Bernat Fabre

Semana Santa


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ich mich auf in die Stadt. Ich wollte schon den Hummer aus der Garage holen, als mich der zerschossene Seitenspiegel daran erinnerte, dass ein so ausgefallenes Fahrzeug heute wohl besser den Blicken verborgen bleiben sollte. Stattdessen ging ich davon aus, dass mir mein Freund Paco nicht nur die Garage, sondern sicher auch einen seiner vielfältigen fahrbaren Untersätze leihweise zur Verfügung stellen würde. Da Paco abwesenheitsbedingt nicht widersprechen konnte, suchte ich an den naheliegenden Stellen nach den Fahrzeugschlüsseln und wurde nach ein paar Minuten schließlich fündig. An einem Bord mit der sinnfälligen Aufschrift „Llars“ hingen zwei Paare, die sich rasch als Schlüssel für den Quad und den Mini-Cooper erwiesen. Für den Quad war es mir zu kalt, also nahm ich den Mini und düste die kleinen Straßen von meiner Urbanización hinunter in die Stadt. Auf Höhe des Friedhofs – wie passend – verpasste eine der in Spanien so beliebten Asphaltschwellen mir einen Schlag in den Unterleib und dem Mini einen halben Achsenbruch. Danach versuchte ich gesitteter zu fahren, auch wenn das hieß, alle 50 Meter auf 30 km/h herunterzuschalten, um der nächsten banda sonora angemessen guten Tag sagen zu können. Der Hummer hätte diese Art der Geschwindigkeitsregulierung glatt ignoriert. Ich liebe fette Autos.

      Bei dem einzigen französischen Bäcker im Ort kaufte ich Baguette, Croissants und eine barca, eine Blätterteigpastete mit Schokoladenfüllung und vermutlich 5000 Kalorien, ein. Ausgeglichen wurde der gesundheitlich bedenkliche Auftakt mit frischer Ananas und Melone. Als Montse schließlich kurz vor Mittag aus dem Bett kroch und im Bad verschwand, hatte ich ein Frühstück bereitet, wie es einer Prinzessin Ehre erweisen würde, einschließlich frisch gepresstem Orangensaft und schwarzem Kaffee, der die Konsistenz von Schmieröl hatte und vermutlich einen eben solchen Geschmack aufwies, da ich von Kaffeekochen definitiv keine Ahnung habe. Das Frühstück begann mit beredtem Schweigen. Nach alter Journalistenmanier hielt ich den Mund und wartete darauf, dass Montse den ersten Schritt tat. Fast zehn Minuten lang starrten wir jeweils imaginäre, weit entfernte Punkte an. Meine Schöne war mit ihren Gedanken ganz offensichtlich Lichtjahre weit entfernt unterwegs.

      „Erde an Montse: bist Du da oder im Weltall verschollen?“

      Offensichtlich hatte sie die Sprechfunkanlage eingeschaltet, denn auf einmal lächelte sie mich zärtlich an, nahm meine Hand und küsste mich auf die Wange.

      „Danke. Danke, dass Du mich aus der Scheiße geholt hast. Danke, dass Du Deinen Kopf für mich hingehalten hast. Danke, dass ich diese Nacht bei Dir bleiben durfte.“

      Ich strich ihr zärtlich über den Kopf und küsste sie auf die Stirn.

      „Gern geschehen. Na ja, was hätte ich denn auch sonst tun sollen?“

      „Abhauen zum Beispiel. Warum wegen einer Nutte, die Dich auch noch um Deinen Spaß betrogen hat, Kopf und Kragen riskieren.“

      „Stimmt. Wäre eine Möglichkeit gewesen.“

      „Und warum hast Du es nicht getan?“

      Die Frage hatte ich mir auch schon gestellt. Reines Rittertum? Humanistische Erziehung? Volltrunkenheit? Schon möglich. Wahrscheinlicher aber war wohl, dass ich mich Hals über Kopf in diese schöne junge Frau, die mir gänzlich unbekannt war, verschossen und daher rein testosterongesteuert reagiert hatte, als hätte ich wirklich noch Zeit für eine neue Beziehung. Das konnte ich ihr aber wohl schwer erklären. Also versuchte ich es mit einer meiner berüchtigten lockeren Sprüche.

      „Weil ich doch keine Prinzessin in den Klauen des Bösen zurück lassen kann. Das hat mir jedenfalls mein Vater einmal beigebracht.“

      Montse lächelte – das war zumindest eine freundlichere Reaktion als ich es sonst gewohnt war. Gewöhnlich lösen meine Sprüche eher gequältes Lächeln oder Augenverdrehen aus.

      „Na, dann danke ich Deinem Vater für Deine gute Erziehung.“

      Mit langsamen Kreisen bestrich sie gerade ihr drittes Croissant mit Erdbeermarmelade, während ich nicht einmal ein erstes Stück Baguette verdrückt hatte. Danach betrachtete sie das Ergebnis nachdenklich, als wolle sie die Zahl der Kalorien scannen. Das Ergebnis fiel zu Gunsten des Croissants aus – entweder hatte Montse die letzten drei Wochen nichts mehr gegessen oder sie gehörte zu den beneidenswerten Geschöpfen, die essen können, so viel und was sie wollen, ohne ein Gramm Fett anzusetzen. Ich jedenfalls gehöre nicht dazu. Gutes Essen und Trinken haben bis jetzt einen wichtigen Part in meinem Leben eingenommen und nur regelmäßiges Lauftraining hat dazu beigetragen, dass ich nicht aus dem Leim gegangen bin. Dem dritten Croissant folgte die Hälfte der Blätterteigpastete.

      „Ich habe nachgedacht. Über das, was Du gestern gesagt hast.“

      „Hm, ich sage viel, wenn der Tag lang ist.“

      „Naja, dass man mir den Scheiß mit den geheimen Informationen abgenommen hat.“

      „Und?“

      „Vielleicht hast Du Recht und die Lebensversicherung ist doch nicht so viel wert, wie ich gedacht habe.“

      Zustimmendes Grunzen meinerseits.

      „Ich meine, vielleicht haben sie mir bisher geglaubt und ändern jetzt ihre Meinung. Und morgen steht dann jemand im Supermercado hinter mir und rammt mir ein Messer in den Rücken. Vielleicht suchen sie jetzt schon die ganze Gegend nach mir ab und stehen in ein paar Minuten vor Deiner Tür.“

      Unwillkürlich musste ich nach draußen schauen. Auf der Straße schlich langsam ein silbergrauer Seat entlang, bog dann aber in die Tiefgarage ein und verschwand darin. Es war einer meiner Nachbarn. Paranoia ist offensichtlich höchst infektiös.

      „Sortieren wir mal die Fakten: Du bist mit einer Reihe höchst brisanter Informationen abgehauen. Offensichtlich hat man Dich geschnappt, aber das Material nicht gefunden. Korrekt?“

      „Correcto. Ich habe es nicht einmal bis zum Bahnhof von Montpellier geschafft. Als ich aus dem Taxi stieg, haben mich zwei von Philippes „Freunden“ gepackt und in ein Auto mit laufendem Motor gezerrt.“

      „Und dann?“

      „Haben sie mich zum Essen eingeladen. Nein, irgendwo auf einem Parkplatz haben sie angehalten, mir ein paar Ohrfeigen verpasst, meine Sachen durchwühlt und als einer seine Pistole herausholte und den Schalldämpfer aufsetzte, habe ich gedacht „das war’s jetzt wohl“.

      „Und dann hast Du die Sache mit den Informationen und Deinem Freund, der darüber wacht, erfunden.“

      „Was anderes fiel mir nicht ein, ich war gerade etwas in Hektik“ gab Montse sarkastisch zurück.

      „Das Verrückte dabei ist: wenn sie das Buch gefunden und seinen Inhalt erkannt hätten, wäre ihnen bewusst gewesen, dass Deine kleine Geschichte nicht stimmt.“

      „Tienes razón. Stimmt. Dann wäre ich nicht hier, sondern würde inzwischen irgendwo an der Autobahn vergammeln.“

      „Immerhin haben sie Deiner Geschichte wenigstens soweit geglaubt, dass sie Dich nicht sofort umgelegt haben.“

      „Schön, dass Du der Sache jetzt auch etwas Positives abgewinnen kannst.“

      „Warum glaubst Du, hat man Dich an die Russen verschachert? Die ETA hat doch bestimmt genug Möglichkeiten, Gefangene zu verstecken.“

      „Sí, claro. Aber glaub mir: die Russen haben viel Erfahrung damit, wie man mit Frauen umgeht und sie gefügig macht.“

      „Haben Dich die Kerle wirklich, nun ja, ich meine …?“

      Völlig falsche Frage, Sensibilitätsfaktor null. Montse biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Schließlich antwortete sie:

      „Du meinst, ob ich die Beine breit gemacht habe. Ich glaube nicht, dass Dich das etwas angeht.“

      „Entschuldige, das war eine ziemlich dumme Frage. Aber um bei Deiner Geschichte zu bleiben, hättest Du doch den großen Unbekannten regelmäßig anrufen oder informieren müssen, dass es Dir gut geht, damit er die Sachen nicht zur Polizei schickt.“

      „An diesem Punkt waren wir wohl noch nicht angekommen.“

      „Wenn