Bernat Fabre

Semana Santa


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nach gelungener Flucht, überstandener Schlägerei, Schusswechsel und Verfolgungsjagd gehen Jan und Olga zum romantischen Teil des Abends über. Die befreite Schönheit verfällt dem Charme ihres Retters und gibt sich ihm in verführerischen Dessous gewandet hin … irgendetwas sagte mir, dass das so nicht laufen würde. Inzwischen hatte die Dusche durch ein letztes Gurgeln kundgetan, dass der Reinigungsprozess abgeschlossen war. Ich goss mir erst mal ein Glas Wein ein, solange er noch kühl war und nahm einen tiefen Schluck. Dann wandte ich mich praktischen Überlegungen zu.

      „So wie die Gangster in Dich verliebt sind, werden sie Dich wohl zur Fahndung ausschreiben. Ich finde Du solltest so schnell wie möglich Deinen Typ verändern. Die Haare abschneiden, andere Farbe …“

      Olga tauchte aus dem Badezimmer auf. Aus dem Schrank hatte sie sich ein uraltes T-Shirt meiner Tochter gefischt. Wie zum Hohn lautete die Aufschrift „Life is too short to have bad sex.“. Ich nahm noch einen Schluck aus meinem Glas. Und das weniger, um meine unbefriedigten Triebe abzulenken, sondern weil die Veränderung im Outfit meiner Schönen doch extrem war: war Olga noch vor fünf Minuten eine langhaarige Blondine gewesen, stand mir jetzt eine Brünette mit Pagenschnitt gegenüber. Die Sache mit dem Friseur hatte sich jedenfalls erledigt. Offenbar war mir meine Verblüffung auf die Stirn tätowiert worden.

      „Ja, ja. Ich weiß. Aber Männer stehen nun mal auf Blondinen und lange Haare, das ist gut fürs Geschäft, cariño. Du brauchst gar nicht so zu gucken. Ohne Perücke wird mich so schnell kein Mensch erkennen. Oh mein Gott, wie habe ich diesen Flohteppich gehasst.“

      „Ich verstehe. Hast Du sonst noch Überraschungen parat? Gibt es etwas, das ich vielleicht wissen sollte?“

      Hätte Olga geantwortet, sie sei eigentlich ein Alien von Alpha Centauri, ich glaube nicht, dass mich das in diesem Moment noch allzu sehr aus der Bahn geworfen hätte. Sie sah mich einen Moment prüfend an und meinte schließlich.

      „Du hast Recht. Ich glaube, wir sollten reden. Immerhin hast Du meinen Arsch gerettet und das hätte sicher nicht jeder Freier getan. Du darfst mir übrigens auch ein Glas Wein anbieten.“

      Ich kramte ein Glas aus dem Schrank und schenkte ihr ein.

      „Es ist eine lange Geschichte.“

      „So fängt es immer an. Ich habe heute viel Zeit.“

      Olga versenkte ihren Blick in das Weinglas, das sie mit beiden Händen festhielt, als sei es für eine Hand zu schwer. Mit den kurzen brünetten Haaren sah sie weit weniger tough, sondern wesentlich verletzlicher, dafür aber doppelt so attraktiv aus.

      „Es fängt damit an, dass ich nicht Olga heiße. Mein Name ist Montse. Montse Puig.“

      Ein schöner Name. Doswedanja Olga, benvinguts Montse.

      „Weshalb gibt sich eine Spanierin in Spanien als Russin, Rumänin oder meinetwegen Ukrainerin aus?“

      „Katalanin in Katalonien – wenn ich bitten darf. Alle Mädchen in dem Puff kommen aus Osteuropa und haben einen „Künstlernamen“. Da wird aus Natasha eine Carmen, aus Ilona eine Maria …“

      „… und umgekehrt aus einer Montse eine Olga. Wozu das alles?“

      Olga, pardon Montse, nahm einen tiefen Schluck und dachte einen Moment nach.

      „Psychologie. Selbstschutz. Keine Frau liebt diese Arbeit oder ist gar stolz darauf. Die Mädchen werden von irgendeiner russischen Mafia hierhin geschleust, haben kein Geld, keinen Pass, verstehen kein Wort Spanisch. Sie haben geglaubt hier als Putzfrau oder Kellnerin mehr Geld als in ihrer Heimat verdienen zu können und werden stattdessen prostituiert. Da hilft es der Selbstachtung, wenn man wenigstens nicht man selbst ist. Nicht Natasha macht die Beine breit, es ist Núria oder Isabél.

      Soviel zu dem unter Männer weit verbreiteten Traum, in den Puffs dieser Welt gäbe es doch wenigstens ein paar Nutten, die dieser Arbeit nachgehen, weil sie von Sex mit Kerlen wie mir nicht genug bekommen. Ein Ruhmesblatt für das männliche Geschlecht sieht vermutlich anders aus.

      „Ich bin nicht weit von hier geboren, in Vilamaniscle, einem winzigen Flecken mit ein paar Bauernhöfen, einer Kirche und einer Kneipe am Fuße der Sierra de Albera. Mein Vater ist nach meiner Geburt abgehauen – scheint wohl eine Art Familientradition zu sein. Meine Mutter ist früh gestorben und so bin ich bei meiner Großmutter aufgewachsen. Damals besuchten Mädchen keine Schule. Mädchen heirateten, bekamen Kinder und kümmerten sich um ihre Männer. Für das Schulgeld hätte es eh’ nicht gereicht, aber meine abuela hat alles herangeschafft, was man nur lesen konnte, von der Tageszeitung aus der letzten Woche bis zu den Gedichten von Josip Pla – ich habe alles verschlungen, vor mir war nichts sicher.“

      Noch ein tiefer Schluck, ich schenkte ihr nach.

      „Tja … und dann kam er. Es gibt immer einen „er“ – nicht wahr? Philippe war Student der Literaturwissenschaften in Montpellier. Reiche Eltern im Baskenland. Weit gereist. Erzählte ständig von der Revolution in Kuba, Ché Guevara und dem Untergang des Kapitalismus, dem man nur den letzten Stoß geben müsse. Mein Gott, sah er gut aus, wenn er sich in Rage redete. Wir diskutierten nächtelang über Sartre und seinen Freundeskreis im Deux Margot, als hätten wir irgendwie dazu gehört. Dabei kann ich Paris kaum auf der Landkarte finden.“

      „Die große Liebe also.“

      Olga zuckte die Schultern. „Ja, dachte ich jedenfalls. Eines Tages war er fort. Kein Abschiedsbrief, keine Lebewohl. Er hatte sich mit meiner Unschuld einfach davon gemacht.“

      „Das könnte jetzt das Ende der Geschichte sein … ist es aber wohl nicht, oder?“

      „Nein. Im Gegenteil, es ist gerade mal der Anfang. Ich habe meiner Großmutter ein paar tausend Peseten gestohlen und bin nach Montpellier getrampt. Ich war wütend, ich war verletzt, ich wollte ihn zur Rede stellen. Er sollte mir ins Gesicht sagen, dass er mich nicht liebt. Und als ich ihn schließlich gefunden hatte, bekam ich kein Wort heraus und habe mich ihm einfach in die Arme geworfen. Ich war so eine dumme Kuh.“

      „Hört sich ganz so an. Aber auch unter Frauen soll es ein paar Idioten geben.“

      „Stimmt. Aber ich habe die Hitliste angeführt.“

      „Hat er Dich zurück geschickt?“

      „Nein, warum sollt er? Es war doch so … praktisch. Eine Frau im Haus, die kocht, putzt, wäscht, die Klappe hält und jede Nacht willig die Beine breit macht. Hombre, damals habe ich mich wirklich selbst zur Nutte gemacht. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich nicht nur praktisch, sondern nützlich war.“

      „Wie das?“

      „Philippe hatte nach seinem Studium einen kleinen Buchladen in Montpellier aufgemacht. Das Geschäft lief nicht besonders und ohne die monatlichen Schecks seiner Eltern wären wir schon nach drei Monaten pleite gewesen. Dann kamen immer öfter zwielichtige Typen zu uns, mit denen Philippe um die Ecken zog oder im Hinterzimmer verschwand. Und auf einmal war am Ende des Monats Geld übrig, ohne das auch nur ein Buch mehr verkauft worden wäre.“

      „Philippe hat Geld gewaschen.“

      „Wenn es nur das gewesen wäre. Es hat lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass die Typen nicht einfach nur ein paar kleine Gauner waren. Sie waren weit schlimmer, schwadronierten ständig davon, dass man das System radikal verändern muss und dass das ohne Gewalt nicht möglich sei. Philippe war bald einer von ihnen. Erst hat er Geld gewaschen, dann war er tagelang fort und wenn er wiederkam, hatten wir Geld – viel Geld.

      „Mafia?“

      „ETA. Philippe hatte sich den baskischen Terroristen angeschlossen und bekämpfte nun das System seiner Eltern, ohne deren Almosen wir nicht hätten überleben können. Ich weiß, dass er bei verschiedenen Banküberfällen dabei war. Er hatte auch Sprengstoff im Keller. Gott allein weiß, welches Unheil er sonst noch angerichtet hat.“

      „Und trotzdem bist Du bei ihm geblieben?“

      Montse schüttelte den Kopf. „Ja. Weil Liebe blind macht, Weil ich verrückt war, weil … ich weiß auch nicht.“