J.P. Conrad

totreich


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auf Doktor Leacham. Der saß mittlerweile am Schreibtisch und schrieb an seinem Bericht. Mit gedämpfter Stimme antwortete der Inspektor:

      »Möglicherweise. Jemand hat Ihren Freund bei seiner Rückfahrt von London umbringen wollen. Und dort hat er nur mit Patterson über den Fall Moore gesprochen.«

      »Was haben Sie Jack eben zugeflüstert?«

      Hubert grinste hintergründig. »Ich habe ihm meine Vermutung mitgeteilt, dass der Attentäter augenscheinlich davon überzeugt ist, Erfolg mit seinem Mordversuch gehabt zu haben.«

       5.00 Uhr

      Vivian tastete im Dunkeln nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe. Als sich der Raum erhellte, sah sie blinzelnd Aldous, der gerade das Bett verlassen hatte und dabei war, sich seinen Morgenmantel überzuziehen. Er drehte sich zu ihr um und machte ein entschuldigendes Gesicht.

      »Wo willst du hin?« fragte sie ihn verschlafen.

      »Schlaf weiter«, antwortete er leise und versuchte ihrem Blick auszuweichen.

      »Will er schon wieder etwas von dir?«

      Er antwortete nicht, während er den Knoten am Morgenmantel festzog und ins Badezimmer ging.

      Vivian ließ sich resignierend zurück auf ihr warmes Kissen sinken. In ihren Gedanken formten sich mit einem Mal wieder diese schrecklichen Bilder, die sie so oft verfolgten. Aldous hatte ihr nie erzählt, was genau er tat, wenn er ihre gemeinsame Wohnung verließ und sie hatte auch nie danach gefragt. Aber sie wusste genau, dass es nichts Ruhmreiches war. Ob er vielleicht Menschen erpresste? Oder sie tötete?

      »Nein, das kann einfach nicht sein!« Innerlich sträubte sich alles gegen die Vorstellung, dass sie mit einem Mann liiert sein könnte, der solche Verbrechen beging.

      Nach zwanzig Minuten hauchte er ihr einen zarten Kuss auf die Wange. Sie drehte sich dabei mit einem Grummeln auf die Seite, während sie den Geruch seines Aftershaves einsog.

      »Es tut mir leid«, flüsterte er.

      Sie fuhr ruckartig herum und sah ihn aus dünnen Augenschlitzen an. Eine ihrer roten Locken warf sich vor ihr Gesicht.

      »Was tut dir leid? Dass du neuerdings ständig irgendwo hin fährst, weil ER es sagt?« Als sie ihre eigenen Worte vernahm, merkte sie, wie sinnlos dieser Vorwurf war. Er war ein Gefangener, genau wie sie. »Ich… entschuldige.«

      Er strich ihr sanft über das Haar. Sie sah auch so früh am Morgen, müde und ohne jedes Makeup, einfach wunderschön aus. »Schon gut. Ich bin bald zurück, das verspreche ich dir.« Er stand vom Bett auf und ging Richtung Tür.

      »Aldous«, rief sie hinter ihm her und er drehte sich nochmal um. »Ich liebe dich.«

      Fast glaubte sie, ein Lächeln über seine Lippen huschen zu sehen. Dann verließ er ohne ein weiteres Wort den Raum. Vivian spürte, wie eine Träne über ihre Wange rann. Es war nicht die erste und es würde auch nicht die letzte sein. Sie hatte sich schon vor langer Zeit eingestanden, dass sie ihn brauchte. Ungeachtet dessen, welcher Arbeit er nachgehen mochte, war er der Einzige, dem sie in ihrem gemeinsamen Gefängnis vertraute.

      »Wenn er nicht mehr da ist…« Schnell verwarf sie diesen Gedanken wieder. Er war schrecklicher als alles, was sie sich in Bezug auf seine Arbeit jemals hätte ausmalen können. Selbst wenn er ein Mörder wäre, würde sie ihn lieben. Und das machte ihr Angst.

      Vivian sah auf die Uhr. Sie würde noch zwei Stunden schlafen dürfen, bevor der Wecker klingeln würde. Doch sie zweifelte daran, dass sie nochmal einschlafen würde. Dafür war sie mittlerweile viel zu aufgewühlt; durch die Angst um Aldous, ihre gemeinsame Zukunft und durch den neuerlich aufgeflackerten Hass auf IHN.

       8.33 Uhr

      »Na, mein Junge. Auch mal wieder im Lande?« James Butterworth knallte Kowalsky einen Stapel Manuskripte auf den Tisch und winkte Jack zu sich, der gerade seine Jacke abstreifen und sich an seinen Schreibtisch setzen wollte. Er und Kowalsky wechselten einen stummen Blick, dann folgte Jack seinem Chef in dessen Büro.

      »Mach die Tür zu, ja?«, sagte Butterworth und bat Jack, sich an den langen Glastisch zu setzen, an dem für Gewöhnlich die täglichen Redaktionssitzungen stattfanden. Jack setzte sich auf seinen üblichen Platz. Sein Chef nahm, anders als sonst, nicht am Kopfende, sondern direkt gegenüber von ihm Platz. Er räusperte sich, nahm eine der kleinen Limonadenflaschen, öffnete sie und trank einen Schluck, ohne den Umweg über eines der bereitstehenden Gläser zu gehen.

      »So«, sagte er forsch und stellte die Flasche ab. »Dann sag mir mal, was zum Teufel mit dir los ist?«

      Jack hatte nicht einmal Zeit, Luft zu holen, da fuhr Butterworth direkt fort: »Erst verlässt du ohne ein Wort die Redaktion, dann hinterlässt du dem armen Kowalsky konfuse Nachrichten auf dem AB, von wegen, du seist an einer großen Story dran und ich solle mich nicht aufregen deswegen.« Er verschränkte die Hände und beugte sich mit forderndem Blick nach vorne. »Hm?«

      »Das mit der großen Story stimmt.«

      »Worum geht's dabei?«

      »Das möchte ich noch nicht verraten.«

      Butterworth legte die Stirn in Falten. »Du weißt, du hast hier alle Freiheiten der Welt«, begann er. »Ein Traumjob. Wirklich, viele würden dich darum beneiden. Es ist nicht die Times. Gottlob, das weiß ich. Aber du verdienst gutes Geld und du hast mich bisher auch nur selten enttäuscht.«

      Das Lob ging Jack runter wie Öl.

      »Aber ich möchte wissen, was einer meiner besten Männer treibt, solange ich ihn bezahle, ihn aber weder an seinem Schreibtisch noch bei irgendwelchen Interviews sehe. Verstehst du mein Problem?« Butterworth setzte seinen väterlichen Blick auf; diesen kannte Jack sehr gut.

      »Ich habe jemanden interviewt, Chef«, sagte er wahrheitsgemäß.

      Sein Gegenüber lehnte sich zurück und kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »So? Wen?«

      »Thomas Patterson.«

      Butterworth fiel sofort die Kinnlade herunter. »Patterson? Von Moore Enterprises?«

      »Genau den.«

      »Wieso das denn? Seit wann kümmerst du dich ums Wirtschaftsressort?«

      Jack grinste hintergründig und blickte zur Decke. »Nicht ums Wirtschaftsressort, Chef. Aber um Mord und versuchten Mord.« Jetzt sah er Butterworth an. Dieser war sprachlos; beinahe.

      »Mord? Was soll denn das heißen? Mein Gott, jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Junge.«

      Jack wollte den Moment auskosten und öffnete ebenfalls eine Limonade. Erst nach einem langen Schluck antwortete er: »Man hat gestern Abend versucht, mich umzubringen. In meinem Wagen. Auf der Autobahn. Bei voller Fahrt. Nach meinem Gespräch mit Patterson.«

      Butterworth schüttelte fassungslos den Kopf und legte die Hand vor den Mund. »Deshalb hat dich deine Freundin her gefahren«, sagte er dann. »Und ich dachte, dein Ami-Schlitten wäre nur mal wieder in der Werkstatt. du lieber Himmel, Jack!« Er fuhr sich nervös mit der Hand über seine Glatze und legte sie dann Jack auf die Schulter. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

      »Naja, sagen wir: Ich hatte Glück.« Jack schlug die Haare zurück und legte den Blick auf das Pflaster frei.

      »Und was hat dieser Patterson damit zu tun? Und warum hast du ihn interviewt?« sprudelte es aus Butterworth heraus, der kreidebleich geworden war; eben wie ein echter Vater.

      »Das ist eine lange Geschichte. Es hängt mit den Ermittlungen um den Tod von Byron Moore zusammen.«

      Sein Chef nickte gedankenversunken. »Ja, ja. Kowalsky hat mir davon erzählt, dass Moore ein Freund von dir war, nicht?«

      »Ja. Hören Sie zu, Chef, ich kann Ihnen jetzt nicht alle Einzelheiten