Dustin Kreutzburg

Warum ist das so schwer?


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nichts rührt sich außer die Zeiger der Uhr, mein Herzschlag und meine Augen, die verzweifelt den Raum nach etwas Interessantem absuchen. Plötzlich höre ich jemanden den Flur entlang gehen. Ich schaue zur Tür, langsam gleitet die Klinke runter. Ein großer Mann mit Halbglatze betritt den Raum. Er hat einen Kinnbart den er mit einer solchen Verachtung trägt, dass ich davon ausgehe, das ihm irgendjemand gesagt hat es sehe gut aus. Vielleicht seine Freundin oder vielleicht hat er es bei seinem »Vorbild« gesehen. Ich weiß es nicht, aber einen eigenen Weg scheint er nicht zu gehen. Klar, man kann nicht von einem Kinnbart auf den Charakter schließen, aber es bieten sich interessante Ansätze.

       »Na, du musst Nik sein. Ich bin Joe. Bereit für deine Schicht?«

       Ich glaube ich sehe ziemlich bescheuert aus, so wie ich ihn anstarre.

       »Ehm ja, ja genau. Ich bin Nik.«

       Joe setzt sich mir gegenüber auf den Stuhl, zündet sich eine Zigarette an und inhaliert einen langen Zug.

       »Hast du so was schon mal gemacht?«, fragt er mich.

       Ich verneine.

       »Kein Problem. Ist ganz easy. Ich werde dir alles zeigen und im Handumdrehen hast du's raus. Das bisschen kassieren und Getränke auffüllen bekommst du schon hin.«

       Hast du so was schon mal gemacht? Klingt ja so, als müsste ich was illegales tun oder mich prostituieren. Ich verwerfe meine Gedanken und stehe auf.

       »Können wir?«

       Joe nimmt noch einen letzten Zug von seiner Zigarette und steht ebenfalls auf.

       »Dann lass uns mal!«

       Ich folge ihm durch den dunklen Gang, zurück nach vorne. Joe greift zur Garderobe und reicht mir ein Hemd, welches mit dem Tankstellenlogo bestickt ist.

       »Wenn du hier arbeitest, musst du dieses Hemd tragen. Sieht scheiße aus, ist aber Vorschrift.«

       Mir ist es eigentlich egal, trage ich halt dieses Hemd. Danach zeigt Joe mir alles was wichtig ist. Wie man kassiert, wo das Lager ist und was ich alles beachten muss. Es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit, dabei ist gerade mal eine Stunde vergangen. Ich stehe jetzt hinter der Kasse und warte auf meinen ersten Kunden. Pete und Joe unterhalten sich hinter mir. Warum zum Teufel haut der nicht ab? Mir würden ad hoc hundert andere Dinge einfallen, die ich lieber machen würde, als an einer Tankstelle abzuhängen. Aber so wie er aussieht würde ihm nicht mal einer einfallen. Ich stelle fest, dass ich bei meinem Job gute Möglichkeiten habe mir Gedanken über die Menschen zu machen. Im Laufe der Nacht kommen alle möglichen Arten des Homo sapiens in die Tankstelle. Ich versuche mir die Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten und probiere die Menschen anhand ihres Einkaufs zu analysieren. Da wäre zum Beispiel der Typ: Ich habe keine Arbeit und von dem bisschen was ich als Stütze vom Staat bekomme, decke ich mich mit Alkohol und Tabak ein. Wenn man an einer Tankstelle arbeitet, und ich arbeite erst ein paar Stunden hier, fällt einem erst mal auf wie viele es von diesem Typ gibt. Ich weiß nicht genau, ob es mich aufregen oder nichts angehen soll, tendiere aber zu Ersterem. Es läuft immer gleich ab. Sie kommen rein, hängende Schultern, ausgemergeltes Gesicht und dennoch steuern sie zielstrebig die Kühlung mit dem Bier an. Ein kurzer Blick genügt, dann ist das billigste gefunden, Arm ausstrecken, zwei greifen, denn für mehr reicht es nicht, kommt ja schließlich noch Pfand drauf und dann geht’s ab zur Kasse. Ich weiß nicht wieso, aber diese Leute haben immer einen Haufen Kleingeld. Niemals einen Schein, nein, die Hosentasche ist bis oben hin mit Kleingeld gefüllt. Kurz oder manchmal auch etwas länger sind sie dann mit dem Abzählen beschäftigt und geben einem dann sowieso den falschen Betrag. Mich schert es schon nicht mehr. Dieser Job härtet schneller ab, als ich dachte. Dann gibt es noch die Taxi- und LKW-Fahrer. Die Taxifahrer geben sich meist mit einem Gespräch unter Kollegen und einem Kaffee zufrieden, die LKW-Fahrer kommen nur zum Tanken. Dieses Grüppchen ist mir das Liebste. Machen keinen Ärger, nerven nicht und sind schnell wieder weg. Es ist Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite habe ich aufgrund der Öffnungszeiten einen Job auf der Anderen Seite ist die Tankstelle auch die einzige Anlaufstelle für Leute, die um 03:00 Uhr nachts noch etwas brauchen. Vorzugsweise Alkohol. So verbringe ich also meine Schicht mit dem analysieren der Kunden und mache mir damit halbwegs angenehme acht Stunden. Joe sitzt währenddessen entweder hinten und raucht oder steht bei mir und labert mich voll. Ich finde ihn eigentlich ganz sympathisch, würde mich aber keinesfalls auf ein Bier mit ihm treffen. Das geht zu weit. Außerdem bin ich nicht derjenige, der sich sofort auf einen Menschen einlässt und ihn an seinem Leben teilhaben lässt. Okay, bei einer Person würde ich es sofort zulassen, aber nur weil sie mir wie auch immer den Kopf verdreht hat und ich noch nie in meinem Leben zu dem Punkt gekommen bin, an dem ich nicht gewusst habe warum sie mich so verzaubert hat. Ich weiß nichts, außer ihren Namen und dass sie ihr Leben lebt wie sie das für richtig hält. Trotzdem denke ich noch oft an sie. Leo. Leo und Nik. Das klingt ja schon gut.

       »Du kannst jetzt Schluss machen.«, Joe stößt mich von der Seite an.

       »Es ist sechs Uhr. Mach das du nach Hause kommst.«

       Ich blicke ihn an und ziehe im Gehen mein Hemd aus.

       Obwohl mir die Arbeit ganz gut gefällt, bin ich froh fertig zu sein.

      Die Kür

      Die Luft um sechs Uhr morgens ist eine besondere. Sie ist noch so rein und frisch. Ich sauge meine Lungenflügel voll damit als ich die Tankstelle verlasse und mache mich auf den Weg. Die Welt ist noch so friedlich um diese Uhrzeit. Kaum jemand ist auf den Straßen, es ist still und das Licht wirft sein unschuldiges Antlitz auf die Umgebung. Ich fühle mich wohl. Ich stehe noch eine Weile auf der Stelle und genieße den Moment. Mir stellt sich eine Frage auf die ich sofort eine Antwort weiß. Gehe ich nach Hause oder gebe ich mich dieser wohligen Stimmung, die mich in Watte packt hin? Meine Entscheidung ist schnell gefällt. Ich bleibe noch ein wenig und weiß genau wo ich hin will. Ich habe diesen Ort schon mal gesehen, ich habe auch schon von ihm gehört und er ist hier ganz in der Nähe. Das Meer. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie am Meer und jetzt lebe ich hier. Obwohl man nicht in der Brandung steht, kann man es in der Luft riechen und schmecken. Diese salzige, kühle Spur kriecht in meine Nase und ich versuche sie zu bewahren. Es fühlt sich verdammt gut an zu atmen. Nach einer halben Stunde Fußmarsch sehe ich die ersten Masten der Boote, wie sie seicht im Wind hin und her schaukeln. Ich merke wie ich dem Wasser immer näher komme. Weitere zehn Minuten später kann ich es endlich sehen. Die weiße Gischt prescht Richtung Felsen und Strand. Diese Schönheit fesselt mich sofort. Ich gehe weiter. Das Einzige was ich höre ist das Rauschen der Wellen und eine paar Möwen, die über der tosenden Brandung ihre Kreise ziehen und Ausschau nach Futter halten. Es bietet sich mir eine abgeschiedene, in sich vollkommen eigenständige und nicht in Worte fassbare Schönheit. Ich ziehe meine Schuhe aus und spüre den Sand zwischen meinen Zehen, während ich wie hypnotisiert auf das Wasser zugehe. Als die ersten Wellen meine Haut berühren fühlt es sich an als würde mir eine Riesenlast von den Schultern fallen. Ich stehe hier, fühle und denke nichts, sondern genieße das eiskalte Wasser, wie es meine Füße umspielt. Ich habe mir selbst nicht zu viel versprochen. Das Meer ist etwas besonderes. So fesselnd, so anziehend, immer in Bewegung. Welche Kraft hier wirkt ist unglaublich. Es wühlt sich selber auf. Baut neue Wellen, die zum scheitern verurteilt sind. Ich denke über die zwei Gesichter des Meeres nach. Ein so wunderschönes Stück Natur, liegt ruhend oder tosend da und kann eine derart zerstörerische Kraft aufbringen, gegen die niemand etwas entgegenzusetzen hat. Wir sind der Laune Neptuns ausgesetzt. Im Moment jedoch schaue ich zum Horizont, höre das monotone Wellenbrechen, die schäumende Gischt und fühle mich willkommen. Es wirkt beinah so als würde das Meer seine Schönheit und Anziehungskraft entfalten, ja präsentieren, wenn jemand in der Nähe ist und es beobachtet. Auch wenn ich jetzt eine funktionierende Uhr gehabt hätte, wäre mir die Zeit egal gewesen. Hier herrscht sowieso ein anderes Maß der Zeit. Ich bleibe noch lange hier stehen und beobachte das Meer, die Vögel und schaue mir an wie der Wind mit Hilfe des Sandes Spuren an den Strand malt. So vergeht die Zeit und ich merke nicht wie sich langsam der Strand mit Menschen füllt. Zum Baden ist es zu kalt, aber wie auch ich, zieht es viele Menschen für einen Spaziergang zum Strand. Es passiert plötzlich, die anfängliche Magie wird hinaus auf´s Meer getragen. Die Menschen sind eine laute Rasse. Jegliche Ruhe und meine Einsamkeit werden