J.P. Conrad

totreich


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du denkst, das könnte eine Story wert sein?« fragte Butterworth zweifelnd.

      »Allerdings.« Nochmals deutete Jack auf das Pflaster. »Man versucht nicht ohne Grund, jemanden in seinem Auto eine Brücke runter stürzen zu lassen.«

      »Da ist was dran…«

      »Vertrauen Sie mir, Chef?« Jack sah Butterworth mit eindringlichem Blick an.

      Dieser stöhnte leise. »Ja, verdammt. Das weißt du, Junge.«

      »Dann geben Sie mir für die kommenden Tage Sonderurlaub. Als Gegenleistung bringe ich Ihnen die Story des Jahres.«

      »Sicher?«

      »Falls nicht, erwarte ich ohne Murren Ihre Sanktionen.«

      Butterworth zwang sich ein Grinsen ab. Er wusste selbst genauso gut wie Jack, dass er ein zu weiches Herz hatte und Jack allenfalls einen Rüffel erteilen und ihm einen unliebsamen Job, wie die Berichterstattung von den alljährlichen Kaninchenzüchtertagen in Loughton, aufbrummen würde.

      »Okay, Junge«, sagte er nach kurzem Überlegen und hob die Limonadenflasche. »Dann trinken wir auf die Story des Jahres, die die Auflage des Loughton Courier in die Höhe schnellen lassen und mich als Chefredakteur reich und berühmt machen wird.«

      Jack stieß mit ihm darauf an. Dann gab er ihm noch die Nummer von Macintosh. Für alle Fälle.

       17.04 Uhr

      Am Spätnachmittag, sein Kollege Kowalsky hatte bereits Feierabend gemacht, saß Jack alleine im Büro an seinem Schreibtisch und sah sich seine Notizen an: Informationen, die er bereits gesammelt hatte und Punkte, die es noch zu klären galt. Ganz oben auf seiner Liste stand, nach dem Vorfall des vergangenen Abends, Thomas Patterson. Mit Wehmut dachte Jack an den Verlust seines Mustangs. Steve Highsmith hatte Jack telefonisch mitgeteilt, dass er die Londoner Kollegen gebeten hatte, nach einem demolierten Geländewagen zu suchen. Patterson würden sie, um weiterhin keinen direkten Verdacht in Bezug auf die inoffiziellen Ermittlungen zu erregen, nicht behelligen.

      »Ich bin tot. Glückwunsch, Patterson.« In seinen Eingeweiden lehnte sich alles gegen diesen Mann auf. Aber wie hätte er Byron Moore in den Tod treiben können? Mit Psychoterror? Hatte er ihm vielleicht unter dem geheimnisvollen Kürzel LJM die Einladung geschickt? Und was hatte Philippe Perrant mit der Sache zu tun? Jack brummte der Schädel. Zu gerne hätte er einfach mal für ein paar Tage abgeschaltet, sich nach langer Zeit mal wieder seinem Hobby, dem Motorradfahren, gewidmet. Seine Kawasaki stand nun schon seit über einem halben Jahr unbewegt in der Garage und sehnte sich danach, ausgefahren zu werden.

      »Nein, ich muss hier dran bleiben. Ich muss! Erst, wenn ich die ganze Wahrheit kenne, kann ich wirklich abschalten.«, rief er sich selbst wieder zur Raison. Aber die Erschöpfung zerrte an seinen Nerven. Die Namen, Daten und Ereignisse verschwammen vor seinen Augen. An Konzentration war nicht mehr zu denken. Jetzt spürte er auch wieder den stechenden Schmerz hinter der Stirn und unbewusst tastete er nach dem Pflaster, unter dem sich die Wunde verbarg.

      »Ist es das wirklich wert?«, fragte er sich und dachte daran, dass er vor weniger als vierundzwanzig Stunden gerade noch mit dem Leben davon gekommen war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen und den Tag ohne nennenswerte Erfolge abzuschließen.

      Als er wenig später die Wohnung betrat und bemerkte, dass sie ganz im Dunkeln lag, fiel ihm wieder ein, dass Grace an diesem Abend auf der Wohltätigkeitsgala ihres Vaters war. Sie hatte zwar nach dem Vorfall der letzte Nacht absagen wollen, doch Jack hatte ihr versichert, dass das nicht nötig sei. Also hatte er nun Zeit für sich alleine, um abzuschalten und sich zu entspannen. Eine heiße Dusche und ein Fertiggericht aus der Mikrowelle wären der einzige Luxus, den er sich noch gönnen würde, bevor er vermutlich vor dem Fernseher einschlief. Aber es kam anders.

      Während den BBC News um zwanzig Uhr ließ Jack das plötzliche Läuten der Türglocke hochschrecken. Wer konnte das sein? Sofort schossen ihm mehrere Möglichkeiten durch den Kopf. Von Inspektor Macintosh, der ihm eine aufregende Entdeckung mitteilen wollte, über Thomas Patterson mit einem Maschinengewehr bis hin zu Byron Moore, der von den Toten auferstanden war.

      20.07 Uhr

      »Entschuldigen Sie die späte Störung, Mister Calhey«, sagte der schnaufende Steven Highsmith zur Begrüßung, nachdem er sich ins oberste Stockwerk geschafft hatte.

      Jack ließ ihn ein. »Was treiben Sie denn hier?« fragte er und sein Herzschlag fuhr langsam wieder auf einen normalen Takt herunter.

      »Können wir uns vielleicht irgendwo setzen?« Highsmith sah sich suchend um. Jack deutete in Richtung Esszimmer.

      »Es ist mir wirklich sehr unangenehm, Sie so spät noch zu belästigen.«, beteuerte der junge Kriminalbeamte nochmals und nahm am Tisch Platz. Der Umstand, dass Jack ihm im Hausmantel und mit einem von Übermüdung gezeichnetem Gesicht gegenüber saß, schien ihm die Situation nicht weniger unangenehm oder einfacher zu machen.

      »Kann ich Ihnen etwas anbieten?« fiel Jack gerade noch ein zu fragen, obwohl er schon vollkommen von dem eingenommen war, was jetzt folgen würde.

      »Danke, nein. Weswegen ich also hier bin…« begann Highsmith und atmete nochmals tief durch. Die vier Stockwerke steckten auch ihm in den Knochen, wie jedem, der den Weg durch das Treppenhaus nicht täglich nahm. »Der Inspektor hat eine neue Spur.«

      Jack wurde hellhörig.

      »Jemand erwartet auf dem heute Abend in Harlow stattfindenden Wohltätigkeitsball den ominösen Mister Black.«

      »Black? Wirklich?« Er brauchte keine Sekunde zu überlegen, der Name war ihm sofort wieder von der Einladungskarte an Byron präsent.

      Highsmith nickte. »Auch wenn es recht kurzfristig ist…«, erklärte er, sichtbar peinlich berührt. »Ich soll Sie persönlich abholen und unverzüglich dorthin bringen.«

      »Wieso mich?« Mit einem Mal fiel bei Jack der Groschen: Es war der Wohltätigkeitsball, auf dem Grace heute Abend war. Und folgerichtig erklärte Highsmith:

      »Weil die Polizei nach wie vor offiziell keine Ermittlungen durchführt, es Ihnen aber ein Leichtes sein wird, dort eingelassen zu werden, da der Ball vom Vater Ihrer Freundin veranstaltet wird. Der Inspektor erwartet uns beide ab neun Uhr in Harlow. Ich bin persönlich zu Ihnen gekommen, weil ich weiß, dass Sie ja momentan keinen fahrbaren Untersatz haben.«

      Jack überlegte kurz. »Ist das nicht zu riskant? Ich bin doch offiziell tot, oder?«

      Highsmith winkte ab. »Nehmen Sie das nicht so wörtlich. Wir wollen nur Patterson in diesem Glauben lassen und der ist in London. Wir wissen ja nicht einmal, ob er mit der Sache um Black und LJM etwas zu tun hat.«

      Jack wusste nicht, ob ihn das wirklich überzeugen konnte. Andererseits bat man nun um seine Hilfe. »Wie spät ist es?« fragte er und sah auf seine Armbanduhr.

      »Keine Panik, erst kurz vor halb neun. Ich darf also mit Ihrer Unterstützung rechnen?«

      »Selbstverständlich«, versicherte Jack. »Eine Hand wäscht die andere.«

      »Dann sollten Sie sich jetzt umziehen, damit wir losfahren können.«

      Jack stimmte zu und ohne weiter großartig über die absonderliche Situation nachzudenken, sprang er auf und ging ins Schlafzimmer.

      »Ich hoffe, Sie besitzen einen Smoking, Mister Calhey«, rief Highsmith ihn nach.

      Er besaß in der Tat einen und heute sollte er ihn auch zum ersten Mal tragen.

      »Es ist immer gut, einen Bratenrock im Schrank zu haben, man weiß ja nie!« hatte Grace zu ihm gesagt und er war ihr dankbar dafür, dass sie wieder einmal, wie so oft, Recht gehabt hatte. Er hoffte nur, dass die vielen Ausflüge in diverse Fast-Food-Restaurants seit dem Kauf sich nun nicht rächen würden. Glücklicherweise passten Hose und Jackett jedoch