Rainer Rau

Zwillingsmord


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entstanden ist, sollte nicht völlig umsonst gewesen sein. Es sollte ja heute anderen Menschen zugutekommen.

      Hohenfels war kein Nazi. Die Versuche mit Zwillingen, die Mengele machte, lehnte er ab.

      Allerdings war auch seine Mission nicht frei vom Weg des Schmerzes für die Probanden. Hohenfels war der Meinung, dass extreme Gefühlsregungen eines Zwillings bei dem anderen signalisiert werden würden und man sie dann auch messen könnte.

      Da er aber auf keine fundierten Daten zur Bestimmung von Messpunkten der Parapsychologie am Gehirn von Zwillingen zurückgreifen konnte, entwickelte er einen Messkranz, der in Stirnhöhe um den gesamten Kopf herumging. Über zwanzig Dioden konnten so feinste Hirnströme als Diagramm aufzeichnen.

      Eine parallele Datenspeicherung zu den Diagrammen erfolgte durch Messung der Herzfrequenz, des Pulses und der Drüsentätigkeit.

      Hohenfels war weiterhin davon überzeugt, dass sich negative Empfindungen besser transportieren ließen, als positive. Er begründete dies damit, dass ja auch eine negative Meldung in der Zeitung, etwa ein Flugzeugabsturz, länger in den Köpfen der Leser verweilen würde, als eine positive Meldung, wie etwa die Rettung eines Nichtschwimmers aus dem Wasser. Somit baute er alle Versuche auf erlebten physischen und psychischen Schmerz auf.

      Hohenfels hatte in den 1970er Jahren in England und in den Staaten Medizin studiert und bekam 1982 eine Anstellung in dem Universitätsklinikum in Gießen. Zunächst als Stationsarzt in der Unfallchirurgie, später dann als Chefarzt. In seiner Doktorarbeit ging er auf Forschungsergebnisse ein, die den Heilungsverlauf durch psychische Beeinflussung der Patienten beschleunigten.

      Da er jedoch keinerlei konkrete Fälle nachweisen konnte und zwar weder eigene, noch Ergebnisse von Kollegen, fasste er seine Doktorarbeit in einem Stil, der weder belegt noch dementiert werden konnte, ab. Ihm konnten somit auch keinerlei Plagiatsvorwürfe zur Last gelegt werden. Es befanden sich in seiner Dissertation viele nichtssagende Aussprüche, wie:

      »Die Parapsychologie ist die Wissenschaft übernatürlicher Phänomene. Da trotz mehrjähriger intensiver Bemühungen und diverser Forschungsreihen keines der paranormalen Phänomene nachgewiesen werden konnte, gilt die Parapsychologie heute eher als Pseudo-Wissenschaft und mündet in ihrer Erkenntnisbedeutung mehr in den Bereich der Psychologie.«

      Hätte er diese Arbeit in der 10. Klasse abgegeben, so hätte er sehr wahrscheinlich nur eine Vier dafür bekommen.

      Nach dem Tod seiner Frau ging er nach Marburg. Eine Freundin der Familie, die dort eine gutgehende Privatklinik für Schönheitsoperationen betrieb, machte ihm das Angebot, er könne die Klinik übernehmen, da sie sich zur Ruhe setzen wollte.

      Hohenfels sah das als einen Wink des Schicksals und sagte zu, zumal zwei Argumente hervorstanden: a, mit Schönheitsoperationen ließ sich sehr viel Geld verdienen und b, was das wichtigere Argument für Prof. Dr. Werner Justus Hohenfels war, ein wesentlich höherer Freizeitfaktor. Hier hatte er Zeit, seinen Forschungen intensiver nachzugehen.

      Ein Jahr später zog Werner Hohenfels mit seinem Sohn Volker aufs Land in die unmittelbare Nähe Marburgs.

      Er hatte einen alten Bauernhof, wenige Kilometer von der Stadt und der Klinik entfernt, aus einer Insolvenz erstanden. Sein Banker hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass eine Versteigerung demnächst angesetzt werden solle. Beiläufig erwähnte der Bankangestellte auch Zahlen, die eigentlich nicht für dritte Ohren bestimmt waren. Er ließ auch nicht unerwähnt, dass er zu dem Insolvenzverwalter einen guten Draht hatte und durch ihn wusste, dass er die Vermarktung des Hofes als lästige Notwendigkeit ansah. Wenn er die Sache schnell hinter sich bringen könnte, würde er auf einen höheren Verkaufserlös verzichten.

      Hohenfels kaufte noch am nächsten Tag den alten Bauernhof, nachdem er sich seine Lage und den Zustand angesehen hatte. So kam es erst gar nicht zu der Versteigerung. Er bezahlte lediglich 120.000 Euro plus 10.000 für den Banker, der sich angesichts einer solchen inoffiziellen Provision keine Gedanken über die strafbare Relevanz seines Verhaltens machte.

      Die Scheune und das Hauptgebäude ließ er aufwendig renovieren, mit Photovoltaik und Solar versehen. Das alte Fachwerk wurde herausgehoben und die neuen Fenster passten sich gut in das Bild einer modernisierten Hofreite ein.

      Zuvor waren umfangreiche Bodenarbeiten nötig gewesen, da eine unterirdische Verbindung vom Hauptgebäude zur Scheune bestehen sollte. Diese wurde zunächst vollkommen abgebaut. Nachdem eine riesengroße Betonplatte in die Erde gegossen wurde, erfolgte der Ausbau unterirdisch zügig. Dann wurde die Fachwerkscheune wieder draufgesetzt. So gab es einen Zugang zu den Kellerräumen vom Haupthaus und einen Fahrstuhl von der Scheune nach unten.

      Als die Arbeiten nach einem Dreivierteljahr beendet waren und beide Hohenfels einzogen, sah man äußerlich nichts mehr von dem neuen Keller. Der Ausbau des Anwesens kostete Hohenfels das Dreifache des Kaufpreises.

      Im Keller richtete Prof. Hohenfels in den darauffolgenden Wochen eine Praxis ein, die mit teuren und hochmodernen medizinisch-technischen Geräten bestückt wurde.

      Sein Drang nach Forschung und Erforschung der Willenskraft von Zwillingen konnte gelebt werden.

      Das gestaltete sich für Hohenfels zunächst schwieriger, als er vermutete. Er kam nicht so recht an Informationen und an Daten von Zwillingen, die er benötigte, obwohl er deutschland- und auch weltweit Verbindungen hatte.

      Dann versuchte er, von Schulen und Kindergärten Adressen zu bekommen.

      Schließlich hatte er Erfolg, als er den Schulen im Kreis Marburg anbot, im Rahmen einer Klinikbesichtigung Schülern die Möglichkeit zu geben, in eine Schönheitsfarm zu schauen und die Arbeit in der Klinik hautnah zu beobachten.

      In der dritten Besucherklasse befanden sich Zwillinge. Hohenfels war in großer Erregung. Zwei Jungen im Alter von zehn Jahren fanden seine ganze Aufmerksamkeit.

      Der Migrationshintergrund, es waren Einwanderer aus der Türkei, war von seiner Warte aus eher positiv zu sehen. Es würden keine Beschwerden von Türken an ihn gerichtet werden, so nahm Hohenfels an.

      Hohenfels demonstrierte der Klasse, wie eine Blutentnahme geschah und suchte sich wie zufällig einen der Zwillinge aus.

      »He, Junge, du da! Wie ist dein Name?«

      Etwas eingeschüchtert sagte der Kleine: »Ergan.«

      »Gut, Ergan. Hast du Mut?«

      Das darf man einen türkischen Staatbürger, auch wenn er erst zehn Jahre alt ist, nicht fragen. Wenn er jetzt nein gesagt hätte, wäre später zuhause sehr wahrscheinlich ein Drama passiert.

      In diese Richtung gingen auch die Gedanken von Hohenfels.

      Logischerweise sagte Ergan auch sofort zur Mutfrage: »Ja.«

      »Gut. Dann setz dich mal auf den Stuhl und ihr anderen haltet ein wenig Abstand. Dein Bruder geht mal ganz nach hinten.«

      Hohenfels flüsterte Ergan zu: »Pass auf. Wir machen einen Streich. Wir erschrecken die anderen mal ganz doll. Wenn ich dir die Hand drücke, dann schreist du laut auf vor Schmerz.«

      Er zwinkerte dem Kleinen zu und dieser grinste und spielte mit. Hohenfels entnahm eine sterile Spritze und hielt sie so, dass keiner sehen konnte, dass er nicht in den Arm von Ergan einstach. Er suchte den Blick von Ergans Bruder und drückte mit der Hand zu. Sofort schrie Ergan wie am Spieß.

      Alle Anwesenden, die beiden Lehrerinnen inbegriffen, waren schockiert. Nur einer nicht. Den schien das Ganze völlig kalt zu lassen: Ergans Bruder.

      Als nun Ergan und der Arzt lachten, wurde so langsam allen klar, dass das eine abgemachte Sache war.

      »Also, das war nur ein Scherz und Ergan hat prima mitgespielt. Jetzt wird es aber wirklich ernst.«

      Und somit stach ihm Hohenfels die Nadel in die Vene. Nicht gerade sanft. Er konnte das besser, aber er wollte es nicht. Das Blut lief in die Kanüle und auch hierbei zitterte der Arzt.

      Ergan verzog das Gesicht und hatte Schmerzen. Sein Stolz ließ es aber nicht zu, dass er weinte.

      Hohenfels