Anne Wunderlich

Zwiespalt


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Jungs gut bewältigen. In diesem Zusammenhang steht die uns jeweils wiedergewonnene Freiheit und Freizeit, die nicht zu verachten ist und ganz wichtig für den jeweiligen Elternteil. Jeder konnte seinem Hobby nachgehen, sich eine Auszeit von etwa einer Stunde am Tag nehmen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Entweder spielte Florian mit den Kindern, so dass ich ohne Rücksicht auf andere Wege erledigen oder einfach mal die Seele baumeln lassen konnte. Im Gegenzug beschäftigte ich mich mit den Mäusen, so dass mein Mann in dieser Zeit Rasen mähen, zum Nachbarn auf ein Bierchen gehen oder Sport machen konnte. Auf diesen Freiraum haben wir fast vier Jahre lang gewartet und diesen wieder aufzugeben, war nicht gerade die beste Lösung. Mit einem Einzelkind kein Problem, von Geburt an. Während die Mutter mit dem Kind beschäftigt ist, kann der Vater etwas anderes erledigen. Mit Zwillingen oder in unserem Fall mit Drillingen nicht möglich. Mittlerweile konnte sogar ein Elternteil alle drei Kinder alleine ins Bett bringen, noch vor kurzem undenkbar. Natürlich dauerte die Prozedur deutlich länger und war im wahrsten Sinne eine Prozedur, aber machbar. Apropos ins Bett bringen, unsere drei Söhne bereiteten uns mit zweieinhalb Jahren die erste durchschlafende Nacht. Bei Mehrlingen war die Chance groß, dass immer mal ein Kind nachts wach wird und somit auch ich. Als alle drei die erste Nacht durchschliefen, machte ich vor Freude drei Kreuze im Kalender. Da waren sie zwei Jahre und sieben Monate. Hat auch lange genug gedauert, wie ich finde. Diese schlafreichen Nächte wieder herzugeben für ein Baby, dass spätestens aller vier Stunden gestillt werden will, dafür war ich momentan nicht bereit. Zu bedenken war schließlich, dass das Baby auch ein Schreikind sein kann oder Koliken hatte und ich nicht nur aller vier Stunden wach war, sondern im schlechtesten Fall die ganze Nacht. Dann müsste ich tot müde aus der Dunkelheit früh am Morgen bis spät abends wieder voll fit, munter, energiegeladen und gut gelaunt für alle vier Kinder da sein, wobei mich vermutlich die Älteren mehr auf Trab halten würden, als der kleine Wonneproppen. Allein daher wären mir mit einem Baby erneut eingeschränkt, benötigten wieder Beistand. Dabei ist auch zu bedenken, dass Florian mit den Jungs irgendwelche Abenteuer und Ausflüge unternimmt und ich mit dem Baby allein zu Hause säße. Zwar könnte ich mich an dem Kleinen erfreuen, aber ich würde von der Freude meiner Söhne nur durch Erzählungen teilhaben können, ihre Emotionen nicht mehr mittelbar mit ihnen teilen. Gut vorstellbar, dass ich mir dann wie das sprichwörtliche fünfte Rad am Wagen vorkäme. Ich wäre die Mama des Babys und nur noch passiv die der Jungs. Dieses Szenario war für mich unvorstellbar sowie unakzeptabel und nicht zu ertragen, dennoch möglich, denn mit einem Baby bin ich an Still- und Schlafzeiten gebunden und ein Fahrradausflug oder auf dem Trampolin mitspringen geht schlecht mit einem Kinderwagen in der Hand. Was dieses Szenario mit sich bringt, ist zusätzlich die Gefahr des Auseinanderlebens mit meinem Ehepartner. Gerade dann, wenn Florian mit unseren Söhnen auswärts unterwegs ist, sie kurz vor dem Abendessen wieder nach Hause kommen und ich einen Kurzbericht des Erlebten erfahre, bis ich im Anschluss des Mahles mit dem Baby tot müde ins Bett falle und die Zweisamkeit, Zärtlichkeiten oder einfach nur die Kommunikation auf der Strecke bleibt. Den Gedanken, Florian zu verlieren, wollte ich gar nicht fassen. Im Gegenteil, jetzt hatten wir die Möglichkeit, uns als Ehepaar wiederzufinden. Nichts nur als Eltern zu fungieren, sondern als Partner. Den anderen wieder so zu sehen und zu erleben, wie man sich einst in diesen verliebte. Ein weiterer Punkt konnte sein, dass die Jungs auf ihr kleines Geschwisterchen eifersüchtig sind und einen Machtkampf ausübten, wobei garantiert das Baby nicht gewann. Was wäre, wenn einer von den dreien oder alle um die Liebe und Aufmerksamkeit der Mutter ringen würden oder ihren Ärger, dass die Mama sich ausgerechnet im geforderten Moment um den Nachwuchs kümmern muss, an dem Baby verbal und körperlich ausließen? Nicht auszumalen, aber ich denke, diesen Punkt kann man außer Betracht lassen oder sich entsprechend so zurechtbiegen, dass wir ein weiteres Contra hatten. „Wir müssten umziehen“, ergänzte Florian weiter. „Stimmt. In Adrians Zimmer passt kein weiteres Bett, ganz zu schweige von dem Kinderzimmer von Valentin und Simon. Einen Raumteiler in unserem Schlafzimmer ist nicht möglich. Es bliebe also nur die Möglichkeit, eine Wohnung für insgesamt sechs Personen zu finden, was schwierig werden wird.“ „Oder teuer.“ „Da können wir dann schon über ein Eigenheim nachdenken.“ Wir gehörten jedoch nicht zu den Typen mit Eigenheim. Wir wohnten lieber zur Miete. Obwohl unsere derzeitige Wohnung einer Grundfläche eines Eigenheimes entsprach, konnten wir so die Pflichten an unseren Vermieter abgeben und wenn die Jungs groß sind und nach der Schule in verschiedene Städte zur Berufsausbildung oder Studium gingen, blieben wir in Anführungsstrichen „Alten“ zurück und wozu benötigten wir im Alter ein großes, leeres Haus. Später eine kleinere, altersgerechte Wohnung zu finden, schien für uns persönlich die beste Perspektive zu sein. „Und nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass ich nach der langen Elternzeit die Chance bekommen habe, einen Job in Teilzeit auszuüben, den ich schon immer machen wollte. Diese Möglichkeit bekomme ich nicht ein zweites Mal und wer entfristet schon eine Mutter in einer angehenden Führungsposition oder übernimmt sie nach der Probezeit, die sich vermutlich ständig Kind krank melden muss? Niemand. Ich kann mir heute schon sicher sein, dass beim Verkünden meiner Schwangerschaft ich umgehend meinen Schreibtisch räumen kann.“ Ein großer Aspekt für mich. Beruflich war ich am Ziel meiner Träume und die Angst sowie Gefahr, dies alles zu verlieren, überwog für mich als Argument, denn dieser Punkt war der Einzige, den wir nicht selbst beeinflussen konnten. Für alles andere fanden wir schon eine Lösung, aber für das Letztere nicht. Ich kann mich noch zu gut daran erinnern, wie ich eine Bewerbungsabsage nach der anderen erhalten habe und entsprechend demotiviert und traurig war. Und wie in den Vorstellungsgesprächen, die ich ab und an als kleine Aufmunterung hatte, unrechtmäßig nach dem Familienstand und Kindern gefragt wurde und mein Gegenüber „Ich habe Drilllinge“ gehört hat, mir dankend meine Bewerbungsmappe über den Tisch schob und sich ruckartig für das Gespräch bedankte und dieses beendet wurde. Die Qualifikationen waren plötzlich völlig uninteressant. Ziemlich unfair. Eine Beleidigung und Bestrafung zugleich an jede Frau, die Kinder hat. Natürlich ist ein krankes Kind nicht vorhersehbar, aber möglich. Genauso gut kann aber auch jeder selbst krank werden und ausfallen, Kind hin oder her. Nur diese Variante scheint kein Arbeitgeber in Betracht zu ziehen. Warum sollen denn immer nur die Mütter ausfallen und für höher qualifizierte Stellen nicht geeignet sein? Schwachsinn. Eine Mutter ist ein Multitalent und für einen Arbeitgeber unverzichtbar. Organisationsgeschick, sehr guter Umgang mit Menschen, Selbstbewusstsein, ein sicheres Auftreten, ein gepflegtes Äußeres, Teamfähigkeit, multitaskingfähig, selbstständiges Arbeiten, stressresistent, belastbar, all diese Stichpunkte kann jede Mama in ihrer Bewerbung auflisten und vorweisen. „Stellst du etwas fest, Conny?“, fragte mich Florian und streifte mir zeitgleich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wir haben mehr Punkte gegen das Baby, als dafür?“, ergänzte er weiter. Stimmt, es stand elf gegen drei. Reichten dennoch die drei wenigen Punkte aus, um einen weiteren Nachwuchs zu befürworten? Völlig gleichgültig, wie viele Punkte für ein Kind sprachen, im Grunde genommen reichte ein einziger Punkt aus - die bestehende Schwangerschaft. Bei auftretenden Zweifeln fanden wir zahlreiche und gleichzeitig nichtige Punkte, den dem Einen widersprachen. „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt“, untersetzte ich unsere Auswertung und sah dabei Florian direkt in die Augen. Fast schon wie ein kleines Kind, wenn es irgendetwas haben möchte und nicht bekommt. Doch in diesem Fall wollte ich nichts haben, oder doch? Sagte mein Unterbewusstsein etwas anderes? Nein, es ging nicht. Die Entscheidung gegen das Kind war das Vernünftigste und die Erste, die mir in den Sinn kam. „Conny, deine Meinung ist meine Meinung. Ich stehe hinter dir und deiner Entscheidung. Wir können darüber reden, abwägen, diskutieren, aber nur du hast das letzte Wort. Du musst die Entscheidung letztendlich treffen. Ich denke, es ist die Richtige. Die richtige Kopfentscheidung. Das Herz sagt etwas anderes, keine Frage. Du weißt, wie ich jetzt gerade fühle und darüber nachdenke, was wäre, wenn. Dafür kennst du mich in- und auswendig, aber es macht diese Alternativsuche nicht leichter. Also von daher ist alles richtig, egal was du tust. Ich bin auf jeden Fall für dich da und stehe an deiner Seite.“ Diese Worte von Florian zu hören, trafen genau in mein Herz. Es berührte mich so sehr. Ich sah, dass er rot unterlaufende, gläserne Augen hatte und nervös mit seinem linken Bein auf und ab wippte. Dies machte er nur in unangenehmen Situationen. In solchen Momenten wusste ich, warum ich ihn geheiratet habe. Egal, wie hoch die Höhen und tief die Tiefen in unserer Ehe waren, er stand immer zu mir und zu meinen Entscheidungen und unterstütze mich, wo er nur konnte. Dafür liebte ich ihn so sehr und mit dem, was er sagte, traf er immer auf den Punkt. So vernünftig all unsere gesammelten Argumente gegen das Baby