Dustin Kreutzburg

Warum ist das so schwer?


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nach oben, bis ich schließlich vor einer Eisentür zu stehen komme.

       Ich drücke die Klinke runter und hoffe, dass sie geöffnet ist. Ich habe Glück. Sie schwingt auf und knallt mit einem lauten Geräusch gegen die Wand.

       Mir eröffnete sich ein herrlicher Blick über die Stadt, Finn hatte mir nicht zu viel versprochen. In weiter ferne sehe ich das endlos kalte Grau des Meeres und habe das Gefühl, dass der Wind, der da draußen stürmt auch hier oben durch mein Haar weht. Mir gefällt dieser Ort jetzt schon so gut, dass ich mich auf einen kleinen Steinvorsprung setze, um dieses Bild in meine Gedanken zu meißeln. Ich schaue mir alles an, von der kleinsten Mauer, bis hin zu den größten Dächern, die hier über der Stadt thronen. Welch Diskrepanz hier herrscht ist schier unglaublich. Auf der einen Seite die schönsten Häuser mit paradiesischen Gärten und auf der Anderen, meine Behausung, als komplettes Gegenteil. Sex, Drogen, Leid, Gewalt, Schmerz, Trauer, Sex und Drogen, um nur einen kleinen Bruchteil der Steine zu nennen, mit denen die Straßen gepflastert sind.

       Ich sitze noch lange hier oben und beobachte meine neue Heimat. Allein auf mich gestellt. Und ich finde es gut! Jetzt habe ich alles selbst in der Hand und kann mich aus den elterlichen Fesseln lösen. Dass mich direkt neue Fesseln namens Leben knebeln, werde ich noch zur Genüge erfahren.

       Ich höre hinter mir die Stahltür gegen die Wand schlagen und drehe mich um. Finn. Scheiße.

       Was will der hier?

       »Hab ich´s doch gewusst, dass du dich hier oben rumtreibst. War grade in deiner Bude und hab dich gesucht.«

       Er winkt mit einer Flasche Whiskey. Sie halb leer, er komplett voll. Finn setzt sich zu mir auf den Vorsprung und sagt nichts, sondern starrt mich aus gläsernen Augen an, greift mir in den Nacken und zeigt mit der Flasche in der Hand zum Horizont.

       »Irgendwann, mein Kleiner. Irgendwann wird uns die Stadt gehorchen, wenn wir sprechen.«

       Ich verstehe nicht was er damit sagen will und schiebe seinen Wahn(Sinn) auf seinen Pegel. Obwohl ich mir sicher bin, dass es nicht nur der Pegel an sich ist, sondern auch ein paar andere bewusstseinsverändernde Substanzen, die durch seine Synapsen jagen. Die Sonne geht langsam unter. Vielleicht schämt sie sich für einen solchen Idioten zu scheinen. Ich schmunzle.

       »Was willst du von mir?«, frage ich.

       Finn dreht sich zu mir und lächelt mich an.

       »Heute Abend, mein kleiner Freund, werden du und ich die Stadt zu unserer Braut machen und anfangen sie zu erobern. Zuerst fangen wir bei den Frauen an, denn wie du sicherlich weißt, sind sie unsere moralischen Grundpfeiler, unsere bessere Hälfte, und wenn wir die erst mal von uns überzeugt haben, dann ist der Rest ein Leichtes.«

       Ich verstehe nur Bahnhof. Er hält mir den Whiskey vor´s Gesicht und ich überlege kurz. Dann nehme ich einen großen Schluck und spüre wie brennendes Öl meine Kehle herunter schießt. Finn fängt an von sich zu erzählen.

       Von seinen Erfahrungen in der Stadt, von seinen Frauen, von seinem Leben. Ich höre ihm zu und unterbreche ihn nicht in seinem Monolog über die nervigste Nebensache der Welt, auch bekannt als das dein und mein Leben.

       Einmal, so sagt er, habe er eine Frau zu klassischer Musik verführt und er habe die Musik als eine Geschichte empfunden, die ihn und den Akt so beschrieben hat, wie es keine Worte dieser Welt hätten beschreiben können. Worte mit Gefühl sind Noten. Er habe nicht gedacht, dass man nur fünf Striche, ein paar Zeichen und einen Notenschlüssel braucht, damit man Gefühl, Sinnlichkeit und Erotik beschreiben kann. Seit dieser Nacht, sei er den klassischen Stücken verfallen. Welch´ Diskrepanz, denke ich. Gegensätzlicher geht’s wohl kaum. Dieser abgewrackte Typ, blondes kurzes Haar, ein schwarzes Sakko mit Löchern und eine heruntergekommene Seele und dann die höchste Kunst der Musik. Das ist so bescheuert, dass es wieder passt. Weißwein und Fleisch.

       Geht für so manchen gar nicht – geht doch!

       Wir sitzen noch eine Weile hier oben und philosophieren über unser beider Leben, über Frauen und unsere Vergangenheit. Irgendwann steht Finn auf schüttelt sich, geht zum Rande des Daches, packt ihn aus und pinkelt unten auf die Straße. Es hört sich an als würde man einen Eimer Putzwasser runterschütten. Ich lache.

       »So, wir machen uns auf, würde ich sagen.«, sagt er während er abschüttelt. Ich nicke und stehe auf, dann gehen wir beide zurück ins Haus und holen aus Finns Zimmer noch zwei Bier. Sein Zimmer war noch schlimmer als meins, stelle ich fest – ohne Fenster. Wir gehen schließlich nach draußen. Es ist kalt. Finn zündet zwei Zigaretten an und reicht mir eine rüber. Warum ich mit diesem Typen mitgehe, kann ich mir nicht erklären, es ist irgendwie ein komisches Gefühl. Einerseits kenne ich ihn kaum, andererseits kann man mit dem sicherlich eine Menge erleben, denke ich mir und verwerfe meine Bedenken.

       »Man kennt unsere Gegend.«, sagt Finn »die Meisten meiden sie, weil man nie weiß was hier mit einem so passiert. Man bekommt viele Geschichten mit wenn man hier lebt, insbesondere in unserem Haus. Ich kenne zwar nicht alle Bewohner, aber ab und an sieht man einen von ihnen auf dem Flur oder hört sie stöhnen oder man sieht sie im Flur - stöhnend. Bei uns ist alles möglich, zwar ist nicht alles erlaubt, doch so lange der Vermieter pünktlich seine Miete bekommt und er sich nicht mit unser einem abgeben muss, ist alles paletti.«

       Wir erreichten den »Bunker«, eine Szenebar, laut Finn. Als ich am Tresen stehe, weiß ich was er meint. Es gibt hier wirklich eine Szene und ich meine wirklich nur eine Szene. Besoffene, berauschte Menschen sitzen in den dunklen Ecken der Bar und haben ihre Verpflichtungen, als auch ihre Seelen zusammen mit ihren Jacken an der Garderobe abgegeben. Man sieht auf den ersten Blick, dass hier nur Hüllen, nur Körper wandeln und hier nichts echt, ehrlich und aufrichtig ist. Diese Bar ist meine Seele. Ich bestelle zwei Bier und schaue mich um. Mir fällt eine Frau auf, die sich gerade am Hals eines Typen zu schaffen macht. Ich kann meinen Blick nicht abwenden. Sie kniet und küsst den Typen, der in einer Art Sitzsack liegt, am Hals und hinterm Ohr. Ihn lässt das kalt.

       »Das macht sechs.«

       Sie wird gieriger, drückt ihren Rücken durch und versucht den Typen auf den Mund zu küssen. Ihr schwarzer Minirock rutscht dabei immer höher und ich kann jetzt mittlerweile zwischen ihre Beine gucken. Ich kneife meine Augen zusammen, weil ich nicht glauben konnte was ich sehe. Entweder liegt es am Licht, oder am Alkohol, oder an beidem, auf jeden Fall meine ich ein Höschen mit Schlitz unter ihrem Rock zu erkennen. Ja, ein kleiner schwarzer String mit Loch, für die ganz schnelle Nummer. Sehr einladend, denke ich.

       »Ey hörst du schlecht?«

       Ich starre wie ein Bekloppter, der zum ersten mal eine glattrasierte Muschi sieht und wende mich unter Protest meiner Libido ab.

       »Ey, Arschloch!«

       Der Barkeeper reißt mich abrupt aus meiner Trance.

       »Alter, wenn du jetzt nicht zahlst, fliegste! Klar?«

       Erst jetzt merke ich, dass er mich schon die ganze Zeit angesprochen hat.

       Ich lege einen Zehner auf den Tisch und nehme einen großen Schluck aus meinem Bier, stelle es wieder ab und schaue nach rechts. Wo ist Finn?

       »Toll.«, sage ich mir.

       Jetzt stehe ich hier mit zwei Bieren an einer Theke einer Bar, in der ich niemanden kenne und habe zu allem Übel noch einen Halbsteifen in meiner Hose, der sich nicht wirklich entspannen will, da mir das Bild der unbekannten Muschi wie ein Standbild vor meinem geistigen Auge flimmert.

       »Nik! Komm her, ich habe Durst!«

       Ich drehe mich um, dann sehe ich ihn in einer Ecke sitzen, mit den Armen rudernd. Ich nehme das Bier mit, gehe rüber und setze mich zu ihm an den Tisch. Er leert sein Bier mit einem Zug zur Hälfte. Wir sitzen eine Weile einfach nur da, trinken Bier und flanieren. Ab und an stößt Finn mich mit seinem Ellbogen an, wenn er eine hübsche Frau sieht, aber das ist auch schon alles was man an Kommunikation zwischen uns finden kann. Ich weiß nicht genau wie lange wir hier schon sitzen, aber ich merke, dass ich zunehmend betrunkener werde. Bei Finn merke ich keine Veränderung, wahrscheinlich weil er immer den selben Pegel hält. Plötzlich sehe ich sie wieder. Die Kleine mit dem offenherzigen Höschen. Ich beschließe ihr einen Namen zu geben, falls das noch öfter passiert. Ich meine es wird auch