Bernat Fabre

Semana Santa


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ein mitleidiges Lächeln, ungefähr so, wie die Mutter den kleinen Sohn anlächelt, wenn er erzählt, die Erde sei eine Scheibe.

      „Wenn ich heute zur Guardia gehe, bin ich morgen tot.“

      „Und was hindert diese Terroristen daran, Dich auch ohne Visite bei der Polizei aus dem Wege zu räumen?“

      Diesmal war Montses Lächeln listig. Sie leerte ihr Glas mit einem kräftigen Schluck. Zeit für eine neue Flasche.

      „Weil ich meine Lebensversicherung habe.“ Und schon tauchte sie in die unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche ab. Warum Frauen einen unstillbaren Hang zu transportablen Aufbewahrungsbehältnissen haben, die entweder das Ausmaß eines Müllcontainers oder einer Streichholzschachtel haben – Zwischengrößen nicht vorhanden – gehört zu den großen ungelösten Rätsel der Menschheit. Nachdem ihre Suche außer den bekannten Verschönerungsmitteln wie Lippenstift, Puder und Tuschkasten auch einen Akkuschrauber, einen halben Kasten stilles Wasser und einen aufziehbaren Plüschhasen zum Vorschein gebracht hatte, kramte sie schließlich ein abgegriffenes blaues Büchlein hervor, dass sie mir triumphierend reichte.

      „Das ist Deine Lebensversicherung?“ meinte ich ungläubig. „Dafür haben wir die Prügel riskiert? Eine Kurzausgabe von Platon’s „Thaitetos“?“ Machte einen extrem gefährlichen Eindruck.

      „Schlag’s auf.“

      Also blätterte ich mich durch den bedeutungsschweren Dialog zwischen Eukleides und Terpsion. Der Text hätte auch in Sanskrit abgefasst sein können, jedenfalls erinnerte ich mich dunkel daran, schon in der Schule einen möglichst großen Bogen um die einschlägigen griechischen Philosophen gemacht zu haben. Schwere Kost, bleischwer. Jedenfalls bis Seite 25. Danach wurde die Lektüre zumindest abwechslungsreicher. Nun war nur noch jede zweite Seite bedruckt und die freien Seiten mit langen handschriftlichen Reihen von Zahlen, Daten und Namen beschrieben. Hier hatte sich jemand ausgesprochen viel Mühe gegeben.

      „Es ist ein Fehldruck, den ich als besonderes Notizbuch zweckentfremdet habe.“

      „Nicht schlecht. Wer vermutet in einem solchen Schinken schon einen brisanten Inhalt. Der Inhalt ist doch brisant, oder?“

      Montse schnaufte verächtlich.

      „Natürlich ist er das. Die meisten dieser Affen haben noch nicht einmal eine Bibel in der Hand gehabt, geschweige dann ein anderes Buch. Wahrscheinlich ist die Mehrheit von ihnen nicht mal in der Lage, unfallfrei eine Banane zu pellen.“

      „Gut, aber was sind das für Information?“

      „Schau her.“

      Die machte es sich auf der Lehne meines Sessels gemütlich. Mein Gott, hatte die Frau eine süße Figur.

      „Hier: das ist eine Liste der gesamten Sektionsmannschaft mit Decknamen und Angabe der sicheren Häuser, in denen sie sich oft aufhalten. Hier lagern Waffen und Sprengstoff. Und das sind potentielle Ziele, die sie in der letzten Zeit ausgespäht haben.“

      Montse hatte Recht. Das Tagebuch war reines Nitroglycerin und mich beschlich das Gefühl, dass meine schöne Abendbekanntschaft, die ich so heldenhaft aus den Klauen der osteuropäischen Mädchenmafia gerettet hatte, noch einiges mehr zu berichten hätte. Das Buch mochte ihre Lebensversicherung sein, genauso gut konnte es aber auch ihr Todesurteil besiegeln.

      „Wenn Du damit zur Staatsanwaltschaft gehst, besorgt man Dir einen Platz in einem Zeugenschutzprogramm.“

      „Ja, ja, und danach ein anonymes Begräbnis. Du schaust zu viele amerikanische Krimiserien. Erst muss ich zwanzig Kilo zunehmen, dann bekomme ich ein neues Gesicht und dann erwischt mich eines Abends dann doch eine Kugel zwischen die Augen. Die ETA hat verdammt gute Kontakte bis in die Guardia und in die Politik. Da kannst du nicht einfach verschwinden. Die finden Dich früher oder später. Da hilft nicht mal eine Geschlechtsumwandlung.“

      Ein schwerwiegendes Argument und Montse als Mann wollte ich mir nun wirklich nicht vorstellen. Aber ich war trotzdem nicht überzeugt.

      „Deine Lebensversicherung taugt nur dann etwas, wenn die wissen, dass Du brisante Informationen hast. Wenn sie es aber wissen, dann jagen sie Dich erst recht.“

      „Im Gegenteil, wenn sie es nicht wüssten, hätte man mich längst in Beton gegossen und im nächsten See versenkt. Warum glaubst Du wohl, haben sie mich an die Russen-Mafia ausgeliehen und in diesen puti club gesteckt? Weil sie selbst nicht wissen, was sie mit mir machen sollen.“

      Mein normalerweise brillantes Auffassungsvermögen hatte sich wahrscheinlich längst zur Ruhe begeben, denn die Logik ihrer Argumentation blieb mir verborgen. Wenn diesen hart gesottenen Terroristen doch klar war, dass dieses Vögelchen besser niemals singen sollte, warum hatten sie sie dann nicht einfach umgebracht, statt in einem drittklassigen Bordell einzusperren. Abermals nahm Montse einen tiefen Schluck – auch die zweite Flasche neigte sich gefährlich zur Leere – und betrachtete mich mit dem gleichen zufriedenen Lächeln, das mein Kater aufsetzt, wenn er genau weiß, dass ihm die Maus nicht mehr entwischen kann.

      „Ich habe ihnen gesagt, dass ich die Informationen bei einem Freund gelassen habe und er sie an die Polizei weitergibt, wenn ich auf einmal verschwinden oder mir etwas zustoßen sollte.“

      „Hm, wer hat den jetzt von uns beiden zu viele Krimis geguckt? Und den Scheiß haben Sie Dir abgenommen?

      Montse setzte eine Miene auf, die irgendwo zwischen trotzig und beleidigt angesiedelt war und meinte sehr entschieden:

      „Ja, diesen Scheiß, wie Du meinst, haben sie mir abgenommen. Und jetzt bin ich müde. Gute Nacht.“

      Damit stand sie auf und gewährte mir noch einen Blick auf ihre entzückende Kehrseite, wo der Slip unter dem Rand des T-Shirts hervor blitzte und mich an den eigentlichen Sinn des Abends erinnerte. Montse verschwand im Gästezimmer, ich seufzte, nahm Keith Jarrett sein Piano fort und überließ die Gläser dem heraufziehenden Morgen. Als ich das Fenster weit öffnete und die Aprilkälte herein flutete, kuschelte ich mich unter die Decke und dachte einen Augenblick daran, dass in schlechten Filmen nun die Schöne nackt das Zimmer betritt, sich in die Arme ihres Retters wirft und ihn mit leidenschaftlichem Sex belohnt. Dies schien aber offenbar ein guter Film zu sein, denn die Tür blieb zu und ich schlief ein – allein.

      VIER

      Wenige Stunden später weckte jämmerliches Jaulen von jenseits der Straße. Es musste gegen 9.00 Uhr sein, genau die Zeit in der der zottelige Labrador von Gegenüber seine Alphatierchen zu einem Spaziergang zu animieren pflegt. Das passte hervorragend zu dem Kater, der sich hinter meiner Denkerstirn breit gemacht hatte. Es war ein kühler Frühlingstag, die Sonne stand niedrig am Himmel, die ersten Schwalben machten vor dem Fenster Jagd auf vorwitzige Insekten. Der Hund hatte aufgehört zu bellen und friedliche Stille machte sich breit. Eigentlich ein Morgen geschaffen für gute Laune, Frühstück im Bett, Croissants mit viel Marmelade, aber die Stiche in der Magengegend erinnerten mich düster daran, dass ich wohl nicht mehr allzu viele Tagesanbrüche würde feiern können. Nun ja, Krümel im Bett mag ich nicht, Croissants machen nur dick und für gute Laune gab es bei Licht betrachtet auch nicht viel Anlass. Ich warf eine Aspirin und zwei Malaaxil ein, in der Hoffnung, dass die Schmerzen auch dieses Mal wieder rasch verschwinden würden, und überlegte, wie ich den Tag beginnen sollte. Joggen gehen? Man sagt ja, Sport fördere die Abwehrkräfte des Körpers. Aber bei meinen bisherigen Trainingsprogrammen hätte ich dann ein Anrecht auf ein Alter von mindestens 102 Jahren haben müssen. Wozu also die Quälerei? Kurz bevor ich mich endgültig dem Selbstmitleid hingeben konnte, wurde mir bewusst, dass ich ja Damenbesuch hatte. Höchst attraktiven Damenbesuch sogar, der mir im Übrigen noch 200 Piepen für nicht erbrachte Dienstleistungen schuldete. Was soll’s? Wenn man es mal objektiv betrachtete, hatte ich gestern einen kinoreifen Abend verbracht, einschließlich Schlägerei, Verfolgungsjagd und Schusswaffengebrauch. Da war der Preis doch wohl angemessen. Kann man zynischer sein?

      Ich riet dem Kerl im Spiegel, aus dem Dreitagebart einen Viertagebart werden zu lassen, um von den müden Augen und den hängenden Mundwinkeln abzulenken. Mein Gott,