Matthias Hahn

Wächter des Paradieses - Teil 2


Скачать книгу

      „So ist es“, bestätigte Sophia, „vielleicht sogar Monate“.

      „Und dann war vielleicht alles umsonst“, unkte Richard, dem bewusst war, dass er sich in diesem Fall für monatelange ergebnislose Grabungen verantwortlich fühlen würde.

      „Das ist nun einmal das Risiko eines Archäologen“, kommentierte Sophia. „Mindestens neun von zehn Probegrabungen bleiben ergebnislos oder bringen kaum Erkenntnisse.“

      „Beruhigend“, stellte Richard fest.

      *

      Später am Tag verabschiedete sich Richard vom Grabungsteam. Sophia drückte er besonders herzlich und wünschte ihr viel Glück. Was hatte er ihr und Victor nicht alles zu verdanken! Ohne die beiden wäre er vielleicht nicht einmal aus Saloniki herausgekommen.

      „Ich hoffe, wir sehen uns wieder“, sagte er, wohl wissend, dass die Wahrscheinlichkeit dafür nicht allzu hoch war.

      „Natürlich werden wir uns wiedersehen“, entgegnete sie, „ich spüre es.“

      Richard wandte sich an Kemal, den Assistenten von Professor Kilic und bedankte sich auch bei ihm für all seine Hilfe, besonders, als es darum ging, in Edirne einen Arzt zu finden. Auch Kemal dankte, vor allem für die Entdeckung des Gangs, und wollte sich dann an Victor wenden, der jedoch gerade mit einer innigen Verabschiedung von Sophia beschäftigt war.

      „Wenn Sie in Saloniki sind“, richtete Kemal deshalb seine Worte an Richard, „könnten Sie sich dort nach den Professoren erkundigen? In Istanbul hat sie nämlich niemand gesehen, weder in der Bibliothek noch irgendwo sonst in der Universität.“

      „Machen Sie sich Sorgen?“, fragte Richard nach.

      „Keine Sorgen, nein, es ist nicht das erste Mal, dass die beiden für ein paar Tage verschwunden sind, ohne sich abzumelden, aber dennoch …“

      „Wir werden uns nach ihnen erkundigen“, versprach Richard.

      Die Fahrt verlief ruhig. Richard war nicht nach Reden zumute, zu sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt. Mühsam versuchte er, das Erlebte in eine vernünftige Ordnung zu bringen. Aber auch Victor war ungewöhnlich schweigsam. Irgendetwas bedrückte ihn, ihn, der doch sonst immer so fröhlich war und das Leben so leicht zu nehmen schien.

      *

      „Ich fahre morgen früh um fünf mit einem Bus direkt nach Deutschland“, erklärte Richard. „Günther Mehl hat bereits alles organisiert.“

      „’auptsache billisch“, kommentierte Victor. „Aber isch dachte, du ’ättest noch eine’ Tag?“

      „Wahrscheinlich will er mich so schnell wie möglich loswerden.“

      Sie hatten sich zur späten Abendstunde zu einem letzten Treffen verabredet, saßen nun auf der Terrasse eines hübschen Cafés und genossen den Blick auf die herrliche Altstadt Salonikis.

      „So, dann verlässt du uns also endgültisch“, bemerkte der Franzose ein wenig sentimental. „Es war eine schöne Zeit. Isch ’offe, es ’at dir trotzdem gefallen, trotz aller Widrischkeiten.“

      „Dank dir und Sophia. Und den Professoren. Hast du etwas über sie herausgefunden?“

      „Nein. In der Bibliothek sind sie auch nischt gewesen. Jetzt weiß isch nischt mehr, wo wir sie sonst noch suchen könnten. So langsam mache isch mir Sorgen.“

      „Ob das damit zusammenhängt, dass ich ihnen von diesem Gang erzählt habe?“

      „Das kann isch nischt sagen. Aber isch denke, sie werden schon wieder auftauchen. Isch wette, wenn isch misch wieder im Lager melde, dann erwarten sie misch bereits und präsentieren mir voller Stolz ihre neuesten Entdeckungen.“

      Victor hing einen Moment seinen Gedanken nach, dann wechselte er das Thema. „Schade, dass du nischt dabei sein wirst, wenn sisch ’erausstellt, ob dein Gang das Tor zur Altarkammer ist oder nischt.“

      „Ihr könnt mir ja eine Postkarte schicken.“

      „Falls isch es selbst noch erlebe. Isch bin nämlisch auch nischt mehr lange ’ier. Übermorgen fahre isch wieder zur Grabungsstätte, aber in vierzehn Tagen muss isch nach Lyon zurück. Vielleischt se’en wir uns einmal in Frankreisch bei einem Glässchen vin rouge.“

      Er wandte sich der Bedienung zu, die gerade die bestellten Getränke servierte, und bedankte sich mit einem zärtlichen „Merci“, worauf die hübsche junge Frau ihn mit einem verlegenen Lächeln bedachte.

      „Wer weiß, vielleicht komme ich wirklich einmal nach Frankreich“, prophezeite Richard und schmunzelte über Victors umwerfende Wirkung auf die Frauenwelt. „Und Sophia?“, erkundigte er sich dann.

      „Bleibt natürlisch ’ier“, teilte ihm der Franzose mit einem Anflug von Wehmut mit. „Es war selbstverständlisch von vorne’erein klar, dass unser Glück nischt ewisch dauern würde. Aber nun, wo es so langsam dem Ende zugeht, wird mir doch ein wenisch weh ums ’erz. Sie ist mir wirklisch sehr an dasselbige gewachsen.“

      „Du redest ja so, als würdet ihr euch nie mehr wiedersehen.“

      „Wozu? Das macht doch alles nur noch schwerer. Außerdem warten in Frankreisch meine beiden Freundinnen Nathalie und Amélie auf misch, und es ist schon schwer genug, nur diese beiden unter einen ’ut zu bringen. Nathalie ist nämlisch ziemlisch eifersüschtisch. Das erfordert eine perfekte Terminplanung, damit keine von der anderen erfährt.“

      Richard betrachtete den Franzosen mit ganz neuen Augen. Er hatte doch immer geglaubt, Victor und Sophia seien das ideale Paar.

      „Du wirkst ein wenisch irritiert, mein Freund.“

      „Ja, ich habe die ganze Zeit gedacht …“

      „’ast du nischt auch eine Freundin?“

      „Nein, momentan nicht, und wenn, hatte ich immer nur eine.“

      Der Franzose betrachtete Richard voller Mitgefühl. „Ihr Deutschen seht immer alles so ernst.“

      Richard beschloss, beim Thema zu bleiben. „Was sagt denn Sophia dazu? Bist du dir überhaupt darüber im Klaren, wie sie sich fühlen wird, wenn du in Frankreich bist?“

      „Keine Angst“, erwiderte der Franzose lächelnd. „Sophia kann damit umge’en. Natürlisch wird sie misch vermissen, isch werde sie auch vermissen, schließlisch liebe isch sie.“

      „Du liebst sie?“, fragte Richard ein wenig ungläubig.

      „Sischerlisch“, bekräftigte Victor. „Aber das ist doch kein Grund, ein Drama daraus zu machen. ‚Die Liebe ist wie ein Vogel, man muss ihn fliegen lassen, ’ält man ihn fest, in einem Käfisch, dann verkümmert er.’ Das ist aus ‚Carmen’.“

      „So viel ich weiß, sind in ‚Carmen’ alle umgekommen.“

      „Du machst schon wieder ein Drama daraus, mein lieber Rischard. Ihr Deutschen wirkt immer so schrecklisch unbe’olfen, wenn es um die Liebe geht. Wie Schulbuben aus der achten Klasse.“

      „Danke.“

      „Das merkt man übrigens schon an eurer Sprache.“

      „Wieso?“

      „Deutsch ist so kalt und lieblos, so fürschterlisch unerotisch. Französisch dagegen ’at so ’errlisch viele O’s und U’s, wunderschöne Laute, bei denen sisch der Mund zu einem Kuss formt. ‚Voulez-vous coucher avec moi?’ Dreimal U, dreimal in diesem kleinen Sätzschen verspreschen deine Lippen deiner Angebeteten eine zärtlische Berührung. Und im Deutschen? ‚Wollen Sie mit mir schlafen?’ Ein einziges Mal ge’en die Lippen nach vorn, und das auch noch verbunden mit einem ’ässlischen Reibelaut.“

      „Aber dafür formt der Deutsche bei dem Wort ‚Kuss’ die Lippen zu einem Kussmund, der Franzose bei ‚baiser’ aber nicht“, entgegnete Richard schlagfertig.

      Victor