Rainer Rau

Zwillingsmord


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mich. Sie können in Deutschland ungefährdet berichten. Nochmal, sagen Sie zu keinem ein Wort. Auch nicht zu Ihrem Mann.«

      »Ist gut. Wann treffen wir uns?«

      »Um 7.30 Uhr. Also müssen sie um 5.00 Uhr losfahren. Seien Sie pünktlich.«

      Er hatte sofort eingehängt.

      Anna Lena fragte sich, woher er überhaupt ihre Telefonnummer hatte. Und woher er über ihren Auftrag der Zeitung wusste. Wer war er eigentlich?

      Auf jeden Fall wollte er ihr helfen. Und er hatte Angst. Das hatte sie ganz deutlich gespürt. Sollte sie ihrem Mann davon erzählen?

      Sie beschloss, es zu unterlassen. Sie musste um 4.30 Uhr aufstehen und wollte ihn zu solch früher Zeit nicht wecken. Sie konnte ihn von unterwegs anrufen und sie war ja noch am Vormittag zurück.

      Zurück am Tisch fragte Ingo, wo sie denn so lange geblieben war.

      »Schlange vor der Toilette, Schatz.«

      »Dass ihr Frauen auch immer euer Näschen zwischendurch pudern müsst.«

      Nach dem Dessert nahmen sie noch einen Drink an der Bar. Dann war Müdigkeit angesagt und sie gingen aufs Zimmer. Schließlich wollte sie sehr früh aufstehen.

      2. Rückblende – Nasenbeinkorrektur

      Ilka Goldstein und ihre Zwillingsschwester Anna Lena sahen sich, bis auf eine kleine Auffälligkeit, wie ein Ei dem anderen ähnlich.

      Ilka hatte seit ihrer Geburt einen höheren Nasenrücken. Was zunächst nicht weiter auffiel. Dadurch waren sie von eingeweihten Personen zu erkennen, auch wenn sie, was nicht allzu häufig vorkam, getrennt auftraten.

      Sie waren jetzt 28 Jahre alt und gehörten nicht mehr zu der Generation, denen die Eltern, als sie noch Kinder waren, unbedingt die gleichen Kleider angezogen hätten. Allerdings wollten das Ilka und Anna Lena selbst so.

      Ihre Eltern versuchten, sie auch auf anderen Gebieten völlig unterschiedlich zu behandeln.

      Ihre Namen waren einmal ein Doppelname und einmal ein Einzelname, was zur Folge hatte, dass Anna Lena sich nur Anna rufen ließ. Die Sitzverteilung im Kindergarten brachten sie sehr schnell durcheinander, da sie zuerst getrennt untergebracht waren. Durch kräftiges Stören, es ging auch schon mal eine Vase entzwei, erreichten sie die Zuteilung der Sitzordnung nebeneinander.

      Auch bei der Einschulung brachte man sie zunächst in verschiedenen Klassen unter. Ein Leistungsabfall bei beiden, von einem weitsichtigen Lehrer erkannt, brachte sie wieder zusammen. Ihre Noten wurden daraufhin sofort besser.

      Erste Freundschaften mit Jungs wurden von beiden sehr locker genommen. Manchmal machten sie sich sogar einen Jux daraus, dass sie ihre Freunde tauschten und diese davon nichts mitbekamen. Wenn eine ein Date hatte, blieb die andere meistens in der Nähe.

      Das zahlte sich eines Abends aus, als Anna Lena von einem Jungen abgeholt wurde und dieser beim Nachhause gehen vom Kino in einer dunklen Ecke etwas alkoholisiert über sie herfiel. Anna Lena konnte sich zunächst ganz gut wehren und die Hände des Jungen von ihrem Busen fernhalten. Doch als er sie auf den Boden warf, sich auf sie legte und ihr unter den Rock fasste, schrie sie laut. Sie rief jedoch nicht um Hilfe, sondern den Namen ihrer Schwester. Diese hatte sich nach dem Kino noch ein Eis gekauft und verspätete sich somit um fünf Minuten. Da Ilka nicht sofort erschien, geriet Anna Lena in Panik und schrie lauter. Das empfand der Junge als gefährlich für ihn und er hielt ihr den Mund zu. Das hätte er besser nicht gemacht, denn der Biss ging bis auf den Knochen, was zur Folge hatte, dass Anna Lena eine kräftige Ohrfeige bekam und ihn wieder losließ. Nun bog Ilka um die Ecke und vertrieb den Jungen. Dieser lief so schnell er konnte. Gegen zwei hätte er es ja noch aufgenommen. Eine, die es doppelt gab, war ihm nicht geheuer. Er fluchte im Laufen etwas wie: »Scheiß Dosenbier, das macht nicht blind, man sieht doppelt!«

      Anna Lena und Ilka Goldstein mussten trotz der brenzligen Situation lachen.

      So waren sie bisher sehr aufeinander fixiert. Bis zu dem Zeitpunkt, als Anna Lena ihren späteren Mann Ingo Ebert kennen lernte. Ilka hielt sich seit dem ersten Kontakt ihrer Schwester zu Ingo schlagartig zurück.

      Nicht dass sie eifersüchtig gewesen wäre, sie spürte instinktiv, dass es mit Ingo und Anna etwas Ernstes war. Lediglich machte sich bei ihr eine tiefe Traurigkeit breit, die sie nach außen hin aber glänzend verbergen konnte. Eigentlich hätte sie sich für ihre Schwester freuen müssen. Das konnte sie aber nicht. Ihre traurigen Gefühle konnte sie sich erst viel später erklären. Diese hatten nichts mit ihrer Schwester zu tun. Diese galten dem Freund der Schwester.

      Nach wie vor erzählten sie sich alles. Und dazu gehörte auch Annas Bettgeflüster.

      Aber sie sprach in einer anderen Art von Ingo, wie sie das vorher von Klaus, Sven, Martin, Kevin, Patrick, Janosch, Peter, Michael und Norman getan hatte.

      Ilka verstand Anna sehr gut und freute sich für sie, wenn sie bei ihr war.

      Ilka Goldstein hatte wie ihre Schwester einen makellosen Körper mit Traummaßen, die sich wohl jede Frau wünschen würde. Der einzige Unterschied zu Anna Lena war die Frisur, die Ilka schulterlang trug. Das lenkte etwas von ihrem Nasenrücken ab.

      Ihre Nase machte ihr seit geraumer Zeit großen Kummer. Nicht nur, dass der Höcker größer geworden war, es kam ihr zumindest so vor, er schmerzte auch in letzter Zeit etwas. Eigentlich fingen die Schmerzen schon während der Studienzeit an.

      Während Anna Lena Journalismus und Politik studierte, lag Ilka eher das Fach Informatik.

      Zu dieser Zeit gab ihr eine Kommilitonin die Adresse einer Klinik in Hessen, die sich auf Schönheitsoperationen im Gesichtsbereich, Fettabsaugung und Brustoperationen spezialisiert hatte.

      Dort hatte Ilka auch mal angerufen und die Kosten für eine Nasen-OP erfragt, hatte den Fall aber schnell ad acta gelegt, da mit über 4000 Euro und ohne Kassenleistung zu rechnen war.

      Dann wurden die Schmerzen größer und der Arzt in der HNO in Gießen sagte ihr, dass dies nun keine kosmetische Sache mehr sei, sondern medizinisch notwendig wäre, folglich auch in die Gewährleistung der Krankenkasse fallen würde.

      Diese jedoch berief sich auf irgendeinen Artikel der Satzung und wollte zunächst keine Kosten übernehmen. Aufgrund einer schriftlichen Stellungnahme des Arztes ließen sie doch mit sich reden und wollten einen gewissen Satz von 72,6 Prozent der Kosten übernehmen.

      Ilka konnte sich nicht erklären, warum gerade 72,6 Prozent. Sie beließ es aber dabei mit einem Achselzucken und war bereit, die verbleibenden 1100 Euro zu bezahlen.

      Sie vereinbarte einen Termin mit der privaten Klinik, die ihr empfohlen worden war, und konnte sich eine Woche später zur ersten Untersuchung dort einfinden.

      In einem Fragebogen beantwortete sie alle Fragen wahrheitsgemäß, obwohl einige ziemlich indiskret waren. Sie konnte sich nicht erklären, was der Zyklus ihrer Menstruation mit ihrer Nase zu tun haben sollte. Ebenso war ihr die Frage nach Geschwistern, insbesondere nach Zwillingsschwestern oder Brüdern nicht plausibel.

      Sie sollte sich mit dem Ausfüllen der Fragebögen Zeit lassen, wurde ihr von der netten Empfangsdame gesagt. Es sah hier nicht aus wie in einer Klinik, eher wie in einem Hotel.

      So saß sie auch nicht in einem üblichen Wartezimmer, sondern auf einem Barhocker an einer Kaffeebar bei einem Latte Machiato, der auf Kosten des Hauses ging. So erklärte es ihr die junge Assistentin. Lediglich eine etwas älter aussehende Frau mit hochgesteckten Haaren, an deren Ansatz ein leichtes Grau zu erkennen war, passte irgendwie nicht in diese Praxis.

      Ilka Goldstein las gedankenverloren den Namen der Frau auf dem Anstecker ihres weißen Kittels und fand, dass Margaretha Laumann gut zu ihr passen würde.

      Oje, dachte Ilka, welch ein Kontrast. Zu einer solch modernen Praxis ein