Tilmann A. Büttner

Adam Bocca im Wald der Rätsel


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steht direkt hinter dir.“ Vielleicht hatte Carlo den Ausdruck des Entsetzens in Adams Blick jetzt richtig verstanden, vielleicht hatte er auch intuitiv erfasst, dass sie jetzt nicht mehr allein und unbehelligt im Wald waren. Langsam, ganz langsam wandte Carlo sich um. „Hab keine Angst“ flüsterte Adam ihm zu, um den schlimmsten Schock dessen zu mildern, was er jetzt gleich sehen würde. Aber dafür war es schon zu spät.

      Der Anführer der vier Schrate war ein besonders großes Exemplar, sein dunkles, fast schwarzes Fell war über den gesamten Torso zu klumpigen Filzstücken verklebt. Aus moorschwarzen runden Augen blickte er die beiden jungen Männer an. Seine Krallen waren so lang wie seine Finger, von seiner rechten Hand tropfte eine schwärzliche Flüssigkeit zu Boden. Eben diese Hand erhob er in Richtung Carlo, der sich immer weiter umwandte. Als Carlo, wohl noch aus dem Augenwinkel, die Schrate erblickte, sprang er einen Schritt weit zurück, in Richtung Adam, und keuchte schwer auf.

      „Was...“ Der Ton dieses einen Wortes verwandelte sich von einer Frage zu einem entsetzten Aufstöhnen. Bei diesem Geräusch, dieser Äußerung von Carlos gejagter Seele, schreckten auch die Schrate zurück. Der Anführer stieß ein nicht lautes aber um so grausigeres gurrendes Fauchen aus. Jetzt sah Adam sein nervös wirkendes Blinzeln, feucht schimmernde Augenlider schlossen sich von links und rechts kommend, zweimal, dreimal blinzelte der Schrat, duckte sich, als wolle er sich zu einem weiteren Sprung bereit machen. Zu einem Sprung, mit dem er sie beide überwältigen und dann gemeinsam mit seinem Gefolge vernichten würde. Auch die anderen Schrate fingen an, sich zu ducken. Als spräche er zu einem Dritten in klaren und dringenden Ratschlägen sagte Adam sich in diesem Moment, dass er unbedingt, unbedingt, wenn er überleben wollte, mit den Schraten kommunizieren musste. Sein Leben und das von Carlo hingen davon ab, sich den Schraten als denkende, bewusst handelnde Wesen erkennen zu geben.

      Dann hielt er selber sich an, das einzige Stückchen Kommunikation anzuwenden, das er gegenüber den Schraten beherrschte. Langsam hob er seine Hände an ausgestreckten Armen, die Handflächen nach oben weisend, dann wandte er die Hände, senkte sie mittig vor seinem Körper mit der Handfläche in Richtung Boden, wedelte schließlich langsam in dieser Haltung mit den Händen auf und ab.

      „Was tust du da? Was tust du da nur?“ krächzte Carlo in einsamer Verzweiflung.

      Schon folgte der Anführer der Schrate Adams Beispiel, holte ebenfalls weit mit nach oben geöffneten Handflächen aus, die er dann in die Mitte seines Körpers führend zu Boden wandte, um die Geste des Beruhigens und Beschwichtigens zu machen. Die anderen Schrate nahmen diese Bewegung auf, die Adam seinerseits immerzu wiederholte. Die Schrate sahen nun Adam unverwandt an, schienen sich völlig auf ihn als Partner ihrer Kommunikation zu konzentrieren. Das mag der Grund gewesen sein, warum das, was Carlo nun tat, nicht zur Katastrophe führte. In hektisch zuckenden Bewegungen durchsuchte Carlo nämlich die Taschen seines Sweatshirts und seiner Hose, hatte endlich sein Handy gefunden und herausgezogen. Mit bebenden Händen, die eine Eingabe auf der kleinen Tastatur ohnehin nicht erlaubt hätten, hielt er das Telefon in die Hand, hob es hoch, so dass es sich wie eine Waffe ausnahm, die er gegen die Schrate erhob. Zum Glück schienen sie ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen. Aber Adam sah es, fürchtete, Carlo könne die Schrate doch noch zu einen raschen Gewaltausbruch provozieren.

      „Nein! Steck das weg!“ flüsterte er zischend in Richtung Carlo. „Steck das Telefon weg!“ Carlo fuchtelte unkontrolliert mit der linken Hand, in der er das kleine Gerät hielt. „Langsam“ flehte Adam fast winselnd „beweg dich langsam! Erschrick sie nicht!“

      „Ich habe kein Netz!“ wimmerte Carlo tonlos. „Jetzt sind wir dran! Wir haben kein Scheißnetz in diesem Scheißwald! Oh Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Er fing tatsächlich an zu schluchzen.

      „Beruhige dich Carlo“, unternahm Adam einen neuen Versuch, zu ihm durchzudringen, obwohl er wenig Hoffnung hatte. „Beruhige dich. Sie werden uns nichts tun. Steck das Telefon weg, beweg dich ganz langsam. Mach die Bewegung, die ich mache, sie werden uns gehen lassen, du brauchst das Telefon nicht, steck es weg, ganz langsam.“

      Entgegen jeder Erwartung, auf die Adam zu hoffen gewagt hatte, hörte Carlo auf ihn. Mit eisernem Willen, dem Willen, dem Grauen und der Lebensgefahr zu trotzen, bezwang Carlo das flatternde Zittern seiner Hände und Arme. In einem großen, langsam durchlaufenen Bogen, führte er das Handy wieder zurück in die Tasche seines Sweatshirts. Und dann begann auch er mit dem beschwichtigenden Winken mit beiden Händen. Auch wenn er nicht die einleitende Bewegung im großen Bogen machte, übernahm er doch die beruhigende, beschwichtigende Geste der sich auf und ab bewegenden Handflächen. Die Schrate sahen es, ruckten ihre Köpfe in einer überrascht wirkenden Bewegung in Richtung Carlo und stellten ihre Bewegung sofort ein. Carlo und Adam erschraken, hielten ebenfalls mitten in der Bewegung inne.

      „Was? Was ist jetzt? Was wollen die?“ flüsterte Carlo.

      „Ich weiß es nicht. Ich weiß es doch nicht.“

      Aber ihm war klar, ohne dass er einen Grund dafür hätte angeben können, dass die größte Gefahr vorüber war. Die Schrate hatten sich wieder aufgerichtet, standen in entspannter Haltung vor ihnen, das Gewicht vom Spiel- aufs Standbein abwechselnd. Für eine ganz lange Weile standen sie da, ganz ruhig, die langen Arme hingen an ihren Seiten hinunter. Dann atmete der Anführer sichtbar durch zum Zeichen, dass er nun mit Adam und Carlo kommunizieren wollte. Langsam hob er den rechten Arm, einen Finger ausgestreckt, auf Carlo deutend. Vor und zurück bewegte er die Hand mit dem ausgestreckten Finger, jetzt eindeutig auf Carlo zeigend. Dann beugte der den Arm, ballte die Hand zur nach oben gestreckten Faust und bewegte den Ellbogen in Richtung Erde, wiederholte das zweimal. Dann begann er die Sequenz von neuem, zeigte auf Carlo, beugte den Arm und ballte die Faust, bewegte den Ellbogen dreimal in Richtung Erde. Fünfmal wiederholte er diese Abfolge. Dann ließ er den Arm wieder sinken und an seiner Seite hängen.

      „Es ist alles in Ordnung“ redete Adam beschwörend auf Carlo ein. „Sie lassen uns gehen. Aber du darfst nicht alleine wiederkommen. Du darfst nicht alleine in ihren Wald kommen.“

      „Keine Sorge, das geht von mir aus völlig klar.“ Carlo konnte sich den Ansatz eines heiseren Lachers abringen.

      Jetzt begann der Anführer der Schrate wieder in seiner Gestik. Zunächst hob er wieder nur den rechten Arm mit ausgestrecktem Finger, dieses Mal deutete er mit kräftigem Stochern auf Adam. Dann bewegte er beide Arme zugleich und als er beide Arme in simultaner Bewegung in weitem Bogen von sich weg führte, wusste Adam bereits, was jetzt kommen würde: Weit schwenkte der Schrat die Hände von sich und vollendete den Bogen dann, indem er die Hände wieder an seinen Körper führte. Auch diese Sequenz aus dem Deuten und dem kreisenden Heranführen beider Hände zugleich wiederholte er fünfmal.

      „Ich... ich soll wieder kommen.“

      „Was?“

      „Sie lassen uns gehen, aber ich soll wieder zu ihnen kommen. Ich muss wieder zu ihnen kommen.“

      „Lass uns jetzt abhauen, ja? Komm lass uns gehen, Adam, schnell!“

      „Warte!“ herrschte Adam ihn an. „Warte! Rühr dich nicht vom Fleck. Sie gehen zuerst. Dann können wir gehen. Aber beweg dich jetzt bloß nicht.“ Er war nun gar nicht mehr erstaunt, dass Carlo ohne Widerspruch gehorchte.

      Eine letzte Gestik führte der Anführer der Schrate jetzt aus. Beide Hände hielte er geöffnet vor sich, um sie dann ruckartige nach vorne und auseinander zu bewegen, als wolle er etwas von sich wegschubsen. Ohne zu zögern oder sich zu bedenken, wiederholte Adam die Geste, die dann auch die drei weiteren Schrate übernahmen.

      „Was ist denn jetzt?“ fragte Carlo, ohne den Blick von den Schraten zu lösen.

      „Sie verabschieden sich. Gleich gehen sie, dann können wir auch gehen.“

      „Schnell, mach schnell, verabschiede sie, und dann lass uns abhauen.“

      „Ich kann sie nicht drängen. Beruhige dich, sie sind gleich weg.“

      Es war auch gar nicht nötig, die Schrate zu drängen. Sie brachen die Verabschiedungsgeste so abrupt ab, wie sie sie aufgenommen hatten, dann verschwanden sie mit großen Sätzen im Blattwerk der Farne. Wie dicht die Farne