Bernat Fabre

Semana Santa


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siento, aber an dem Teil des Plans hatte ich noch zu arbeiten. Ich weiß auch, dass die Sache löchrig wie ein Schweizer Käse ist, aber immerhin hat es gereicht, dass ich noch am Leben bin.“

      „Und ich möchte, dass das noch lange so bleibt.“

      Montse schaute mich nachdenklich an und lächelte dann.

      „Danke, Jan.“

      „Möchtest Du meinen Rat?“

      Sie nickte.

      „Mit Deiner List hast Du Dir ein wenig Zeit erkauft. Die Gangster waren entweder sehr dumm oder sehr schlau, Dich nicht umzubringen. Wahrscheinlich ist, dass sie erst Anweisungen von oben haben wollten, für den Fall, dass an der Sache etwas dran ist. Deshalb hat man Dich an die Russen zur Verwahrung gegeben.“

      Montse hatte die Knie auf ihrem Stuhl angezogen und hielt sie mit den Armen umschlungen. Sie nickte.

      „Das Problem ist, dass alles was Du an Beweisen und Informationen in Händen hast, eine geringe Halbwertszeit hat.“

      „Wieso das?“

      „Ganz einfach. Du hast eine Liste der sicheren Häuser und Sprengstofflager – die gibt man auf oder verlegt sie. Die Namen der Hierarchie: interessant, vielleicht weiß man jetzt nach wem man sucht, aber man weiß deshalb nicht, wie die Verbrecher aussehen und wo sie sich verstecken. Die ausgespähten Ziele: das ist noch am interessantesten, aber wenn es der ETA hier zu brenzlig wird suchen sie sich irgendwo anders neue Opfer; daran fehlt es ihnen ja nicht.“

      „Du meinst, sie brauchen nur etwas Zeit, um sich neu zu organisieren, und dann …“

      „… kannst Du Deine Listen auch in der L’Avanguardia abdrucken lassen. Nur dass es niemanden mehr interessieren wird.“

      „Mit anderen Worten: meine Lebensversicherung ist für den Arsch.“

      „Sagen wir es so: heute ist sie noch was wert, wie es morgen aussieht weißt Du nicht, übermorgen, naja, übermorgen brauchst Du einen anderen Plan.“

      „Plan B liegt auf der Hand – ich muss hier weg.“

      „Wahrscheinlich wäre es das Beste. So schnell und so weit wie möglich.“

      Montse dachte eine Weile nach und verdrückte dabei den Rest der caña. Wenn Angst und Hunger konkurrierende Elementartriebe des Menschen sind, hatte hier klar Letzterer die Oberhand.

      Zwischen zwei Bissen murmelte sie:

      „Kuba.“

      „Kuba?“

      „Da spricht man Spanisch und ich habe Verwandte in Havanna. Außerdem hat Philippe immer von der sozialistischen Revolution geschwärmt, da ist es doch vernünftig, wenn ich mir das mal in der Realität ansehe.“

      „Apropos Philippe. Was ist mit ihm?“

      Montses Miene verfinsterte sich.

      „Ich weiß es nicht und um ehrlich zu sein, ich will es auch gar nicht wissen. Nachdem ich versucht hatte, mich abzusetzen, wird man ihn wohl nicht mehr für zuverlässig halten. Wahrscheinlich wird er irgendwo in einem Wäldchen mit einer Kugel zwischen den Augen vermodern. Aber noch wahrscheinlicher ist, dass er weniger Glück gehabt hat. Die ETA hat ihre eigenen Methoden mit Verrätern abzurechnen – und solchen, die sie dafür halten.“

      Irgendwie verspürte ich kein gesteigertes Interesse, die näheren Details zu erfragen – jedenfalls nicht während des Frühstücks. Also wendete ich mich praktischeren Fragestellungen zu.

      „Also gut: Wie geht es weiter?“

      „Zunächst muss ich mir etwas Geld beschaffen.“

      „Beschaffen …?“ Ich dehnte das Wort wie ein Gummiband.

      „Na klar, Du weißt schon. Ab in die nächste Bank, Strumpfmaske, Pistole im Anschlag, alle hinlegen – Überfall, 2 Millionen in die Handtasche packen, mit dem Fahrrad zum Airport und ab nach Havanna. Ein Kinderspiel – habe ich schon oft gemacht.“

      An meinem säuerlichen Gesichtsausdruck war abzulesen, dass ich mich ausgiebig verarscht fühlte – und das ist etwas was ich wirklich nicht ausstehen kann. Montse begriff, dass sie den falschen Ton erwischt hatte.

      „Entschuldige. Während der Jahre in Montpellier habe ich regelmäßig Geld nach Hause geschickt. Wie ich meine Großmutter kenne, hat sie nichts davon ausgegeben, sondern alles für mich in Aktien und Immobilien angelegt.“

      „Na, dann wollen wir hoffen, dass es keine Anleihen von Lehmann Brothers waren. Im Ernst: Was das Geld angeht …“

      „Ja, ja, ich weiß, “ fuhr sie mir unwirsch ins Wort, „Keine Sorge. Du bekommst Deine 200 Bums-Euros wieder.“

      „Kannst Du mir vielleicht eine Minute zuhören, ohne mich anzuschnauzen oder zu veralbern? Wenn ja, dann darfst Du zur Kenntnis nehmen, dass mich die Kohle nicht interessiert. Ich wollte Dir eigentlich nur sagen, dass ich Dir mit etwas Geld aushelfen kann, wenn Du … naja, wenn es halt knapp werden sollte.“

      Es folgte betretenes Schweigen. Jeder von uns fixierte einen Punkt irgendwo 10000 Lichtjahre entfernt an und wartete darauf, dass der Klügere nachgibt. Und so kam es auch.

      „Es tut mir leid, Jan. Das ist total lieb von Dir, vor allem wenn man bedenkt, in welchen Schlamassel ich Dich herein gerissen habe. Ich bin eine dumme Ziege, aber es ist halt so lange her, dass ein Mann einfach nur nett zu mir gewesen ist.“

      „Entschuldigung angenommen. Ich verstehe schon, dass Du es nicht gerade einfach gehabt hast.“

      „Du hast weiß Gott genug für mich getan und Deinen Hintern riskiert. Ich muss aber mit den Problemen und den Mist, den ich gebaut habe, selber klar kommen. Ich möchte Dich daher nur noch um einen letzten Gefallen bitten.“

      Eine halbe Stunde später waren Montse und ich im Mini Cooper in Richtung Vilamaniscle unterwegs, in das kleine Dorf in der Sierra de Albera, in dem ihre Großmutter einen kleinen Hof betrieb. Unter den Sachen, die meine Ex-Frau zurückgelassen hatte, hatte sich ein buntes Strickkleid gefunden, dass Montse leidlich passte. Um ehrlich zu sein, fand ich es hinreißend, da es genau an den Stellen etwas knapp saß, die die Blicke eines normal empfindsamen Mannes als erstes anziehen.

      Von Roses aus nahmen wir die Landstraße, die sich an den Hängen der Sierra entlang Richtung französische Grenze schlängelt. Der Himmel war mit Federwolken getupft und der erste Klatschmohn leuchtete in den Olivenhainen auf. Bis Vilajuega hing jeder seinen Gedanken nach, so dass ich um ein Haar die Ausfahrt in Garriguella verpasst hätte. Wir durchquerten den kleinen Flecken mit seiner turmartigen Kirche, ließen die Schildkrötenfarm rechts liegen und folgten der Beschilderung, die den Weg zum alten Kloster San Quirze de Colera weiß. Unser Ziel lag auf halber Strecke.

      „Was wirst Du jetzt machen?“ brach Montse schließlich das Schweigen. Ich zuckte die Schultern.

      „Ich weiß nicht. Abhängen, in den Tag leben, Jungfrauen aus Not retten, mal sehen. Ein paar Wochen bleibe ich noch hier.“

      „Und dann.“

      „Gehe ich an einen anderen Ort.“

      „Deine Unabhängigkeit möchte ich haben.“

      Unsere Ankunft auf dem Hof ersparte mir jeden Kommentar und das war auch gut so. Montse war erst vor wenigen Stunden in mein kümmerliches Restleben geplatzt, hatte es gut umgerührt und würde es heute wieder verlassen. Kein Grund, meine Lebensgeschichte mit ihr zu teilen – obwohl ich es gerne getan hätte.

      Die Masia war sehr klein, sehr alt, machte aber einen ausgesprochen gepflegten Eindruck. Die Fensterläden waren frisch gestrichen, die Blumenkästen mit den ersten Geranien bepflanzt, so dass der Eindruck entstand, man sei in den Alpen. Ziegen weideten in einem kleinen Pferch neben der Scheune. Eine schwarzweiße Katze kuschelte sich an die Seite eines ebenso grauen wie alten Hofhundes unbestimmbarer Abstammung, der sich die Streicheleinheiten offenbar gerne gefallen ließ und träge