Bernat Fabre

Semana Santa


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von „King Kong und die weiße Frau“: Olga tobte vor Wut und schrie sich die Stimme aus dem Hals, was vermutlich darauf zurückzuführen war, dass sie ein muskelbepackter Gorilla mit mongolischen Gesichtszügen und unfeinen Manieren von hinten umklammerte. Während Olga in unterschiedlichen Sprachen passende Vergleiche zwischen den Vorfahren ihres Peinigers und der einheimischen Tierwelt zog, war ein zweiter Halbaffe – offenbar schien es hier ein Nest zu geben – damit beschäftigt, seine Wunden zu lecken. Jedenfalls verzierten fünf blutrote Streifen sein liebreizendes Antlitz – offensichtlich hatte ihm die Tigerin ihre Krallen durch die fiese Visage gezogen. Auch wenn Olga die beiden Herren bei einer Partie Bridge oder dem Studium der London Times gestört haben sollte, so verhalten sich keine Gentlemen. Mein unerwartetes Erscheinen führte zu einer kurzzeitigen Einstellung aller Kampfhandlungen, in der die beiden halbdebilen Muskelprotze sich darüber klar zu werden versuchten, was dies denn nun wieder zu bedeuten hatte. Ich beschloss, die Analyse etwas zu beschleunigen. Dazu versetzte ich dem Gorilla einen Aufwärtshaken, der auch Mike Tyson Ehre gemacht hätte – mit dem Unterschied allerdings, dass dieser danach nicht das Gefühl gehabt hätte, sich alle fünf Finger gebrochen zu haben. Dabei machte ich mir die geistige Notiz, dass ich wieder etwas getan hatte, was ich mir mein ganzes Leben gewünscht hatte: einem echten Arschloch die Fresse zu polieren. Immerhin führte dies dazu, dass der Ärmste nun jegliche Vorsicht fahren ließ und sich völlig ungeschützt in die Reichweite einer wütenden Version von Lara Croft begab. Olga nutzte die Situation jedenfalls eiskalt, lehnte sich in den Armen ihres Peinigers zu dessen Überraschung zurück, nur um Schwung zu holen und die Spitze ihres Stilettos mit Wucht auf der 12 jenes Bedauernswerten zu platzieren, der schon ihre Krallen und meine Faust zu kosten das Vergnügen gehabt hatte. Man hörte förmlich wie seine Eier bis zu den Mandeln geschossen wurden und diese Musik zauberte ein zufriedenes Lächeln auf Olgas aufgeplatzte Lippen. Dieser Baum war gefällt. Inzwischen war Gorilla 1 unter dem Druck der Ereignisse zu dem Entschluss gekommen, seine Gefangene kurzfristig sich selbst zu überlassen und sich einem leichteren Opfer – also mir – zuzuwenden. Drehe keiner Frau den Rücken zu, besonders dann nicht, wenn sie schlechter Stimmung ist. Und Olga war definitiv nicht gut gelaunt. Zwei wuchtigen Schwingern konnte ich noch mehr aus Zufall als durch Geschicklichkeit ausweichen. Dann stolperte ich in der Rückwärtsbewegung über den Typen, den Olga kurz zuvor entmannt und auf die Bretter geschickt hatte. Ich sah schon mein letztes Sekündchen gekommen, als der Halbaffe zum finalen Hieb ausholte. Stattdessen aber wurde sein Blick von einem Augenblick zum anderen glasig und er knickte mit unterirdischem Grunzen ein, um seinem unsanft entschlummerten Kumpel Gesellschaft zu leisten. Hinter ihm stand Superwoman und prüfte die Unversehrtheit der gusseisernen Bratpfanne mit der sie ihr zweites Opfer des Tages erlegt hatte.

      Olga war somit bester Laune als wir diesmal vergleichsweise geräuschlos das Weite suchten. Ihr Blick erinnerte mich jedenfalls verdächtig an meinen Kater, wenn er wieder einmal die Wurst vom Frühstückstisch stibitzt hatte.

      „Hast Du Deinen Kram?“

      Olga klopfte auf ihr Handtäschchen und antwortete:

      „Ja. Nichts wie weg von hier.“

      Nichts lieber als das. Einer Eingebung folgend, wahrscheinlich aber nur aufgrund der Aufregung, vergaß ich die Scheinwerfer einzuschalten. Ansonsten wäre das im Anmarsch befindliche Überfallkommando wohl gewarnt gewesen und hätte uns den Weg versperrt. So aber schoss der Hummer wie Nightrider auf die Straße und hätte die beiden Vans gerammt, die nun mit quietschenden Reifen auswichen, umdrehten und die Verfolgung aufnahmen.

      Jetzt wurde es wirklich eng. Angeblich sollte der Hummer 220 km/h bringen – Zeit das auszutesten. Die Ausfallstraße nach Figueres war schnurgerade – die entgegengesetzte Richtung zur französischen Grenze schien mir die schlechtere Wahl zu sein – also gab ich Gummi und rückte das Gaspedal durch, bis das Bodenblech Beulen bekam. Einen der Vans konnte ich rasch abhängen, doch der andere klebte an unserem Hintern wie Fliegen an einem Pferdeapfel. Plötzlich gab es einen Knall und der Seitenspiegel löste sich in einem Splitterregen auf. Diese Arschlöscher schossen auf uns.

      „Nun tu doch was!“

      Auch Olga war nun dabei, ihre Gelassenheit zu verlieren.

      „Und was?“

      „Woher soll ich das wissen? Du bist doch der Mann.“

      Typisch Frau.

      „Entschuldigung, aber ich muss mich gerade daran gewöhnen, dass auf mich geballert wird. Das ist eine neue schwerwiegende Erfahrung.“

      Allmählich wurde auch ich ziemlich sauer. Wie entkommt man einer Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd? Was hätte Bruce Willis jetzt getan? Mir viel nichts Besseres ein, als voll auf die Bremse zu treten. Olga und ich wurden in die Sicherheitsgurte gepresst, unser Verfolger krachte auf das Heck und die Anhängerkupplung des Hummers drang dicht oberhalb der Stoßstange in die Innereien des Motors ein, wie Olgas Stilettos in die Hoden des Gorillas kurz zuvor. Der Erfolg war vergleichbar: Der Hummer wurde zwar zum fliegenden Fisch, landete nach einigen Meter jedoch wieder sicher auf allen vier breiten Rädern, unser Verfolger geriet indes ins Schleudern, der Pistolero wurde vom explodierenden Airbag durch das Seitenfenster gequetscht, und schließlich landete der ganze Van im Straßengraben. Ich gab wieder Gas und eine Minute später verschwanden wir im Gewirr der mittelalterlichen Gassen von Figueres.

      „Du kannst das Licht jetzt einschalten“

      war Olgas ganzer lakonischer Kommentar. Nun ja, James Bond konnte sich jetzt auf den Weg nach Hause machen.

      DREI

      Trotz des heftigen Aufpralls hatte der Hummer kaum Schaden genommen. Die meiste Energie hatte die Anhängerkupplung des H3 aufgefangen. Außer dem Seitenspiegel hatte nur ein Rücklicht dran glauben müssen. Das ließ sich verschmerzen. Es geht doch nichts über solide Bauweise – Abgaswerte hin oder her. Es war zwar unwahrscheinlich, dass man uns gefolgt war, aber leider nur zu wahrscheinlich, dass man uns suchen würde. Der Hummer ist das Gegenteil eines unauffälligen Fortbewegungsmittels und deshalb war ich froh, den Wagen in der Garage eines Nachbarn abstellen und neugierigen Blicken entziehen zu können. Die nächsten Tage würde ich mich nach einem anderen Gefährt umsehen müssen.

      In den 70er Jahren, als die Costa Brava vom Tourismus entdeckt wurde, war Mas Oliva als eine künstliche Siedlung aus dem Boden gestampft worden, die nur in der Ferienzeit zum prallen Leben erwachte und dann von Oktober bis April in einen umso tieferen Dornröschenschlaf versank. Irgendwann zog die Touristenkaravane weiter und wie das auch im Dschungel der Kleinstadt so ist, wurde das freiwerdende Territorium von nachrückenden Einheimischen besetzt, die nun inmitten von Olivenhainen ein neues Zuhause fanden. In den letzten Jahren war dann das bislang letzte Kapitel aufgeschlagen worden: freiwerdende Wohnungen fanden auf einmal keine Nachmieter mehr, die bereit waren, die explodierenden Mieten zu zahlen. Da zog man doch lieber gleich in die schmucken neuen Plattenbauten, die zwar auch nicht billiger waren, aber einen höheren Komfort und eine bessere Anbindung an die Stadt boten. So betrachtet war ich ein Dinosaurier und einer der letzten meiner Art, der sich mit Wehmut an die wie üblich nicht nur gute, sondern wesentlich bessere Zeit erinnern mochte, als ich noch an den Wochenende die weißen Segelboote auf dem blauen Spiegel des Meeres zählen konnte, bevor mir rotbraune Hochhäuser die Sicht nahmen. Auch auf diese Weise kann man blind werden. Die kleine 3-Zimmerwohnung, die ich mein Eigen nannte, war immer meine Zuflucht gewesen, wenn ich Abstand von den Dingen brauchte oder einfach nur abschalten wollte. Es war nur logisch, dass ich sie als Refugium gewählt hatte, um das letzte Kapitel meines Lebens abzuschließen – ein Kapitel, das sich anschickte noch kürzer als erwartet zu werden.

      Ich hasse es, in ein dunkles Haus zurückzukehren. So sehr ich die Dunkelheit liebe, weil sie gnädig mit allem umgeht, was das Tageslicht brutal enthüllt, steht sie doch auch für Einsamkeit und Verlassenheit. Aus diesem Grunde begrüßte uns gedämpftes Licht aus dem Wohnzimmer, als ich die Wohnungstür aufschloss. Obwohl ich eigentlich todmüde sein sollte, hielt mich eine Überdosis Adrenalin immer noch aufrecht und unter Strom. Olga feuerte ihre Pumps in die Ecke und fragte nach dem Badezimmer. Kurz darauf hörte ich das vertraute Stottern der etwas altersschwachen Dusche und ich hoffte, dass es ihr gelingen würde, möglichst viel