Gina Hemmers

KOPFKINO


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      Ich hatte Frau Summer schon fast aus meinen Gedanken verdrängt und Jake gab mir auch keinen Grund, an sie zu denken. Er verhielt sich wie immer, verschlossen, doch nicht anders als sonst. Er passte immer noch höllisch in Religion bei dem Spitzel auf und auch in den anderen Fächern benahm er sich wie immer: In Chemie baute er nur Mist, mit Timmy zusammen, in Mathe verzweifelte er regelrecht und versuchte, bei mir abzuschreiben und in den Pausen unterhielten wir uns, mit unseren Freunden. Er besuchte mit mir, immer noch regelmäßig die Hütte und wir kuschelten immer noch mindestens zweimal die Woche, bei mir in meinem Bett.

      Aber heute war er irgendwie aufgeregt. Ich fragte, was denn los sei, aber er sagte nur, heute sei ein wichtiger Tag, ich solle die Daumen drücken. Mehr wollte er dazu aber nicht sagen. Also ließ ich es auf sich beruhen. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann hielt er daran fest. Mein kleiner Prinz, war ein richtiger Dickkopf. Beleidigt zog ich eine Schnute, denn normaler Weise sagten wir uns immer alles. Doch als er mich nach der Schule in die Arme schloss, vergaß ich es schnell und schon düste er mit seinem Wagen davon.

       Noch zwanzig Tage

      Als ich aufwachte legte ich mir wie immer zuerst die Kette mit dem blauen Schmetterling um den Hals. Ich begutachtete sie im Spiegel und sah wie die Flügel in der aufgehenden Sonne schimmerten. Ich erreichte die Schule um zwanzig vor Acht, versuchte mich so cool an die gewohnte Mauer zu lehnen, wie er es immer tat und wartete. Mein Herz hüpfte auf und ab und war schon freudig erregt. Gleich würde er kommen. Jedes Mal, wenn sich jemand großes, mit dunkelblonden Haaren näherte, richtete ich mich gespannt auf und fuhr mir durch die Haare und versuchte lässig drein zu schauen. Ich blickte auf mein Handy. Noch fünf Minuten und es würde schellen. So langsam wurde ich ungeduldig. Ich hasste es, wenn man mich warten ließ, das wusste er. Ich wartete. Und wartete. Aber Jake erschien nicht. So langsam wurde ich sauer. Ich kam mindestens zehn Minuten zu spät zum Unterricht. Der Spitzel, den ich schon wieder hatte, sah mich misstrauisch an. „Wo warst du?“ Ich überlegte mir rasch einen triftigen und unangenehmen Grund, damit er mich schnell in Ruhe ließ. Dann murmelte ich etwas von einem Notfall, ich hätte meine Tage bekommen, aber keine Binde oder Tampon gehabt und so weiter. Als ich gerade ins Detail ging, räusperte er sich mit hochrotem Kopf und sagte rasch: „Schon gut. Schon gut setzen sie sich.“ Die Klasse kicherte und Timmy zwinkerte mir zu. Dann flüsterte er: „Wo ist Jake?“ Das war wirklich das erste Mal, dass ich diese Frage nicht beantworten konnte. Ich zuckte die Achseln und sah wohl ein wenig besorgt aus, denn Timmy wisperte: „Mach dir keine Sorgen, Muffin Maus, dein siamesischer Zwilling hat mir gesagt, er habe im Moment echt viel um die Ohren, wahrscheinlich hat er sich deshalb nicht bei dir gemeldet.“ Timmy nannte mich Muffin Maus, seit wir zusammen in die fünfte Klasse gingen. Früher hatte sich in meiner Brotdose, nämlich jeden Tag, ein Schoko Muffin befunden, den er mir gelegentlich stibitzt hatte.

      Normalerweise rief Jake an, wenn er krank wurde, um mir das unnötige Warten vor der Schule zu ersparen. Doch ich wusste mit Hundert prozentiger Sicherheit, dass gestern Abend kein einziges Mal das Telefon geklingelt hatte und von meiner Familie hatte auch niemand telefoniert. Es befand sich keine neue Sms auf meinem Handy. In der Pause beschloss ich, ihn anzurufen. Denn er ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Doch es hob niemand das Handy ab. Nervös versuchte ich es auf Festnetz, aber auch dort, antwortete mir nur der Anrufbeantworter. Also verbrachte ich die restliche Pause mit Kathi, meiner besten Freundin seit dem Kindergarten und den anderen Mädchen aus meiner Klasse. Viele von ihnen sahen mich komisch an. Anscheinend schienen sie zu denken: „Klar, jetzt wo ihr toller Freund nicht da ist, kommt sie zu uns!“ Irgendwie hatten sie mit dieser Ansicht auch Recht, aber es war mir egal.

      Wieder ging ich zwei Stunden in den Unterricht, doch diesmal konnte ich mich gar nicht mehr konzentrieren. Ich kassierte eine schlechte Note in Physik, weil ich mich währen eines spontanen Testes, überhaupt nicht konzentrieren konnte.

      Liebe kann einen sehr verrückt machen.

      In der zweiten großen Pause rief ich Jake erneut an. Jetzt hatte ich Glück, denn er hob ab. Seine Stimme zitterte und klang verschnupft.

      „Ja?“

      „Hey Jake“, sagte ich aufgeregt, „zuerst war ich ja ein wenig wütend auf dich, dass du mir nicht abgesagt hast, aber dann habe ich mir Sorgen gemacht. Hast du geweint? Was ist denn los?“

      „Ich hab doch nicht geweint!“ Er lachte schrill und unnatürlich. „Ich habe nur eine Erkältung.“

      „Wirklich? Was hältst du davon, wenn ich mich um dich heute dann ein wenig kümmere? Ich könnte nach der Schule ja vorbei kommen und-“

      „Nein ist schon okay. Bis morgen.“ „ Warte doch mal-“ Doch da hatte er schon aufgelegt.

      Jake kam am nächsten Tag nicht.

      Und auch, an dem darauf folgendem Tag fehlte er.

      Er reagierte nicht auf meine Anrufe und rief mich nicht zurück. Auch auf meine Sms, bekam ich keine Antwort. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich war so verletzt und konnte nicht verstehen, warum er sich mir gegenüber so verhielt. Ich hatte doch nichts getan! Womit hatte ich das verdient? Wenn er mich nicht mehr wollte, konnte er das doch sagen. Das würde weniger weh tun, als das, was er jetzt mit mir tat. Unwissenheit ist das, womit man einen Menschen, am meisten bestrafen kann. Sich den ganzen Tag fragen, macht er jetzt Schluss mit mir, ist das Schlimmste. Und die Fragen, was habe ich falsch gemacht? Wieso liebte er mich nicht mehr? Ich hätte nur noch weinen können. Ich konnte mich nicht einmal mehr, auf meine Hausaufgaben konzentrieren. Abends schloss ich mich ein, warf mich auf mein Bett und weinte herzzerreißend. Mein Vater war noch auf der Arbeit und meine Mutter bei einer Freundin, so konnte ich all meinen Kummer lautstark rauslassen. Ich traute mich nicht einmal mehr Ich liebe dich zu schreiben, weil ich Angst hatte, es würde nicht mehr zurück kommen.

       Noch neunzehn Tage

      „Weißt du, lass uns noch mal treffen!“, schrieb er mir im Internet. „Was möchtest du denn?“, schrieb ich gleich zurück. Mein Herz hatte, gleich nachdem ich seine Nachricht im Postfach entdeckte, wie verrückt zu Rasen begonnen. In mir tat sich ein mulmiges und schlechtes Gefühl auf. Was wollte er? „Ich will einfach Spaß haben, mein Leben leben und mir keinen Brainfuck schieben.“ Ich lachte, obwohl es eigentlich nicht witzig war. Brainfuck. Das war typisch von ihm, sich der Verantwortung zu entziehen und einfach aufzugeben. Ich hätte es wissen müssen. Flieh nur vor deinem Leben, dachte ich. Flüchte vor allem, was Schwierigkeiten bereitet. „Und was willst du dann vor mir?“, schrieb ich zurück. „Einfach quatschen?“ „Ja genau“, waren seine Zeilen. „Okay, dann komm heute vorbei.“ „Ich kann aber erst nach zehn.“ „Kein Problem“, schrieb ich, „dann ruf mich an, dann komme ich raus.“ Im Endeffekt zog ich mich nicht an, denn ich glaubte nicht daran, dass er kommen würde. Ich schminkte mich jedoch hastig, aber meinen blauen Bademantel tauschte ich nicht aus. Vor Aufregung konnte ich mich nicht auf den Spielfilm konzentrieren, denn ich überlegte die ganze Zeit, worüber um Gottes Willen wir reden würden. Was konnte man reden, wenn man sich gerade frisch getrennt hatte? Was wollte er von mir? Ich zermarterte mir das Hirn. Schlussendlich vollkommen sinnlos, denn um halb elf schrieb er mir: „Ich kann doch nicht.“ Kein „Entschuldigung, dass du die ganze Zeit auf mich gewartet hast“. Kein „Es tut mir Leid, dass ich dich wieder versetzt habe“. Was willst du von mir? Warum machst du mich verrückt, wenn es dir anscheinend doch nicht so wichtig ist? Ist es dir peinlich, sollten wir uns begegnen? Lass mich einfach in Ruhe, denn du tust mir weh. All diese Gedanken schossen mir durch den Kopf. Und meine Laune war wieder vollkommen im Eimer. Meine Lebensfreude verschwand und ich fiel wieder in ein Loch hinein.

      Als ich die Augen in meinem Bett aufschlug, schmerzte mein Herz wie Hölle. Ich war verwundert darüber, dass die Bettdecke nicht blutrot war.

      Würde der Traum Wirklichkeit werden? Er redete nicht mehr mit mir. Mit feuchten, blinzelnden Augen schaute ich auf mein Handy und hoffte, das Nachrichtenfeld blinken zu sehen, aber es war nichts da. Kein „Gute Nacht“. Kein „Schlaf schön, meine Hübsche“ und kein „Ich liebe und vermisse dich, Süße.“. Ich fasste mir an meine Brust. Die Schmetterlingskette