Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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sehr groß zu sein, denn er nahm auf Dauer das Aussehen eines Menschen an.«

      Servina stupste Riana sachte in die Flanke. »Steh auf Tochter uns bleibt nicht mehr viel Zeit,« befahl sie eindringlich und Riana erhob sich mit zitternden Beinen.

      Riana folgte Servina, die sich an den Rand der kleinen Senke begab. Dort stieß ihre Mutter einen lang gezogenen Pfiff aus, der die ruhenden Einhörner aufschreckte. Die Mitglieder der Herde hoben ihre Köpfe und sahen ihre Führerin an. »Brüder, Schwestern bündeln wir die uns verbliebene Kraft, um Riana vor diesen Kreaturen zu retten,« rief sie ihnen zu.

      Mühsam erhoben sich die Einhörner und näherten sich Mutter und Tochter.

      »Was hast du vor Mutter,« fragte Riana ängstlich, die bemerkte, wie die Mitglieder der Herde einen Kreis um sie zu bilden begannen.

      »Ich bringe dich an einen Ort, wo du vor den Jägern des Barons sicher bist. An diesem Ort gibt es Menschen, in deren Legenden wir vorkommen. Sei vorsichtig im Umgang mit ihnen und halte dich nach Möglichkeit fern von ihnen. Auch unter ihnen gibt es welche, die nach magischem Wissen hecheln, wie die Hunde der Jäger nach ihrer Beute. Aber die größte Gefahr droht dir von den Suchern des Barons. Sie könnten dir dorthin folgen. Die Sucher sind Kishos beste Männer, was das Auffinden und Verfolgen betrifft. Sie werden nicht eher ruhen, bis sie dich aufgespürt und in Fesseln vor Kisho zerren können. Aber keine Angst meine kleine Riana, ich sorge dafür, dass dich nicht jeder gleich erkennt.«

      Über Riana bildete sich ein kuppelförmiger Lichtbogen, der sich auf das junge Einhorn herabzusenken begann. Riana von einer rätselhaften Beklemmnis befallen sträubte sich gegen die Entscheidung, die ihre Mutter zu treffen im Begriff war und Riana rief flehend Servina zu.

      »Mutter ich will bei dir bleiben.«

      Die Antwort Servinas kam als leises Flüstern durch die heller erstrahlende Erscheinung, die nun den Boden berührte.

      »Du bist alles was wir noch haben, unsere letzte Hoffnung, und ich sorge dafür, dass du überlebst. Selbst wenn ich sterbe, werde ich immer bei dir sein und über dich wachen. Kehre erst zurück, wenn der schwarze Baron dir nicht mehr schaden kann. Sei stark meine Tochter.«

      Verzweifelt versuchte Riana den Lichtbogen zu verlassen, doch ihre Beine ließen sich nicht bewegen. Sie schien auf der Stelle festzukleben. Riana erfasste ein ungeheuer Sog, der sie von ihrer Mutter wegzureißen drohte, obwohl sie sich mit aller Macht dagegenstemmte.

      Die Strömung nahm an Stärke zu, und um Riana begann sich schwarze Nacht, auszubreiten. Grell leuchtende Lichtpunkte, die in einem verwirrenden Muster umher tanzten, blendeten sie. Riana fühlte eine undeutliche Veränderung an sich vorgehen, die sie sich nicht erklären konnte und ehe sie in tiefe Bewusstlosigkeit stürzte, vernahm sie einen ohrenbetäubenden Knall.

      Riana sah nicht mehr den Speer, der die Flanke Servinas traf und sie sah auch nicht die grausamen Kreaturen, die mit ihren Hunden über ihre Herde herfiel. Ihr blieb auch der Sucher verborgen, der ihr mit einem gewaltigen Sprung in den magischen Wirbel zu folgen versuchte, fühlte aber auf unerklärliche Weise seine Anwesenheit.

      Als wäre der Sucher gegen eine undurchdringliche Wand gelaufen, prallte er von der wirbelnden Erscheinung ab und stürzte zu Boden. Benommen blieb er neben Servina minutenlang bewegungslos liegen und wartete darauf, dass die unbeschreiblichen Schmerzen in seinem Körper nachließen.

      »Du hast versagt Sucher, meine Tochter wirst du nicht bekommen. Sie ist vor dir und dem Baron sicher,« vernahm Gallan der Sucher die schwache Stimme Servinas. »Du wirst Riana nicht finden, denn sie befindet sich an einem sicheren Ort, den nur ich kenne, und ich sterbe lieber, als ihn preiszugeben.«

      Servinas Atem ging röchelnd und Gallan wusste, dass ihm keine Zeit blieb, dem tödlich verletzten Einhorn sein Geheimnis zu entreißen.

      Gallans Gedanken überschlugen sich. Mit letzter Kraft war es der Herde gelungen, ihr jüngstes Mitglied vor ihm in Sicherheit zu bringen, was die Sache erschwerte. Der Befehl des Barons ließ keinen Spielraum für Entschuldigungen und Gallan sah sich unvermittelt in der Rolle des Versagers.

      Wütend sprang er auf die Beine, packte den Speer der Servina getroffen hatte. Mit einem Ruck riss er ihn aus ihrem Körper und schrie seine Wut hinaus.

      »Sag mir, wo du deine Tochter hingebracht hast.«

      Silbrig glänzend trat ein Schwall Blut aus der Wunde und ergoss sich ins Gras. Servina röchelte gequält, doch ihre letzten Worte, fraßen sich wie Feuer in Gallans Seele.

      »Kisho hat keine Verwendung für Versager und du weißt, wie er mit ihnen umgeht.«

      Servinas letzte Worte versetzten Gallan in Angst. Schwer atmend stand Gallan der Sucher auf seinen Speer gestützt da und überlegte fieberhaft. Dem Einhorn war es tatsächlich gelungen, ihn zu verunsichern.

      *Sicher er wusste nicht, wohin das Junge durch die Magie der Einhörner geschickt wurde, aber das schien ihm sein kleinstes Problem zu sein.* Die Stute traf mit ihren letzten Worten eine tief verwurzelte Angst vor der Grausamkeit seines Herrn.

      Dessen Befehl war bestimmt und klar. »Tötet die Herde, das Jüngste bringe mir aber lebend auf die Festung.«

      Gallan fröstelte bei dem Gedanken und in seiner Erinnerung zogen Bilder herauf, die er am liebsten vergessen hätte. Kisho ließ eines Tages die Sucher in dem weiten Hof der Festung antreten, um sie Zeuge werden zu lassen, wie er auf Versagen reagierte.

      Vor ihren Augen bestrafte er einen verdienten, dem Baron treu ergebenen Sucher aufs Grausamste. Ihm war es nicht gelungen das goldene Horn der wilden Reiternomaden, die weit im Westen Andorans umherzogen zu stehlen. Diesem Horn sagte man magische Kräfte nach, und es sollte jede Krankheit heilen und ewige Jugend schenken können.

      Kargon so hieß der Mann, stand vor Kisho und bettelte um eine erneute Chance, doch Kisho lächelte nur grausam. Was dann kam, verfolgte Gallan die folgenden Nächte und stürzte ihn in wilde Albträume. Kisho hob leicht seine Hand, aus der ein roter Lichtfaden auf Kargon zu glitt. Kargon schien fest mit dem Boden verwachsen zu sein, als sich sein Körper von den Beinen her zu verflüssigen begann. Seine Schreie um Gnade und die Beteuerung alles zu tun um seinen Herrn zufrieden zustellen halfen ihm nichts.

      Gallan schüttelte sich, wenn er nur daran dachte, wie er zusehen musste, als Kargon im Boden des Hofes zu versinken begann. Eine Pfütze Flüssigkeit breitete sich gemächlich um den Körper des Unglücklichen aus, dessen von Irrsinn gezeichneter Blick die Umstehenden Hilfe suchend ansah.

      Als Gallan sich von dem Schauspiel abwandte, sahen nur noch die Brust und der Kopf des Unglücklichen aus dem Boden, dessen Schreie inzwischen in Wimmern übergingen, bis sie ganz verstummten. Nur die nasse Kleidung und ein feuchter Fleck blieben von Kargon übrig.

      Noch ehe sich die versammelten Sucher von ihrem Schrecken erholen konnten, donnerte die Stimme Kishos über sie hinweg. »So ergeht es jedem der es wagt, mich mit billigen Ausreden zu vertrösten. Ich hoffe ihr habt verstanden, was mit denen geschieht, die versagen.«

      Noch Tage nach diesem Ereignis gelang es Gallan nicht seinen rebellierenden Magen zu beruhigen, der sich stets dann meldete, wenn die Bilder der Hinrichtung vor seinem geistigen Auge auftauchten. Sogar jetzt spürte er Übelkeit.

      »Hier sind die Hörner, wie ihr befohlen habt.« Die schnarrende Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.

      Ein Jäger trat in sein Blickfeld. Gallans Magen zog sich zusammen je näher die Gestalt kam. Sie stanken widerlich nach Verwesung, Exkrementen und Tod diese Kreaturen, von denen Gallan nicht wusste, wo sie herkamen. Im Auftrag des Barons hatte er schon fast ganz Andoran bereist, aber noch nie einen von ihnen gesehen oder davon gehört. Selbst auf seinen Reisen in ferne Welten, die er auf Kishos Anordnung hin unternahm, war er keinem wie ihnen begegnet.

      Plötzlich und wie aus dem Nichts tauchten die gnomenhaften Wesen, die Kisho Wurrler nannte auf. Anfangs sah Gallan nur wenige von ihnen, doch mit jedem Tag wurden sie mehr, bis sich die Kreaturen in der ganzen Festung aufhielten.

      Sie besaßen eine dunkle fast schwarze Haut