Anne Wunderlich

Zwiespalt


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bleibt aus, Durchführen eines Schwangerschaftstests

      2 Termin beim Frauenarzt: Bestätigung der Schwangerschaft, Berechnung Geburtstermin, Urinprobe, Ultraschall, Erklärung über alles Weitere, Übergabe von Informationsmaterial, keine Aushändigung des Mutterschaftspasses (nur bei Fortführung der Schwangerschaft), nach Vollzug erfolgt der Eintrag beim Arzt als Fehlgeburt

      3 Termin bei Diakonisches Werk e.V. – Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle

      4 Termin zur Kostenübernahme bei der Krankenkasse -> sofortige Aushändigung der „Bescheinigung über die Übernahme der Kosten für einen Abbruch der Schwangerschaft nach dem Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen“

      5 Überweisungsschein vom Frauenarzt -> „Überweisung an Frauenklinik“, Diagnose II Gr., unerw. Grav., 8. SSW, Auftrag: erbitte Interruptio

      6 Terminvereinbarung im Krankenhaus -> Vorstellung im Krankenhaus, Vereinbarung OP-Termin

      7 OP, Durchführung des Schwangerschaftsabbruches, Ausstellung des Arztberichtes für die Frauenärztin und gleichzeitige Bestätigung, dass ein Abbruch der Schwangerschaft in einer Einrichtung nach § 13 Abs. 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes unter den Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1, 2 oder 3 StGB vorgenommen worden ist

      8 Erhalt des Krankenscheins für eine Woche, Diagnose O04.9

      9 Vier Wochen nach Durchführung einen Termin zur Nachuntersuchung bei der Frauenärztin

      Vom Anfang bis zum Ende. In neun Schritten. Zufall, dass es so viele Schritte waren wie eine Gravidität in Monaten dauert? Raum für Spekulationen blieb.

      Ich glaube, hier spielte mir mein Unterbewusst einen Streich. Dieses war definitiv nicht im Einklang mit meinem Bewusstsein. Im Verdrängen von Gefühlen war ich gut und in diesem Moment wurde mir deutlich, wie perfekt ich tatsächlich dieses Handwerk beherrschte. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, das Lesen der wenigen Seiten des Buches sowie mein Fahrplan ergriffen und beschäftigten mich und somit war die Nacht sehr unruhig und schlaflos. Immer wieder wälzte ich mich hin und her, schreckte auf, träumte von seltsamen Kreaturen, dachte an Kinderwagen, ans Windeln kaufen, an uns als Familie. In Summe lag ich insgesamt fünf Stunden wach und war am nächsten Tag früh morgens dementsprechend gerädert und tot müde.

      Tag 2

      Zum Glück musste heute keiner von uns zeitig aufstehen, denn es war Wochenende. Darüber war ich sehr froh, denn so konnte ich ausschließen, aufgrund Schlafmangel Fehler auf Arbeit durch Unkonzentriertheit und Gedankenabschweifungen zu begehen. Gleichzeitig blieb Florian und mir genügend Zeit, uns über den eventuellen Familienzuwachs Gedanken zu machen. Daher hieß die Tagesaufgabe für Florian und mich: Erläutern, Diskutieren, Überlegen und Abwägen.

      Gleich nach dem gemeinsamen Familienfrühstück war es soweit. Trotzt längerem Schlafens und des Stärkens am Frühstücktisches zeigte die Uhr die Stunde neun an, draußen nieselte es und bei Temperaturen um die acht Grad Celsius, gepaart mit auffrischendem Wind, verspürten unsere Söhne keinerlei Drang, raus zu gehen. Viel lieber wollten sie drinnen spielen, in der beheizten Stube und in ihren Kinderzimmern. Mit einem Fünkchen Eigennutz gab ich ihren Wunsch nach, denn auch meine Lust hielt sich in Grenzen, früh am Morgen, nach einer schlaflosen Nacht, bei Wind und Wetter, mich in die Feuchte zu stellen und neben der Beaufsichtigung der Zwerge zu bemerken, wie im Minutentakt die Füße kälter werden. Für die Variante blieb immer noch genug Zeit. Der Tag war noch lang.

      Simon, Adrian und Valentin spielten ganz lieb miteinander. Mal in der Stube, dann in Adrians Zimmer oder in dem gemeinschaftlichen Kinderzimmer von Simon und Valentin. Die Größe der Wohnung ließ keine andere Variante zu, aber die Aufteilung passte gut. Adrian war vom Charakter eher ruhig und zurückhaltend und spielte gerne auch mal für sich alleine, im Gegensatz zu seinen zwei Geschwistern. Diese freuten sich stets über einen Spielkameraden. So behagte es Adrian, ein eigenes Zimmer nur für sich zu haben.

      Ich brühte mir eine Tasse Tee auf und gesellte mich im Anschluss zu Florian auf unser Sofa. Von hier aus hatten wir das rege Gewusel der Kinder gut im Blick, welches sich gerade auf dem Teppich im Wohnzimmer abspielte. Wie es der Zufall so wollte, spielten die Drei in einer Seelenruhe und wir hatten Zeit, uns zu unterhalten.

      Dicht neben Florian machte ich es mir gemütlich und hielt meine Tasse heißen Tee fest in den Händen. Vor meinem geistigen Auge suchte ich nach Worten, um das bevorstehende Gespräch wie eine Ansprache vorzutragen, doch als ich nach einmal tief Luft holen mit meiner Rede beginnen wollte, fiel mir Florian in mein unausgesprochenes Wort. „Nun erzähl, was hat die Ärztin gestern gesagt?“

      „Also …“ Fast so, als würde ich Zeit herausschlagen wollen, stellte ich die Tasse mit dem Heißgetränk vorsichtig auf den Stubentisch ab und rekelte mich in eine aufrechte Sitzposition. Im Anschluss legte ich meine Hände in den Schoss und drehte meinen Kopf zu meiner Linken. Zu Florian. Er schaute mich mit großen Augen und einen fragenden Blick an.

      „Meine Vermutung hat sich bestätigt. Florian, ich bin schwanger“, platzte es aus mir heraus.

      Die Kinder waren so mit sich selbst beschäftigt und in ihrer Fantasiewelt gefangen, dass sie auf das Gesagte von uns nicht reagierten. Gut so. Je weniger sie mitbekamen, umso besser. Nicht, dass einer von ihnen am Montag im Kindergarten auf die Idee kommt, allen anderen im Morgenkreis von einem Baby in Mamas Bauch zu erzählen. Schon bei Kindern verbreitet sich ein Gerücht oder in diesem Fall eine Tatsache wie ein Lauffeuer, welches im Anschluss auf ihre Eltern überschwappte und diese die Neuigkeit natürlich weitergeben müssen. Wenn ich etwas in meinem bisherigen Leben gelernt habe, ist es die Gewissheit, dass sich die Gerüchteküchen sowie der Buschfunk rasend schnell verbreiten und noch zügiger, wenn es sich um heikle und prekäre Mutmaßungen handelt. Nicht auszumalen, dass dreiviertel der Bewohner unseres kleinen Örtchens in maximal zwei Tagen von meinen Zustand Bescheid wissen würden.

      Florian sah mich entsetzt an und meinte entgeistert „Von wem?“

      Das war das Einzige, was ihm dazu einfiel!?

      „Was heißt denn hier von wem?“

      Stotternd revidierte er „Also … ich meine … Wie kann das nur sein? Bei unseren Jungs haben wir verzweifelt und vergebens versucht, schwanger zu werden und nun einfach so?“

      Ich nickte und stand noch immer genauso unter Schock, wie Florian jetzt.

      „Wann soll das passiert sein? Wir haben doch aufgrund des Stresses und des Zeitmangels in der Vergangenheit kaum miteinander geschlafen und wenn, verhütet.“

      „Ja, ich weiß. Ich bin genauso fassungslos und habe genauso reagiert wie du. Frau Doktor Funke konnte mir lediglich eine Zeitspanne der Befruchtung nennen, aber keinen genauen Tag. Ist ja schlussendlich egal. Doch sie meinte, dass eine Verhütung mit Kondom genauso sicher ist wie mit der Pille oder Vergleichbarem und zwar nicht vollumfänglich.“ Nervös wippte mein Fuß auf und ab und ich zupfte an einer Haarsträhne.

      „Und die Unfruchtbarkeit?“

      „Das Thema habe ich auch bei Frau Doktor Funke angesprochen. Wie oft haben wir davon gelesen, im Radio oder von Erzählungen gehört, dass bei Paaren nach Vollzug einer künstlichen Befruchtung es auf natürlichen Wege irgendwann geklappt hat. Meistens dann, wenn die Paare mit der Familienplanung abgeschlossen haben und überhaupt nicht mehr an das Thema rund um Babys denken.“ Florian nickte. Er gestand sich ein, dass es bei uns auch so war. „Da gehören wir also zu den Wenigen“, meinte er nachdenklich.

      „So zu sagen.“

      Ich erzählte Florian, dass ich in der siebten Schwangerschaftswoche war und bis zum Ende des dritten Monats ein Abbruch möglich wäre. Darüber hinaus nicht mehr, zumindest nicht in Deutschland.

      „Lass uns realistisch und objektiv abwägen“, sagte Florian ganz kühl. Zu kühl, meines Erachtens. Einen Wutausbruch, Freudentränen, ein lautes Aufschreien, selbst in die Hände klatschen hätte ich akzeptiert und erwartet. Irgendeine Reaktion, aber er wirkte gefühlsneutral. Emotionslos und unglaubwürdig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich schwanger