Rainer Rau

Zwillingsmord


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füllte sie den Fragebogen fertig aus und gab ihn dem »schrulligen Vogel.« Als Ilka der Frau ganz nahe stand, bemerkte sie, dass sie doch jünger war, als man annehmen konnte. Ilka machte sich keine weiteren Gedanken um sie und fuhr nach Hause.

      Schon zwei Tage später erhielt sie einen Anruf aus der Klinik. Die Sekretärin des Oberarztes Professor Doktor Werner Justus Hohenfels war am Apparat und wollte wissen, ob Ilka am darauffolgenden Freitag zur ersten Untersuchung kommen könnte. Als der Termin stand, war Ilka erleichtert und auch etwas euphorisch. Kam nun endlich »Bewegung in ihre Nase«.

      Prof. Hohenfels hatte sie lange beobachtet und kam zu der Erkenntnis, dass Ilka eine äußerst attraktive und gutaussehende junge Frau war, die den überaus großen Vorteil hatte, ein Zwilling zu sein. Er saß ihr gegenüber und las in ihrem Fragebogen, zu dem er einige Fragen hatte.

      »Und Ihre Zwillingsschwester ist nasentechnisch gesehen ok?«

      »Ja. Sie hat keine Probleme.«

      »Gut. Dann lassen Sie uns mal das Näschen betrachten.«

      Er schaute ausgiebig in Ilkas Nase und beleuchtete sie von allen Seiten. Dann machte er Fotos.

      Zwischenzeitlich klopfte es an der Tür und als Hohenfels »Herein« rief, erschien Margaretha Laumann und stellte eine Tasse Kaffee auf dem Schreibtisch ab. Dabei ließ sie sich Zeit und Ilka fiel auf, dass sie den Professor geradezu mit den Augen verschlang. Der wiederum beachtete sie gar nicht.

      Als sie immer noch neben dem Schreibtisch stand, sagte er zu ihr: »Ja, Frau Laumann. Ist noch was?«

      Sie schüttelte nur kurz den Kopf.

      »Dann gehen Sie bitte wieder an Ihre Arbeit.«

      Enttäuscht zog sie ab. Ilka vermutete, dass die Dame in ihren Professor hoffnungslos verliebt war. Der schien dies aber nicht zu bemerken oder wollte es nicht sehen, was Ilka verstehen konnte.

      In der Tat war es so, dass Hohenfels Frau Laumann von seiner Vorgängerin übernommen hatte. Sie passte nicht in das Konzept der Klinik, welches den gut zahlenden Privatpatienten eine junge, dynamische Mitarbeitergruppe präsentierte.

      Hohenfels wollte eine solch »hausbackene« Person nicht in seiner Klinik beschäftigen, sah aber bis jetzt keine Möglichkeit, sie loszuwerden. Obwohl er schon der Meinung war, dass ihre mürrische Art geschäftsschädigend sei. Außerdem spionierte sie ihm hinterher, was er sich damit erklärte, dass sie in ihn verliebt war. Dies wiederum störte ihn nicht, es war eher so, dass es seinem männlichen Ego gut tat. Somit war er sich selbst nicht im Klaren, ob er sie entlassen sollte oder nicht. Sie war auch schon zu lange in der Klinik beschäftigt und ihr war so ohne weiteres gar nicht zu kündigen.

      Nach einer Weile gab er eine abschließende Bewertung zu Ilkas Nase ab.

      »Also, Frau Goldstein. Die Sache ist nicht so einfach wie es scheint. Wir können nicht einfach etwas am Knochen abhobeln. Es muss ein Stück entfernt werden und dann müssen wir einen Aufbau mit Rippenknorpeln machen. Sie werden zwei oder drei Tage stationär bleiben müssen. Ihr Gesicht wird nach der OP zunächst einmal entstellt aussehen, wenn die Schwellung aber nachlässt, wird sich eine schön geformte Nase wie bei Ihrer Schwester zeigen. Bringen Sie doch mal ein Foto von ihr mit.«

      »Und was kostet das alles?«

      »Nun, wir behandeln hier normalerweise nur Privatpatienten. Für die ist der Betrag von 8000 Euro keine Frage.«

      Ilka wollte schon aufstehen, sich bedanken und gehen, da sagte Prof. Hohenfels: »Wir haben selbstverständlich eine Kassenzulassung. Über den Betrag darüber hinaus brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, vorausgesetzt, wir können ein paar Fotos von der OP Ihrer Nase machen, für die Ärztezeitung.«

      »Ja? Das ginge so? Na ist ja prima. Wann kann es losgehen?«

      »Von uns aus nächste Woche. Lassen Sie sich einen Termin geben und dann sehen wir mal weiter.«

      Ilka fuhr am Abend zu Anna Lena, Ingo und der kleinen Jessica. Sie erzählte stolz die Neuigkeit mit der OP und fotografierte Anna Lena von allen Seiten.

      »Eine solche Nase, wie du sie hast, soll es sein.«

      3. Erster Zwillingsversuch

      »Komm in die Klinik! Es gibt Arbeit für dich.«

      Prof. Werner Justus Hohenfels sprach am Telefon mit seinem Sohn nie lange. Kurze Anweisungen, die der Herr Sohn auszuführen hatte, waren schnell gesagt und wenn er dann gleich den Hörer auflegte, konnte Volker Hohenfels nicht widersprechen.

      Er war nun 30 Jahre alt und stand immer noch sehr stark unter dem Einfluss seines Vaters. Dieser bezahlte allerdings auch all seine Verbindlichkeiten.

      Einen Porsche Cayenne Hybrid mit einer von ihm gewünschten Ausstattung zu 108.965,00 Euro war die neueste Ausgabe, die vor Kurzem vom Konto des Vaters abging. Dieser fragte sich nicht, warum die

      Hifi-Anlage im Wagen an die 24.000 Euro und somit so viel wie ein Kleinwagen kostete. Er bezahlte und war sich der uneingeschränkten Dienste seines Sohnes sicher.

      Volkers Mutter war vor 26 Jahren bei einer Nierenoperation gestorben. Die OP wurde von einem Freund der Familie, einem Unfallchirurgen der Uniklinik Gießen, durchgeführt. Er hatte bei ihr einen faustgroßen Tumor entfernt. Der Arzt konnte allerdings am Ableben von Frau Hohenfels nichts ändern. Innere Blutungen, die nicht gestillt werden konnten, hatten sehr schnell dazu geführt.

      Zwar hatte man Frau Hohenfels noch einmal notoperiert, aber die Blutung in den Bauchbereich war nicht zu stoppen und so versagten nach und nach alle Organe.

      Agnes Hohenfels hatte eine Zwillingsschwester, die schon am nächsten Tag aus den Staaten angereist kam. Man hatte sie jedoch noch gar nicht über den Tod ihrer Schwester benachrichtigen können. Sie hatte es jedoch geahnt. Eine innere Stimme hatte ihr ins Ohr gefl üstert, dass ihre Schwester mit dem Tode rang.

      Seit dieser Zeit reifte der Gedanke an eine Erforschung der Psyche von Zwillingen in Prof. Hohenfels Gemüt. Er war der Meinung, wenn die Zwillingsforschung weiter fortgeschritten wäre, hätte man den Verlauf der Situation bei der Schwester seiner Frau erkennen können. Sogar über eine größere Entfernung hinweg, da selbst über die Weite des Ozeans eine Verbundenheit der Schwestern bestand.

      Er begann sich über Zwillingsforschung zu informieren, stellte aber rasch fest, dass es wenig verwertbares Material aus dem weiten Feld der Parapsychologie gab. Mehr Informationen waren über Zwillingsversuche zu erhalten. Allen voran über den KZ-Arzt Josef Mengele. Mengele wurde 1943 Lagerarzt in Auschwitz. Im Zentrum seiner Forschungen standen vererbungswissenschaftliche Zwillingsuntersuchungen. Sein Fanatismus nahm solche Ausmaße an, dass die überlebenden Gefangenen später sagten, Mengele allein sei Auschwitz gewesen. Es wurden von ihm eineiige Zwillingspaare vermessen und untersucht. Man erhoffte sich, durch Abweichungen oder Übereinstimmungen in der körperlichen oder geistigen Entwicklung herauszufinden, welche Merkmale und Krankheiten genetisch bedingt und welche durch äußere Lebensumstände hervorgerufen wurden. Fehler in der Genetik sollten nicht weitervererbt werden. Man wollte eine perfekte arische Rasse züchten. Das Ganze wurde vom NS-Staat finanziell unterstützt. Es gab keine Grenzen in der Forschung. Es war alles erlaubt.

      So konnte Mengele in seinem Versuchslabor seine unmenschlichen und grausamen Experimente an Zwillingen durchführen, die bedingungslos gequält und verstümmelt wurden. Ihnen wurden bei vollem Bewusstsein Knochenmark entnommen, die Schädeldecke geöffnet oder Krankheitserreger injiziert.

      Waren sie als Versuchsobjekte unbrauchbar geworden, wurden sie mit einer Phenolspritze ins Herz getötet und obduziert. Die Organe der Zwillingspärchen wurden dann verglichen.

      Heute erklärt wohl jeder Arzt, dass diese Verbrechen natürlich mit nichts zu entschuldigen sind. Es wurde jedoch gesetzlich festgelegt, dass die Erkenntnisse dieser menschenverachtenden Versuche auch heute noch