Matthias Hahn

Wächter des Paradieses - Teil 2


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in der Stimme, dann ließ sie ihn los.

      „Hast du das alles besorgt?“, fragte Richard überflüssigerweise und deutete auf den gedeckten Tisch.

      „Nein, die Heinzelmännchen“, konterte seine Mitbewohnerin.

      „Und das alles für mich?“

      „Ich freue mich eben, dass du wieder da bist“, erklärte Tabea, aber die reine Freude schien nicht gerade aus ihren Augen zu springen.

      Sie setzten sich an den Frühstückstisch, und Richard ließ sich die süße Erdbeermarmelade auf der Zunge zergehen. Schweigend saßen sie sich gegenüber.

      „Danke für die Karte“, sagte Tabea schließlich. „Sie lag heute Morgen im Briefkasten.“

      „Oh, dann war die Post aber schnell.“

      „Ja, sieht so aus.“

      Sie schwiegen erneut eine ganze Weile, dann versuchte Richard, den Faden wieder aufzunehmen. „Womit habe ich das alles nur verdient? Ich habe dir nicht einmal einen Stein mitgebracht. Nur eine Vase, aber die muss ich erst noch auspacken.“

      „Macht nichts“, entgegnete Tabea nur. Richard bemerkte, dass ihre Augen wässrig waren.

      „Was ist denn los“, wollte er wissen.

      „Nichts Wichtiges“, seufzte sie. „Kai hat mit mir Schluss gemacht.“

      „Tut mir Leid.“

      Betroffen schwieg er für einige Sekunden und überlegte, ob er Tabea in den Arm nehmen sollte, so verletzlich, wie sie wirkte.

      „Dann ist er also wieder aus Amerika zurückgekommen?“, erkundigte er sich stattdessen. Er erinnerte sich, dass das Auslandssemester seines Mitbewohners noch lange nicht zu Ende war.

      „Er ist schon wieder dort“, klärte Tabea ihn auf. „Er hat dort jemanden kennen gelernt, eine Amerikanerin, und jetzt will er drüben bleiben, bei ihr.“

      „Das ist ja schlimm“, kommentierte Richard etwas hilflos.

      „Nein“, wehrte Tabea ab, „er war eh nicht der Richtige. Es musste früher oder später sowieso so enden. Besser jetzt.“

      Eine Träne floss ihre Wange hinab. Richard schob seinen Stuhl neben den ihren und legte seinen Arm um sie. Sofort lehnte sie sich an ihn und begann zu weinen.

      „Psst!“, versuchte Richard sie zu beruhigen. „Wenn er dich so hat sitzen lassen, dann war er es wirklich nicht wert. Es ist gut so, wie es gekommen ist.“

      „Aber es ist doch irgendwie Scheiße“, schluchzte Tabea. „Wenn wenigstens ich mit ihm Schluss gemacht hätte und nicht er mit mir.“

      „Nicht weinen. Komm schon.“

      Aber Tabea heulte noch eine ganze Weile, bis sie schließlich ein „Danke“ murmelte. „Danke, dass du mich getröstet hast.“

      Sie richtete sich auf, und Richard rückte seinen Stuhl wieder von ihr weg auf seinen ursprünglichen Platz.

      Eine Weile aßen sie schweigend weiter.

      „Du siehst gut aus“, bemerkte sie schließlich.

      Richard befühlte seine Wange. „Ja, dank der Antibiotika. Aber es war ganz schön knapp. Ich wäre beinahe gestorben.“

      „Was?“, fragte Tabea fassungslos, und Richard erzählte ihr von seinen Erlebnissen in Edirne. Nur bei seinem Fiebertraum ließ er so manche Einzelheit aus, berichtete zum Beispiel nicht, dass der Engel, der ihn zur Höhle geführt hatte, die Gestalt der Schönen aus der Gothic-Disco angenommen hatte, und selbstverständlich erzählte er auch nichts von den delikaten Heilmethoden seiner Traumfrau.

      Tabea war auch so sehr beeindruckt. Richards Bericht war genau die richtige Medizin gegen ihren Seelenschmerz. Als hätte es Kai nie gegeben, verschwendete sie an diesem Vormittag keinen Gedanken mehr an ihn, sondern beschäftigte sich damit, Richards Erlebnisse und vor allem seinen Fiebertraum zu deuten.

      „Du hast den Gang aus dem Traum wirklich entdeckt?“, staunte sie ungläubig, als Richard auf dieses Thema zu sprechen kam.

      „Vielleicht“, korrigierte dieser. „Vielleicht ist es auch nicht dieselbe Höhle. Aber auf jeden Fall eine wichtige Entdeckung.“

      „Gratuliere“.

      „Und ich habe dort meinen ersten archäologischen Fund gemacht.“

      „Ja?“

      „Eine Plastiktüte. Mit zwei leeren Blättern drin. Lag direkt am Eingang. Ist wahrscheinlich von spielenden Kindern dort zurückgelassen worden.“

      „Hört sich sehr interessant an.“ Tabeas Stimme zeigte einen Hauch von Ironie.

      „Ich kann sie dir ja mal zeigen. Sie muss noch irgendwo in meiner Reisetasche stecken.“

      „Nein, mach dir keine Mühe. Hat diese Höhle in die Bogomilenhalle geführt?“

      Richard berichtete, dass diese Frage gerade von dem dortigen Grabungsteam in Angriff genommen werde. Danach wollte er wissen, ob Tabea und Theo neue Erkenntnisse gewonnen hätten, doch sie verneinte seine Frage. Ihr Blick wurde wieder merkwürdig abwesend.

      „Mit Theo stimmt irgendwas nicht“, erklärte sie schließlich. „Er ist so komisch geworden. Es interessiert ihn überhaupt nicht, was für Rätsel hinter Martin Finks Aufzeichnungen stecken, aber er hängt jeden Abend im Memphiskeller ’rum und wartet auf sein Supergirl. Aber wenn man ihn darauf anspricht, reagiert er total aggressiv. Vor drei Tagen hab’ ich mich in diesen Schuppen bewegt, um einen Termin mit ihm auszumachen, aber er hat nur dagesessen, vor seinem Bier, und war überhaupt nicht ansprechbar. Da bin ich wieder gegangen. Ist der öfters so übel drauf?“

      „Manchmal schon“, erinnerte sich Richard, „aber das vergeht wieder. Ich werde mit ihm reden. Mal sehen, ob ich ihn zur Vernunft bringen kann. Hast du heute Abend Zeit?“

      „Wozu?“

      „Damit wir uns treffen, alle drei. Ich habe die Dechiffrierung von Martin Finks geheimnisvollem Originaldokument mitgebracht. Es gibt einige Rätsel zu lösen.“

      „Und du meinst, dass Theo mitmacht?“

      „Sicher.“

      „Weißt du überhaupt, wo du ihn findest?“

      „Natürlich. Ich mache mich gleich auf den Weg“

      „Richard“, sagte Tabea ernst, „es ist wirklich gut, dass du wieder da bist.“

      *

      Aber Theo saß nicht auf seinem Lieblingsplatz hinter den Weinbergen, wie Richard vermutet hatte. Suchend überprüfte er den Himmel, konnte jedoch keine Krähen entdecken. Nur in der Ferne, da, wo die Hügelkuppe, auf der die Steinburg stand, nach Süden zur Stadt hin steil abfiel, schimpfte eine Schar Elstern in den Bäumen.

      Richard ging in Richtung der Lärmquelle, schon weil er sonst keine Idee hatte, wo er Theo suchen sollte. Und tatsächlich, die Vögel wiesen ihm den Weg. Am Rand des Abhangs saß Theo und starrte auf die Stadt hinunter. Er wirkte noch düsterer und hagerer als sonst.

      „Seit wann sprichst du mit Elstern?“, wunderte sich Richard halblaut.

      Langsam drehte Theo sich um. Kein Zucken seiner Miene verriet, dass er sich über Richards Erscheinen freute. Richard war sich noch nicht einmal sicher, ob Theo ihn überhaupt wahrnahm.

      Theo wandte seinen Blick wieder der Stadt zu. „Man kann sich seine Gesprächspartner nicht immer aussuchen, mein Freund“, brummelte er und schwieg.

      „Soll ich wieder gehen?“, erkundigte sich Richard nach einer Weile, doch Theo ignorierte seine Frage.

      „Sie sind nur am Meckern, diese Vögel“, gab er von sich, „kaum einmal ein Scherz oder eine positive Bemerkung.“

      Ein Auto brummte den schmalen