Gina Hemmers

KOPFKINO


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altmodisch. „Der ist wunderschön“, jubelte ich und fiel ihm erneut in die Arme, „wann hast du den denn hergebracht?“ „Vorgestern“, entgegnete er strahlend, „meine Mutter wollte ihn nicht mehr haben. Da dachte ich, hier würde er sich ganz gut machen, findest du nicht?“ Ich nickte begeistert.

      Nun war unsere kleine Hütte perfekt. Der Boden bestand aus Holz und auf ihm lag ein roter Teppich. In der Ecke stand ein rotes Sofa, dass mein Vater uns letztes Jahr hertransportierte. An den Wänden hingen zwei Poster und ein Bild eines seltsamen Wesens, dass Jake vor einiger Zeit herbrachte. Wir nannten es liebevoll Mathilde. Es war ein Insider von uns und jedes Mal, wenn wir uns in der Schule über Mathilde unterhielten, verstand niemand, wovon wir redeten und wir mussten grinsen. Es gab zwei Regale, auf denen sich Bücher stapelten. Einige handelten von Mord und andere von Sex und manche von beidem. Wir hatten auch einen Schreibtisch und einen Stuhl. Einen Fernseher gab es hier nicht, denn wenn wir hier waren, taten wir, nun ja, lieber andere Dinge. So auch an diesem Abend. Wir schlossen die Tür hinter uns ab. Er küsste mich. Im meinem Bauch wütete ein heftiger Sturm, der mich vollkommen in Jakes Bann trieb. Er hob mich hoch und meine Beine umschlossen seine Hüfte. Dann legte er mich sanft auf das Sofa. Er küsste mich noch drängender, denn er wollte mehr.

      Später lagen wir nebeneinander, kuschelten und lauschten dem Rauschen des Windes und der raschelnden Blätter.

      Es ist schön, etwas ganz für sich zu haben. Diese Hütte gehörte nur uns beiden und niemand konnte uns stören. Es gab keine nervigen Eltern, sondern nur uns zwei. Immer wenn wir uns hier aufhielten, fühlten wir uns wie im Urlaub. Jake gehörte nur mir. Die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten.

      Am Abend fuhren wir zu seiner Mutter. Dort parkten wir den Wagen in der Garage und betraten das Haus. Ich war etwa drei Monate nicht mehr hier gewesen, wie mir plötzlich bewusst wurde. Jake wollte mich immer lieber besuchen. Nichts hatte sich verändert. Fast nichts. „Hey Mum! Wir sind da“, rief Jake und ließ meine Hand los. „Ah… schön… schön… kommt…doch rein.“ Irgendetwas stimmte nicht. Sie hörte sich so schwach an. Wir hängten die Jacken in den Flur und ich betrat voller Unbehagen das Wohnzimmer, nicht sicher, ob ich sie wirklich sehen wollte. Jake stand dicht hinter mir. Frau Summer saß in einem Sessel. Ihr Erscheinungsbild ließ mich erschrecken. Ihre dünnen Arme lagen starr auf der Lehne. Sie waren blass und man sah die Adern pulsieren und die Knochen hervor treten. Ich blickte in ihr Gesicht und versuchte dem meinen einen freundlichen Ausdruck und nicht etwa Schock zu verleihen. Ihres war eingefallen und ihre kurzen, schwarzen Haare waren nun nicht mehr glänzend, sondern spröde und kaputt. Ihre Augen strahlten nicht mehr. Sie erinnerte mich in keiner Weise an die Frau Summer, die ich vor zwei Jahren kennen gelernt hatte. Damals war sie rundlich und voller Lebensfreude gewesen, hatte viel gelacht und allen möglichen Menschen immer einen Rat gegeben. „Hallo…“, sagte sie schwach. „Hallo “, riefen Jake und ich. Meine Stimme war ein wenig höher als sonst. Das Essen verlief die meiste Zeit schweigend. Er hatte zuvor etwas beim Chinesen gekauft. Frau Summer erkundigte sich nach der Schule und danach, wie es meiner Familie gehe. Von sich selbst erzählte sie wenig. Früher war es für mich immer schwierig gewesen, mit ihr zu sprechen, da wir weder gemeinsame Interessen, noch ein anderes Gesprächsthema hatten. Sie bemutterte Jake so sehr, dass es für mich zunächst mühsam war, ihn von ihr, zumindest ein bisschen loszueisen. Als sie nach dem Essen aufstand, bemerkte ich, dass sie schwankte. Auch der Rest ihres Körpers war eingefallen und dürr. Sie war viel dünner als ich und das, obwohl sie mich um Einiges überragte. Frau Summer murmelte: „Entschuldigt bitte. Ich bin so müde. Es war schön, dass du hier warst.“ Sie sah mich an und ich lächelte ihr zu. Jake stand rasch auf und stütze sie. Ich stand da, wie ein vergessener Regenschirm. „Ich fand es auch sehr schön. Danke, dass sie mich eingeladen haben. Und gute Besserung.“ Jake blickte mich irritiert an und verschwand mit ihr. Ich ließ mich wieder auf den Stuhl plumpsen. Mir schwante Böses. Hatte Frau Summer eine schlimme Krankheit? Sollte ich Jake danach fragen? Besser nicht. Ich redete auch nicht gerne über Dinge, die mir unangenehm waren. Vielleicht war es ja nur eine normale Grippe. Morgen ging es ihr bestimmt wieder besser. Aber was, wenn nicht? Vielleicht sollte ich doch besser einmal nachfragen.

      Wir fuhren schweigend. Ich versuchte eine interessante Unterhaltung aufzubauen, doch das Ergebnis war kläglich und so beschloss ich, es sein zu lassen.

      Vor meiner Haustür bedankte ich mich für den Abend und küsste ihn. Er lächelte schwach, drehte sich um und wollte schnell davon gehen, doch ich hielt ihn zurück. „Jake?“, rief ich und spürte wie mein Bauch rumorte, „Komm, wir setzten uns hier kurz hin.“ Er näherte sich mir langsam und setzte sich zu mir, auf die Treppen. Ich legte meine Hand in seinen Nacken und strich ihm durch die Haare. „Schatz, was hat deine Mutter?“, fragte ich ihn geradeheraus. Ich spürte, wie er sich unter meiner Hand verkrampfte und dass sich sein ganzer Körper anspannte. „Weißt du, Maus“, erwiderte er sehr langsam und nachdenklich, „ich möchte darüber jetzt nicht reden, ja? Wir sprechen wann anders darüber, okay? Es ist nichts Schlimmes.“ Es wirkte so, als würde er sich das selbst versichern wollen und nicht mir. „Du weißt, du kannst mit mir über alles reden. Also komm auf mich zu, wenn es ein Problem gibt und du nicht weiter weißt, okay?“ Er richtete sich auf, küsste mich auf die Wange und murmelte: „ Geht klar. Ich schlafe heute daheim, wenn es dir nichts ausmacht.“ „Kein Problem, wir haben ja auch gar nichts ausgemacht.“ „Bis morgen“, flüsterte er und küsste mich zärtlich. Wieder drehte er sich um und ging diesmal langsam davon. „Ich liebe dich“, krähte ich ihm wie ein Trottel hinterher und er wand sich vor seinem Auto um und strahlte mich verliebt an. „Vielleicht tue ich das auch“, feixte er. „Wie, dich lieben?“ „Genau“, sagte er grinsend und stieg ins Auto.

      Später bekam ich eine Sms.

       Ich liebe dich auch, mein Hasepupsi.

      Die Sms brachte mich zum Lachen. Wir gaben uns immer bescheuerte Kosenamen aus Spaß.

      Ich hatte nicht gewusst, wie schlecht es ihr ging. Ich hatte gedacht, es würde wieder vorbei gehen. Abends brütete ich noch kurz darüber. Doch so langsam, begann diese Erinnerung zu verblassen. Ich hatte Jake gesagt, er solle mir Bescheid sagen, wenn er Hilfe brauchte und erwartete, dass er dies tun würde.

       Noch fünfundzwanzig Tage

       Alpträume über Alpträume, warum? Es ist doch alles so schön, zwischen mir und meinem Schatz..

      Jake stand wieder bei mir im Zimmer und warf mir vor, ich wolle ihn die ganze Zeit verändern. „Das stimmt doch überhaupt nicht!“, rief ich mit Tränen in den Augen. „Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, mein Schatz, weil ich dich liebe! Ich würde alles für dich tun und das weißt du.“ Er raufte sich die Haare und meckerte dann: „Vielleicht ist es zuviel. Vielleicht tust du zuviel für mich. Du bist nicht meine Mutter!“ „Ich meine das doch nur gut! Ich liebe dich. Wenn du es nicht willst, dann versuche ich es zu lassen. Lass es uns doch noch mal versuchen, bitte.“ „Lass es einfach. Es nervt. Du nervst mich“, sagte er, mit versteinerten Gesichtszügen. Ich wurde wütend. „Du kriegst dein Leben ja nicht mal selbst auf die Reihe! Deine Mama muss dir alles in den Arsch schieben! Wie alt bist du, du Baby?! Du bist alt genug, um dein Leben selbst zu regeln. Ich hab dir nur geholfen, weil ich dachte, du brauchst es. Und du hast jedes Mal, meine Hilfe gebraucht, weil du selbst immer nur rum sitzt und darauf wartest, dass das Leben zu dir kommt. Krieg endlich mal deinen Arsch hoch und tue was und sitz nicht dauernd rum und blase Trübsal, dass dein Leben so schlecht ist.“ Wütend blickte er mich an. Das wollte er gar nicht hören. „Weißt du was? Ich habe keinen Bock mehr auf dich. Auf deine nervige Art, dich dauernd an mich zu klammern. Ich brauche dich nicht. Ich brauche niemanden, der sich Sorgen um mich macht, der mich immer kontrolliert und alles von mir wissen will. Ich will jetzt endlich wieder frei sein.“ Er schubste mich weg und ging zur Zimmertür. Ich stand da, wie betäubt. Ich konnte es nicht fassen, was gerade geschehen war. Was zum Teufel? Ich drehte mich weg und sah unsere Schmetterlingskette auf dem Schreibtisch liegen.

      Ich öffnete die Augen und spürte mein Herz wie verrückt rasen. Ich blickte hastig zur Seite, um mich zu versichern, dass er noch da war. Sein Gesicht war bedeckt und ganz ruhig lag er da. Fast wie tot. Ich kuschelte mich an ihn, hob die Decke hoch und drückte