Dustin Kreutzburg

Warum ist das so schwer?


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ziehe meine Schuhe wieder an und verlasse den Strand. Müdigkeit macht sich breit, meine Schultern hängen. Ich beschließe nach Hause zu gehen und mich schlafen zu legen, das ist es was ich jetzt brauche. Energie.

       Ich suche die nächste Straßenbahnhaltestelle und warte auf den Zug. Eigentlich mag ich Straßenbahnen überhaupt nicht. Viele Menschen auf einem Haufen, ein Kommen und Gehen ist an der Tagesordnung, Hektik macht sich schneller breit als der Schall. Man sitzt auf so engem Raum zusammen und hat trotzdem rein gar nichts mit den Anderen zu tun. Das gibt es nur unter Menschen. Es ist eine Form des Egoismus. Keiner interessiert sich für die Anderen, warum auch? Ja klar, aber ein bisschen Empathie kann ja nicht schaden. Ich will damit nicht sagen, dass man sich jetzt unbedingt in der Straßenbahn um andere kümmern soll, nein, ich meine aufrichtiges Teilnehmen an anderer Leben kann zur eigenen Bereicherung beitragen. Es geht nicht darum Fragen zu stellen um etwas zu erfahren. Wenn wir von uns selbst erzählen werden wir von unserem Gegenüber mehr erfahren, als wenn wir fragen. Ich steige ein, schaue mich nach einem Sitzplatz um und setze mich schließlich auf einen freien Platz am Fenster. Seit dem ich mein Zimmer bezogen habe weiß ich ein Fenster zu schätzen. Ein kleines Tor zur Außenwelt, doch der Große Vorteil ist, wenn ich es schließe und mich somit von der Außenwelt trenne, sehe ich durch das Glas immer noch was passiert. Ich bin eingeschlossen und doch weiß ich was um mich herum vorgeht.

       »Ist hier noch frei?«, ich erschrecke mich kurz dann blicke ich nach rechts.

       Eine junge Frau steht vor meiner Sitzreihe und blickt mich erwartungsvoll an.

       »Entschuldigung, wie bitte?«

       Ich habe sie nicht verstanden, habe mal wieder geträumt.

       »Ist dieser Platz noch frei?«

       »Ja sicher, setz´ dich.«

       Sie folgt meiner Aufforderung und nimmt Platz. Bei näherer Betrachtung fällt mir auf wie hübsch sie eigentlich ist. Wo sie wohl hinfährt? Mein Interesse ist geweckt. Nur was sage ich ihr? Eigentlich ist es doch ganz einfach, oder? Stell dich einfach vernünftig vor oder bring einen witzigen Spruch. Mir fällt aber nichts ein und mit jeder Haltestelle, die wir passieren, sinken meine Chancen.

       »Du hast nicht zufällig Lust mir heute Abend die Stadt zu zeigen?«, mein ganzer Körper ist angespannt.

       Sie dreht sich zu mir um und schaut mich an.

       »Wie bitte?«

       »Ich bin neu hier und kenne mich noch nicht aus. Ich finde dich sympathisch und würde mich freuen wenn du mir die Stadt zeigen würdest.«

       Ich lächle sie an.

       »Na du hast ja vielleicht Ideen. Wir kennen uns überhaupt nicht und ich soll dir heute Abend die Stadt zeigen?«

       »Ja genau. Ich weiß es ist etwas forsch, aber ich weiß ja nicht wann du aussteigst und bevor ich dich gehen lasse und mich womöglich niemals hier zurecht finden werde, dachte ich mir: Nutze die Chance und frag einfach, vielleicht hab ich ja Glück. Und? Hab ich welches?«

       »Weißt du, ich mag es wenn Männer mutig sind, also ja, du hast Glück.«

       In mir macht sich eine kribbelnde Wärme breit und ich merke, dass ich meinem grinsenden Gesicht nichts entgegensetzen kann. Ich will auch gar nicht, obwohl es mit Sicherheit etwas bescheuert aussieht.

       »Was kennst du denn schon?«

       »Ich weiß, wie ich mit der Bahn nach Hause und ich weiß auch wie ich in die Innenstadt komme. Das war's!«

       »Okay, dann machst du folgendes: Setz dich heute Abend in die Straßenbahn und fahr bis zur Innenstadt. Wenn du aussteigst, siehst du auf dem Marktplatz einen großen Brunnen, da treffen wir uns. Um Punkt 8. Alles klar?«

       »Ja, alles klar«, antworte ich, »Ich freu mich!«

       Sie lacht und nicht nur mit dem Mund, sonder mit dem ganzen Gesicht. Irgendwie habe ich die Vermutung, dass sie das alles hier ein bisschen verrückt findet und so was selbst noch nicht erlebt hat, dann steht sie auf.

       »Ich muss jetzt hier raus. Wir sehen uns heute Abend.«

       »Warte! Wie heißt du eigentlich?«

       »Tara.«

       »Ich bin Nik.«

       Ich weiß nicht ob sie es noch gehört hatte, aber jetzt ist sie weg und die Straßenbahn fährt wieder an. Ich habe noch zwei Haltestellen vor mir bis ich Zuhause bin. Ein Gefühl des Glücks macht sich breit. Ja, ich freue mich wirklich. Sie ist hübsch und irgendwie vermute ich, dass sie auch einen tollen Charakter hat. Immerhin ist sie spontan. Die elektronische Stimme der Bahn macht mich auf meine Haltestelle aufmerksam. Ich habe nur rund 300 Meter bis zu meiner Wohnung. Als ich vor meiner Tür stehe, suche ich nach dem Schlüssel. Irgendwie ist er überflüssig, da die Tür sowieso nicht richtig schließt, aber er erweckt wenigstens das Gefühl von Sicherheit und Privatsphäre. Ich lasse mich angezogen auf's Bett fallen und schlafe ein. Ich träume von Leo und unserer Cabriotour, träume von Finn wie er mich aus dem Auto zieht und mit ihr davonrast. Ein beschissener Traum. Vielleicht sehe ich sie ja irgendwann wieder und dann habe ich mehr Glück. Ja, ich bin mir sicher, dass sie mich mögen wird. Auf den Tag freue ich mich schon und bis dahin werde ich einfach mein Leben leben. Ich träume von Tara. Sie steht vor mir und sagt mir etwas, das mir gar nicht gefällt. Ich reagiere zumindest enttäuscht, verstehen kann ich nichts. Alles in allem habe ich einen sehr unruhigen Schlaf. Als ich aufwache, bin ich schweißgebadet. Die Sonne wirft ihre letzten Strahlen durch mein Fenster und hinterlässt auf meinem Tisch und dem Boden einen Abschiedsgruß.

       Ich drehe mich noch einmal um und stehe dann auf, ziehe mir ein frisches T-Shirt an und gehe ins Badezimmer. Da sich die Bewohner dieser Etage das Bad teilen müssen, ist es auch dementsprechend heruntergekommen. Ein paar Kacheln sind gesprungen und die Armaturen haben auch schon bessere Tage gesehen. Es reicht für den Gebrauch und für das was ich hier an Miete zahle, ist es wohl auch angemessen. Ich schaue in den Spiegel über dem Waschbecken und erkenne mich nicht wieder. Augenringe in tiefem blau werden durch meine glasigen Augen nur noch mehr hervorgehoben. Warum sehe ich so mitgenommen aus? Ich kann es mir nicht erklären, führe es aber auf meinen weder gesunden noch ausgewogenen Lebensstil zurück. Ich brauche einen Halt. Irgendetwas oder irgendjemand. Mit meiner Träumerei komme ich auf jeden Fall nicht weit. Es hilft mir zwar Dinge von einer anderen Perspektive zu sehen und zu reflektieren, aber das ist keine Dauerlösung. Ich schiebe die Gedanken beiseite und drehe den Wasserhahn auf. Kaltes Wasser benetzt mein Gesicht. Kleine Rinnsale laufen meine Wangen hinab und hauchen mir neues Leben ein. Die Tropfen, die mein Kinn hinab kugeln tragen nicht nur den Schmutz fort, sie transportieren Erschöpfung und Leid. Ich fühle mich erneuert. Das Rauschen des Wassers unterbindet meine Gedankengänge, dieses monotone Geräusch wirkt wie eine Blockade. Als ich den Wasserhahn zudrehe, ist es still. Lediglich ein paar Tropfen fallen noch in den Abfluss, dann bin ich wieder allein mit mir. Ich greife in meine Hosentasche und hole mein Mobiltelefon raus.

       19:24 Uhr prangt auf dem grünlich schimmernden Display. Ich ziehe meine Jacke an, die mich vor der Kälte schützt, wie ein Maschendrahtzaun vor einer Flutwelle und gehe hinaus in die verschneite Stadt. Nach etwa fünfzehn Minuten bin ich, wie abgemacht, am Brunnen in der Innenstadt. Ich setze mich auf den Rand und zünde mir eine Zigarette an. Dichter Qualm strömt aus meiner Nase und ich merke, dass jeder weitere Zug mir etwas Aufregung nimmt.

       20:00 Uhr. Ich schaue mich um und stelle mir die Frage aus welcher Richtung sie wohl kommen mag. Es ist kaum jemand auf den Straßen, kein Wunder bei den Temperaturen. Wenn mein Zuhause was bieten würde, wäre ich jetzt auch gerne da, aber mich hält es nicht lange in diesem Zimmer. Also was soll's. Die Kälte kriecht meine Ärmel hoch und bedeckt meinen Körper zur Gänze. Ein Tuch aus Frost legt sich auf meine Haut und lässt mich frieren. 20:06 Uhr. Tara ist noch immer nicht in Sicht. 20:13 Uhr. Meine Eier ziehen sich zusammen, als würden sie eine Walnuss imitieren. Ich stehe auf und gehe um den Brunnen herum.

       »Willst du schon gehen?«, sagt eine weibliche Stimme hinter mir.

       Ich drehe mich um. Tara. Endlich.

       »Entschuldige die Verspätung. Hoffe du bist nicht erfroren.«

       »Wie du siehst lebe ich noch, aber ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns zum Start der Tour erst mal