Anne Wunderlich

Zwiespalt


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als für mich. Ich hatte die Chance bei der Frauenärztin, unser Baby schwarz auf weiß zu sehen. Zu sehen, wie das Herz schlug. Es zu hören. Er nicht. Auch an meinem Bauchumfang konnte niemand eine Veränderung feststellen. Er musste meinen Erzählungen Glauben schenken.

      „Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam, aber auch jeder für sich an diesem Wochenende darüber nachdenken, ob wir das Kind behalten oder nicht. Am Montag möchte ich gerne in der Frauenarztpraxis anrufen und eine Entscheidung mitteilen. Obwohl noch etwas Zeit ist, sitzt sie uns dennoch im Nacken und je weiter sich der Embryo entwickelt, umso schwieriger wird die Entscheidungsfindung für uns.“

      Florian wollte meinem Wunsch nachkommen und schlug vor, solange sie so friedlich und ohne zu streiten spielten, vor unserem geistigen Auge eine Pro-und-Contra-Liste zu entwerfen. Adrian, Simon und Valentin beschlossen, in Adrians Zimmer zu gehen und dort zu malen. Das kam uns zugute. Ihren Wunsch stimmten wir zu und schnurstracks verschwanden sie aus dem Wohnzimmer. Die jeweiligen Zimmertüren blieben einen Spalt geöffnet, so dass wir bei diversen Disputen sofort und umgehend reagieren konnten. „So ruhig haben sie lange nicht mehr zusammen gespielt“, meinte Florian und dem konnte ich nur zustimmen. Als ob unsere Söhne geahnt hätten, dass ihre Eltern ein Vier-Augen-Gespräch führen mussten.

      Ich wandte mich Florian zu, in dem ich mich gegenüber von ihm im Schneidersitz auf das Sofa positionierte. Bei einem so wichtigen Gespräch wollte ich Florians Augen sehen, seinen Gesichtsausdruck. Seine gesamte Mimik und Gestik. Einfach alles an ihm.

      „Doch zuvor muss ich dich fragen, ist es ein Baby oder sind es mehrere? Eine erneute Mehrlingsschwangerschaft war bislang unser Hauptargument gegen ein erneutes Geschwisterchen und aufgrund familiärer Vorbelastungen nicht auszuschließen.“

      Unsere Drillinge haben wir uns sozusagen im Zuge der künstlichen Befruchtung ausgesucht und gewollt und bewusst drei befruchtete Eier einsetzen lassen, aber was die Natur aus unserem Erbgut macht, das konnten weder wir, noch die Ärzte im Vorfeld sagen. Der aktuelle Stand war bislang eine nach wie vor bestehende Unfruchtbarkeit.

      „Ja, es ist nur eins“, erwiderte ich Florian gegenüber. Ein leichtes Schmunzeln machte sich in seinem Gesicht breit und seine Augen wanderten nervös im Raum umher. Ich konnte förmlich sehen, wie auf einmal seine Gedanken kreiselten. Den Ausdruck kannte ich. Er malte sich vor seinem geistigen Auge etwas aus. Nichts Negatives, seinen Gesichtszügen nach zu urteilen. Dann ergriff er meine Hand und sah mir tief in die Augen. „Mmh, eins ist bei uns wie keins. Es würde sozusagen mitlaufen. Eins mehr zu den dreien fällt eigentlich gar nicht auf. Ich meine, stressiger kann es nicht mehr werden und außerdem hätte sie oder er drei größere Geschwister, die sich mit kümmern würden. So hast du in diesem Sinne sogar Unterstützung, die wir bislang nicht hatten.“

      Was war mit Florian los? Schwankte er gerade von seiner festen Meinung ab? Malte er sich eine rosige Zukunft zu sechst aus? Nun, wo die Gewissheit eines Einzelkindes stand? Der Fall, der in unseren Überlegungen immer wieder herangezogen, aber aufgrund der Umstände sofort verworfen wurde. Vor etwa sechs Monaten haben wir im Zuge der Auseinandersetzung mit einem erneuten Familienzuwachs alle Babysachen und Kleinkindsachen, darunter zählten Klamotten, Spielzeug, Babyflaschen, Breilöffel, Schnullerketten, Schmusetücher und was werdende Eltern sich noch alles für ihren Nachwuchs anschaffen, entweder an Freunde weggegeben oder dem guten Zweck der Kindereinrichtung gespendet. Nunmehr müssten wir uns alles wieder neu anschaffen.

      In Betracht zu ziehen ist dieses Glück der Geburt und dann ein kleines Wesen im Arm zu halten, das hatte nicht jeder. Wir vor ein paar Jahren schließlich auch nicht und nun ertappte ich mich selbst, wie ich mir die Frage stellte, ob das Ungeborene ein Junge oder ein Mädchen werden würde. Welche Augenfarbe würde es haben? Welche Haarfarbe? Sommersprossen? Wie schön es wäre, einen weiteren Jungen zu bekommen. Er könnte von seinen größeren Brüdern lernen, hätte dieselben Interessen, könnte manche Anziehsachen, Schuhe oder Mützen von seinen Geschwistern tragen und mit ihnen die gleiche Sportart ausleben. Ein weiterer Sohn für Florian. Er könnte sich als stolzer vierfacher Vater behaupten und all sein Wissen und seine Erfahrungen an seine Söhne weitergeben. Sein persönliches Vermächtnis von Generation zu Generation. Und ich? Ich wäre immer da, wenn sie ihre Mama brauchen. Um sie aufzufangen, zuzuhören, zu kuscheln, mit Rat und Tat zur Seite stehen und als Halt fungieren und mich eines Tages darüber zu freuen, wenn sie ihre erste Freundin uns vorstellen. Ein Mädchen, jetzt und nicht erst irgendwann als Freundin meiner Söhne oder auch als Schwiegertochter, das könnte mir aber auch gut gefallen und wäre schon schön. Florian empfinde garantiert auch so, aber ich als Mama noch viel mehr. Ich könnte mein Wissen und Können, was ich Jungs nur oberflächlich weitergeben könnte, ihr erklären und zeigen und wenn die Jungs mit ihrem Papa draußen Fußball spielen, mit meinem Töchterchen Zeit verbringen und könnte drinnen in der Küche mit ihr Kekse, Plätzchen oder Kuchen backen. Ich könnte ihr langes Haar kämmen, Zöpfe binden oder flechten und die schönsten Frisuren zaubern. Mit ihr zusammen stundenlange Einkaufsbummel zurücklegen und schöne Kleider kaufen, aber auch malen, basteln oder sie zum Singen im Chor oder zum Reiten begleiten und wenn sie größer ist, Schminktipps geben. Später, wenn sie in die Pubertät kommt, sich ihr Körper verändert und Haare an Körperstellen wachsen, an denen man nie Haare vermutet hätte, ihr mit mütterlichen Rat zur Seite stehen und sie bei den Besuchen zum Frauenarzt begleiten. Wenn sie das erste Mal verliebt ist, auf ihren ersten Kuss vorbereiten, bei ihrem ersten Liebeskummer zur Seite stehen und von meinen gesammelten Erfahrungen berichten, wie es nur eine Mutter zu ihrer Tochter kann und wie es meine Jungs später mir gegenüber wahrscheinlich nicht zulassen werden. Ja, all solche Dinge könnte ich mir gut vorstellen. Es sind kleine Dinge, aber solche, die ich mit meinen Söhnen nicht oder nur im Geringsten durchleben könnte. Ich denke, so empfinden alle Eltern. Männer wünschen sich mindestens einen Sohn, um ihre Ansichten, Kenntnisse und Wissen weiter zu vererben, Frauen eine Tochter. Keine Frage, dass selbstverständlich beide Geschlechter als Kinder sehr gewünscht sind. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Drei Söhne hatte ich bereits, da bot es sich ein kleines Mädchen an. Sie hätte drei große Brüder, die sie beschützen und bildlich an die Hand nehmen würden. Auch eine schöne Vorstellung. So oder so, ich würde das Geschlecht nie erfahren. Was die Unterstützung der Kinder angeht, war das Argument von Florian gar nicht so abwegig. Immerhin waren sie bis dahin fast fünf Jahre alt und sehr gut als Spielkameraden oder kurzzeitige Aufpasser geeignet. Bislang halfen uns unsere Mütter und natürlich wir uns gegenseitig. Nichts von wegen `Kindererziehung ist Frauensache`. Bei Drillingen unmöglich. Die Mithilfe des Mannes ist zwingend erforderlich, denn auch eine Frau hat nur zwei Hände. Wobei wir bei dem nächsten Punkt angelangt wären, der dagegen spricht. Mittlerweile waren wir froh, dass wir den Alltag ohne Hilfe von Anderen meistern konnten. Die Urlaube waren zwar ganz einfach gehalten, meist in Ferienhäuser in unmittelbarer Nähe unseres Wohnortes und mit dem Auto bequem erreichbar, aber dennoch schön, da wir zu fünft fahren konnten. Ohne die Großeltern, nur wir als Familie. In den Anfangsjahren unvorstellbar, war seit letztem Jahr möglich. Auf niemanden Rücksicht nehmen und als Familie ohne die alltäglichen Pflichten wie Wäsche waschen, die Wohnung sauber halten, einkaufen gehen, den Tag und die Zeit miteinander zu genießen. Eine kleine Auszeit eben. Bis auf den Tisch decken und ab und an für alle zu kochen, hatte auch ich Urlaub. Selbst diese Aufgabe machte in unseren Urlaub Spaß, da alle mithalfen und wir zusammen agierten. Abgesehen von den Urlauben funktionierte der Alltag mittlerweile gut. Die Kinder folgten meistens, sonst wären es aber auch keine Kinder. Sie hörten auf das, was wir sagten, spielten miteinander oder jeder für sich und wurden in vielerlei Hinsicht selbstständiger, was Florian und mir den Alltag einfacher machte. Sie zogen sich selber aus und an, holten ihre Spielsachen oder Bücher eigenmächtig, gingen alleine auf Toilette, aßen und tranken und entwickelten allmählich Fantasie und Kreativität, so dass wir als Eltern nicht immer Anregungen zum Spielen geben mussten. Wenn, dann machten wir es zur Unterstützung und Förderung oder auch als Eigennutz, um mit unseren Söhnen Zeit zu verbringen. Wie niedlich es einfach ist, bei ihnen zu sitzen und mitzuspielen und in ihre Gesichter dabei zu blicken oder zu beobachten, wie die kleinen Hände versuchen, irgendetwas zusammenzubauen. Im Spielwahn mittendrin und wenn dann die Dinosaurier oder die Matchbox Autos zum Einsatz kommen, dann kann auch Florian noch einmal Kind sein. Die kleine Auszeit im alltäglichen Trott eben. Seit ein paar Monaten hieß es die Zeit mit den Kindern auszukosten und ohne die Unterstützung sowie Hilfe einer dritten Person zusammen mit