Anne Wunderlich

Zwiespalt


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der Fälle vorsorglich ein paar Sofadecken mit rausgebracht, die ich den Kindern sowie auch mir über den Schoss legte. „Gleich wird es schön warm“, meinte ich liebevoll zu ihnen und setzte mich im Anschluss wieder, so dass wir die aufgetischten Speisen genüsslich verschlingen konnten. Es sah alles so verlockend aus und ich hatte so einen Appetit. Selbst als mir Luis noch ein Steak anbot, konnte ich das nicht ablehnen, obwohl ich bereits deutlich über mein Maß hinaus aß. Mich wunderte es, dass niemand etwas sagte, wie „du hast heute aber einen gesunden Appetit“ oder „bei euch ist wohl nur Licht im Kühlschrank“ oder irgendwelche vergleichbaren ironischen Bemerkungen. Ganz im Gegenteil, selbst als ich die Rester der Kinder verschlang, verlor niemand ein Wort. Umso besser, so musste ich mich auch nicht rechtfertigen.

      Der Regen ließ nach und es war windstill geworden. So konnte Luis wie geplant, ein Lagerfeuer entfachen. Wir rückten unsere Stühle nach draußen ins Freie, rund herum um die Feuerschale. Sehr zur Freude unserer Jungs. So waren sie beschäftigt und konnten den lodernden Flammen zusehen und zusammen mit einen von uns Erwachsenen ab und an ein Stück Holz auflegen.

      Nun gesellte sich auch Isabell und Dominik zu uns, ein befreundetes Pärchen. „Entschuldigt die Verspätung, aber das Abendessen bei meinen Eltern dauerte länger als gedacht“, warf Dominik in die Runde, als sie jeden von uns einzeln begrüßten. Mit einem freudigen Händedruck meinte Luis „Ich nehme an, dass ihr nichts mehr essen wollt.“ Dominik legte eine Hand auf seinen Bauch und meinte lächelnd „Nein, ich glaube, hier passt nichts mehr rein.“

      Bei dieser Antwort fiel mir auf, dass auch ich erneut meine Hand versteckt in der Jackentasche, auf meinen Bauch hielt. Reiner Reflex. Ganz unbewusst. Doch diesmal zog ich sie nicht weg, denn aufgrund der mittlerweile nur noch vorherrschenden sechs Grad Celsius Außentemperatur eine gute Möglichkeit, sich selbst zu wärmen.

      „Aber ein Bier, oder?“

      Dominik willigte ein. Isabell schloss sich uns Frauen an. Nach der Begrüßungsrunde saßen sechs Erwachsene gemütlich, drei Kinder standen am Feuer mit langen Stöcken in der Hand haltend und immer wieder kurz darin herumstochernd. Die beiden Neuzugänge unserer Runde berichteten von ihren kürzlich erlebten Urlaub im Oman und alle lauschten dem Reisebericht. Dann kam eins zum anderen. Von diesem Urlaub schwankte Clara zu ihrem bevorstehenden Urlaub mit Luis, über Wärme, Auszeit vom Job, Arbeitskollegen, dessen Ehepartnern bis hin zu dem neuesten Klatsch und Tratsch. Von einem Thema zum nächsten, bis auf einmal alles soweit erzählt wurde, was neu und interessant war. Es folgte ein Schweigen in der Runde sowie in das Feuer Starren auf der Suche nach neuen Gesprächsthemen. Einen Schluck trinken half über das Schweigen hinweg. Plötzlich sah Dominik zu uns rüber und fragte „Und, was gibt es bei Euch so an Neuigkeiten?“ Ich schaute auf und der Atem stockte mir. Hätte ich vor der gestellten Frage einen Schluck Rotwein getrunken, hätte ich diesen in diesem Moment wie in einem Film geradeaus herausgespuckt. Glück aller, dass ich mich immer noch an meinem ersten Glas aufhielt und maximal nur nippte. Ich sah von Dominik nervös in die Runde, in die neugierigen Gesichter und hoffte auf eine Reaktion seitens Florian. Sonst war es nicht so, dass ich mich so auf meinen Mann verließ, aber nach den gestrigen neuen Erkenntnissen wusste ich auf solch gestellte Fragen keine Antwort. Natürlich hätte ich am liebsten gesagt, was mit mir los ist, doch das ging nicht. Die Tatsache ließ mich immer wieder verstummen. Diese Heimlichtuerei und Lügerei gegenüber meinen Freunden nervte und betrübte mich.

      Die Rettung in der Not ließ nicht lange auf sich warten und Florian antwortete „Nichts weiter. Unsere Zwerge halten uns ganz schön auf Trab.“ Mit dieser Aussage log er nicht einmal. Stimmte, so oder so. Mit diesem Einwurf war das nächste Thema gefunden und alle erzählten irgendetwas über ihre Nachkommen. Ich lauschte aufmerksam den Gesprächen, sofern es möglich war, denn immer wieder musste ich einen der Jungs ermahnen, mit ihren Stöcken im Feuer aufzupassen.

      Die Schlafenszeit war gekommen, die Bettgehzeit bereits deutlich überschritten und das merkte ich den Kindern an. Sie kicherten, hörten nicht, machten genau das, was sie nicht sollten und wurden am Feuer unvorsichtig. Ich entschloss zu gehen und beugte mich zu Florian rüber, um ihm meinen Entschluss ins Ohr zu flüstern. Er nickte zustimmend und meinte „Ja, ich denke auch. Die Kinder müssen ins Bett.“ Schnurstracks erhob sich Florian von seinem Stuhl. Ich folgte ihm und nutze die Gelegenheit, mein lediglich angetrunkene Glas Wein unauffällig unter meinem Stuhlsitz stehen zu lassen und nicht in einem Zuge auszutrinken.

      Wir sammelten unseren Nachwuchs ein, bedankten uns höflich und verabschiedeten uns von allen.

      Zu Hause angekommen, brachten wir unsere Söhne schnellstmöglich ins Bett. Zweiundzwanzig Uhr war eine gute Zeit, um schlafen zu gehen. Als noch Drei- bald Vierjährige sowieso. Auch ich fiel, trotz Mittagsschlaf todmüde ins Bett. So schön wie der Abend war, so anstrengend war er auch. Auf irgendeine Art und Weise, die mir tagtäglich bewusster wurde.

      Tag 3

      Der nächste Tag brach heran und brachte eine riesige Portion Müdigkeit mit sich. Gut geschlafen hatte ich und war dennoch wie erschlagen. Dieser Zustand hielt auch den gesamten Tag über an.

      Gleich nach der morgendlichen Katzenwäsche und noch vor dem Frühstück wog ich mich. Die Gewichtskontrolle – mein ganz persönlicher Spleen und mittlerweile ein wöchentliches Ritual. Mit der Erkenntnis, schwanger zu sein, änderte ich meinen Rhythmus auf täglich, um für mich selbst mein Gewicht im Auge zu behalten. Es war nicht so, dass ich unter- oder übergewichtig war und auf meinen Hüftspeck achten musste. Der Blick auf das silberne Quadrat mit dem runden Ziffernblatt galt nur für mich, denn es gab während meiner ersten Gravidität nichts Schöneres, als zu sehen, wie mein Bauch wuchs und das Gewicht langsam, aber stetig stieg.

      Nackt betrat ich die Personenwaage und stellte keinerlei Veränderung zum gestrigen Wiegen fest, was mich stutzig machte. Nach einem Grillabend, einer Feier oder eines mit Knabberei reichen abends schlug der Zeiger mindestens ein halbes Kilogramm mehr nach rechts aus. Nicht so heute. Trotz des vielen Essens am Vorabend hielt ich mein Gewicht. War es nur Einbildung oder doch Tatsache, dass das Baby in mir bereits jetzt schon von mir zehrte? Im Auge behalten und beobachten, lautete meine Devise.

      Nach dem Frühstück galt unsere volle Aufmerksamkeit den Kindern, denn erst am Nachmittag hatten wir uns mit Freunden verabredet. Wir versammelten uns alle in Adrians Zimmer und meine vier Männer düsten mit den Rennautos die Straßen des Spielteppichs entlang. Die Mama hingegen beobachtete das rege Treiben und die freudigen Gesichter und versank dabei für einen kurzen Moment in Gedanken. Ich musterte Florian mit seinen grünen Augen, braunem Haar und Sommersprossen auf der Nase. Adrian sah ihm so ähnlich. Faszinierend. Auch unsere zwei anderen Jungs, sie alle waren für mich die hübschesten Kinder auf der Welt und ich besonnte mich, welch ein Glück ich mit meiner Familie hatte.

      Plötzlich riss mich Übelkeit aus meiner Träumerei und zwang mich, schnell ins Bad zu rennen. Über der Toilettenschüssel gebeugt, wartete ich förmlich darauf, dass ich mich übergeben musste, doch vergebens. Es kam nichts. Zum Glück blieb das Frühstück in meinem Magen, dennoch war mir so schlecht. Ich erhob mich von dieser Position und trat zum Waschbecken, um mir das Gesicht mit kaltem Wasser abzuwaschen. Erfrischend. Ich griff zum Handtuch, tupfte mich ab und sah anschließend in den Spiegel. Kreidebleich sah ich aus. Dunkle Ringe bildeten sich unter den Augen ab. Was hatten alle zu mir gesagt? „Gut siehst du aus, wie das blühende Leben.“ Ein nicht ernst gemeintes Kompliment und wenn doch, dann meinten sie garantiert nicht mich. Mir war so flau in der Magengegend, dass ich meine Wangen aufplusterte, als würde ich dieses Gefühl hinauspusten wollen. Doch es funktionierte nicht. Auf einmal betrat Florian das Badezimmer und fragte besorgt nach. „Ist alles in Ordnung bei dir?“. Ich nickte und beschrieb ihm meinen Gemütszustand. „Du bist ja auch schwanger“, meinte Florian und legte zeitgleich seine Hand auf meinen Bauch.

      Fingen nun doch die ersten Beschwerden an? Bis vor zwei Tagen ging es mir noch prächtig und nun sollten auf einmal die Wehwehchen einer Schwangerschaft auftreten? Seltsam und dennoch waren meine Bedenken berechtigt. Irgendwelche Symptome mussten sich schließlich in dieser vorangeschrittenen Schwangerschaft zeigen, wenn es schon die Waage oder selbst das Baby mit kleinen Bewegungen nicht übernimmt. Zurückversetzt vor ein paar Jahren erinnerte ich mich ganz genau, wie sehr ich mir wünschte, irgendeine