J.P. Conrad

totreich


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einer Rekordzeit von siebzehn Minuten - er hatte es sogar alleine geschafft, die Fliege zu binden - betrat Jack gestriegelt und gebügelt den Flur, wo Highsmith bereits auf ihn wartete.

      »Wie sehe ich aus?«

      »Perfekt«, war sein knapper Kommentar, dem es zu vertrauen galt, dann sah Highsmith nochmals auf die Uhr. »Wir sollten jetzt gehen. Mein Wagen steht direkt vor der Tür.«

      »Moment noch.« Jack ging schnell ins Arbeitszimmer und holte sein altes Ersatzhandy vom Schreibtisch, das er bereits am Morgen zum Aufladen wieder hervor gekramt hatte. Glücklicherweise hatte er damals auf eine zweite SIM-Karte bestanden und daher war er nun, nachdem sein eigentliches Mobiltelefon mit samt seinem Wagen verbrannt war, wenigstens unter der bekannten Nummer erreichbar. Außerdem fühlte er sich wesentlich wohler, wenn er selbst jederzeit Hilfe rufen konnte. Er kam zurück in den Flur, schnappte sich seinen guten Mantel und verließ dann gemeinsam mit Steve Highsmith die Wohnung.

      Macintoshs Assistent fuhr einen heißen Reifen mit seinem kleinen Vauxhall und für Jacks Geschmack etwas zu ruppig. Nachdem sie bereits einige Minuten schweigend nebeneinander gesessen hatten, fragte Jack:

      »Warum haben Sie mich eigentlich nicht schon telefonisch vorgewarnt, dass ich heute noch das Tanzbein schwingen soll?«

      Highsmith zuckte mit den Schultern. »Konnte ich nicht. Unser Superintendent saß mir die ganze Zeit im Genick. Ich glaube, er ahnt was von meinen Nebenermittlungen für Macintosh. Da bin ich nach Dienstschluss lieber gleich rübergefahren.« Er machte eine kurze Pause und schien abzuwägen, ob er noch mehr sagen sollte. »Ich gebe zu, dass es Macintoshs Idee war, Sie direkt vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das sollte Sie leichter dazu bewegen, mitzuspielen«, erklärte er dann.

      Das klang einleuchtend, auch wenn sich Jack zwischenzeitlich wie ein lebender Köder vorkam. Aber er stand mittlerweile auch tief in Macintoshs Schuld. Dass sich er Inspektor so für den Fall aufopfern würde, hätte er nie für möglich gehalten. Andererseits, so wie er ihn einschätzte, war es auch eine gehörige Portion beruflichen Ehrgeizes, die den Beamten anzutreiben schien.

      Nach gerademal einer Viertelstunde passierten sie schon das Ortsschild von Harlow und Jack bereitete sich mental auf sein Eintauchen in die Welt der Reichen und Schönen vor. Noch vor weniger als einer Stunde hatte er schläfrig und im Hausmantel auf dem Wohnzimmersofa vor dem Fernseher gesessen und jetzt war er im Begriff, im Abendanzug auf einen Wohltätigkeitsball zu gehen. Adrenalin pumpte bereits seit einer Weile durch seinen Körper und gab ihm die nötige Energie, die mittlerweile dreizehnte Stunde, die er nach weniger als vier Stunden Schlaf auf den Beinen war, zu überstehen. Er klappte die Sonnenblende nach unten und besah sich in dem kleinen Spiegel nochmals prüfend seine sorgsam zu einer kunstvollen Tolle frisierten Haare.

      »Gar nicht mal so übel, Jack!« Er hatte es sogar fertig gebracht, die Wunde auf seiner Stirn zu kaschieren.

      »Gleich haben wir’s geschafft«, verkündete Highsmith selbstzufrieden und bog in die Zielgerade ein.

      Vor ihnen, am Ende der Oxford Street, lag das großzügige und hell erleuchtete Anwesen der Harlow Charity Society, dem Ort, wo der Ball stattfand und auch Grace sich aufhielt. Sie hatte ihn bereits früher mehrfach gefragt, ob er sie begleiten wolle, aber er hatte immer dankend abgelehnt und sich bei seiner Entscheidung auf seinen nicht korrespondierenden Stil berufen. Es war einfach nicht seine Welt und umso mehr erstaunte es ihn, dass er jetzt, neben seiner inneren Anspannung, so etwas wie Vorfreude verspürte. Es würde auf alle Fälle eine angenehme Überraschung für Grace sein, wenn sie ihn dort treffen würde, noch dazu im feinen Zwirn.

      Highsmith lenke den Wagen abrupt an den Straßenrand und hielt hinter einem alten Rover. Dessen Fahrertür öffnete sich und Hubert Macintosh stieg aus.

      »Schön, dass Sie es so kurzfristig noch einrichten konnten«, begrüßte er Jack händeschüttelnd und nickte Highsmith anerkennend zu. »Kommen wir gleich zur Sache: Wie es aussieht, gibt es für uns da drin ein paar Antworten.« Macintosh deutete auf den viktorianischen Altbau am Ende der Straße. »Versuchen Sie zunächst, Miss Martins zu finden. Vielleicht kann sie Sie mit ihrer Zielperson bekannt machen. Der Mann, den Sie finden müssen, heißt Benjamin Walston.«

      Ein Kloß bildete sich in Jacks Hals. Er kannte den Namen aus der Zeitung; Walston war ein namhafter Privatbankier.

      Der Inspektor bemerkte Jacks Unsicherheit. »Keine Angst, Sie schaffen das schon. Sie sehen gut aus, genau richtig für die Party«, sagte er aufmunternd und klopfte ihm auf die Schulter. »Also: Dieser Walston hat ebenfalls eine Einladung von LJM erhalten und will heute Abend hier diesen Mister Black treffen, um ihm zu- oder absagen.«

      »Woher wissen Sie das?«

      Hubert holte kräftig Luft. »Ganz einfach: Nach der Sache mit Perrant habe ich mir nochmals Moores Notizbuch vorgenommen und alle angerufen, die ins Schema passten. Zum Glück waren das nicht allzu viele. Sie sollten sich bei mir melden, sofern sie eine ungewöhnliche Einladung erhalten würden. Fast alle hielten es wohl eher für einen Scherzanruf. Bis auf Mister Walston. Und der hat dann auch tatsächlich heute Nachmittag zurückgerufen.« Hubert hatte, um sicherzustellen, dass der Superintendent nicht ausversehen einen unerwünschten Rückruf erhielt, die Telefonate von seinem eigenen Handy geführt und auch nur seine Nummer und Highsmith’ direkte Durchwahl angegeben.

      Jack verstand. »Gut, dann werde ich mich mal in die Höhle der Partylöwen begeben«, sagte er, machte kurze Atemstöße und lockerte seine Glieder, als müsste er gleich in einen Boxring steigen.

      »Hier, nehmen Sie die.« Hubert drückte ihm eine kleine Digitalkamera in die Hand. »Wenn Sie den Mann identifiziert haben, versuchen Sie sicherheitshalber, ihn zu knipsen. Möglich, dass wir ihn unter anderem Namen in unserer Datenbank haben.«

      »Okay«, entgegnete Jack zögernd und verstaute die Kamera in seiner Innentasche.

      »Gut. Wir treffen uns dann nachher im Lions Pub.« Hubert deutete auf ein Gebäude mit einem beleuchteten grünen Schild, am anderen Ende der Straße. »Steve, fahren Sie ihn bis vor den Eingang, das wirkt etwas glaubwürdiger.«

      Highsmith sah ihn ungläubig an. »In dem Wagen?« fragte er erstaunt, doch Hubert blieb gelassen.

      »Natürlich. Allemal besser, als zu Fuß hier die Straße lang zu schlendern. Der Türsteher wird davon wahrscheinlich ohnehin keine Notiz nehmen, aber man weiß ja nie.«

      Gesagt getan, entstieg Jack wenige Minuten später Highsmith’ kleinem Vauxhall und ging mit starkem Herzklopfen die Treppe zum Haupteingang hinauf.

       21.03 Uhr

      Er läutete und kurz darauf öffnete ein Bediensteter mit weißen Handschuhen und einer deutlich arrogant gerümpften Nase die Tür.

      »Sie wünschen?«

      Jack besann sich seiner Antwort, die er sich zu Recht gelegt hatte und mit der er sich, ohne die Einladung, die bereits auf dem Grund eines großen Müllcontainers liegen musste, hinein komplimentieren wollte.

      »Jackson Calhey. Ich bin der Schwiegersohn von Mister Martins«, übertrieb er unauffällig. Soweit waren Grace und er ja eigentlich noch nicht.

      »Dürfte ich bitte Ihre Einladung sehen, Sir?« forderte der Eintrittsverweigerer.

      »Meine Frau müsste eigentlich schon hier sein, sie hat die Einladung. Mrs Grace M... äh, Calhey-Martins.« Damit würde er nie durchkommen, es war die schlechteste Lüge seines Lebens.

      Der Diener jedoch schien es sich mit niemandem aus dem Martins-Clan verscherzen zu wollen und trat, nach einem kurzen Blick auf seine Liste, zu Jacks Verblüffung beiseite. »Ich wünsche Ihnen eine angenehmen Abend, Sir.«

      Seines Mantels entledigt und mit kleinen Schweißperlen auf der Stirn betrat Jack den großen Festsaal.

      »Ich bin in der Hölle«, war das Erste, was ihm in den Sinn kam, als er sich umblickte. In dem aufgeheizten und von Champagnerduft erfüllten Raum tummelten sich mindesten zweihundert Männer und Frauen,