewohnten französischen Klangfärbung sagte. Gerade in dem Moment, als er ein »Au revoir« erwidern wollte, fiel sein Blick auf das einzelne Wort, das er mit einem großen Fragezeichen versehen auf seinen Block geschrieben hatte.

      »Ach Madame… eine Frage habe ich noch.« Er machte sich keinerlei Hoffnungen, was diesen Punkt anging, dennoch wollte er die Frage noch schnell loswerden. »Hat Monsieur Perrant kürzlich eine private Reise unternommen?«

       11.30 Uhr

      Patricia Macintosh war mehr als ungehalten über die Tatsache, die kommenden zwei Wochen im vom launigen Aprilwetter gebeutelten Hertford festzusitzen, anstatt am Strand von Santo Domingo in der Sonne zu liegen. Die seit drei Tagen andauernde hitzige Diskussion mit ihrem unnachgiebigen Ehemann wurde durch das Läuten der Türglocke jäh unterbrochen.

      »Ich gehe schon«, sagte Hubert, knöpfte sich die graue Hausjacke zu und eilte rasch zur Tür. »Ist der Tee fertig?«

      Mit einem leisen Fluch auf den Lippen verschwand seine Frau in der Küche.

      »Guten Morgen, kommen Sie rein!«

      Jack und Grace bedankten sich und folgten der Aufforderung. Dann wurden sie vom Inspektor in das übermäßig geheizte Wohnzimmer der, wie sie fanden, recht kleinen Wohnung gebeten. Die beiden Gäste sahen sich fasziniert um: Der mit dem Duft von Lavendel erfüllte Raum war nahezu viereckig und verfügte nur über ein schmales Fenster mit schweren, bestickten Übervorhängen über bodenlangen Rüschengardinen. Vergeblich versuchte das Sonnenlicht, das Zimmer mit seiner ganzen Intensität, die Grace und Jack noch draußen dankbar genossen hatten, zu erhellen. Unterstützt wurde es mehr schlecht als recht durch die zu schwachen Birnen einer unter der hohen Decke hängenden altmodischen, geschwungenen Messinglampe mit hässlichen kleinen geriffelten Schirmen. Sie erinnerten Jack an umgedrehte Muffinförmchen. Das Wohnzimmer beherbergte zudem für seine geringe Größe viele Möbelstücke: Neben einer mit grünem Stoff bespannten, bieder und schwer wirkenden Couch und zwei passenden Sesseln, die um einen niedrigen Eichentisch herum standen, gab es dort zwei Anrichten, mehrere Bücher- und Wandregale, einen Fernsehtisch mit einem recht alten Röhrengerät sowie eine Standuhr, die gemächlich monoton vor sich hin tickte. Für eine besondere Reizüberflutung sorgten aber die vielen Dekorationselemente, unzähligen Vasen und der kitschige Nippes in Form von kleinen Engeln, Ballerinen und Kätzchen, die jede freie Fläche für sich beanspruchten. Ohne Zweifel war dies dem Sammlertrieb von Macintoshs Frau zu verdanken, die in diesem Moment mit einem großen Silbertablett den Raum betrat. Ihr Lächeln wirkte steif und gezwungen.

      »Guten Morgen. Tee?«, fragte sie knapp und stellte das Tablett etwas forsch auf den Couchtisch.

      Hubert strafte sie mit einem mahnenden Blick und bat seine Gäste, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dann gab er seiner Frau mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, dass sie sich entfernen sollte. Ein letzter, tödlicher Blick traf ihn, dann machte sie kehrt und verließ den Raum.

      Jack war innerlich amüsiert von dieser fast wortlosen, aber deutlich zu spürenden Feindseligkeit.