Anne Wunderlich

Zwiespalt


Скачать книгу

mehr, obwohl er der beste Freund meines Mannes war. Umso weniger überlegte Florian über die Idee und war sofort Feuer und Flamme. Er meinte, Luis Freundin wäre dieses Wochenende da und die Nächsten wäre er bei ihr oder beide zusammen im Urlaub. Der normale Wahnsinn der zeitlichen Einschränkung beim Führen einer Fern- beziehungsweise Wochenendbeziehung als Paar. „Wir brauchen nichts mitzubringen, nur zu kommen, meinte Luis“, berichtete Florian. Mein Mann freute sich so sehr über die Einladung, da konnte ich nicht wiederstehen und willigte ein. Was für mich hieß, die bereits verstauten Wintersachen aus dem Schrank zu ziehen, so dass die Jungs wetterfest angezogen sind und mich auf das Vorhaben am Abend zu freuen.

      Tag 2 - So geschah es dann auch.

      Mit gefütterten Matschhosen, Winterjacken, Halstüchern, Mützen und den gefütterten Lederschuhen gekleidet, schlugen wir fünf bei Luis auf, der uns freudestrahlend in Empfang nahm und uns in seine überdachte und mediterran angehauchte Sitzecke einlud, die einem Wintergarten mit zahlreichen Kakteen glich und durch entsprechendem Mobiliar zum Verweilen anregte. Trotz des miesen Wetters sorgte das Kerzenlicht der zahlreich aufgestellten Laternen am Abend für eine gemütliche und romantische Atmosphäre. Clara kam gerade aus dem angrenzenden Wohnzimmer. „Schön, dass ihr da seid“, hieß auch sie uns willkommen und verschwand gleich wieder in die Küche, um die restlichen Speisen für das Grillen vorzubereiten. Luis bestückte währenddessen eine Schale mit Holz und tanzte wie Rumpelstilzchen um diese und unsere Jungs ganz aufgeregt hinterher. Sehr zu Freuden der Kinder wollte Luis nach dem Grillen, sofern das Wetter mitspielte, ein Lagerfeuer machen und schon jetzt, kurz nach Aussprache dessen Idee, konnten die Dreikäsehoch es kaum erwarten.

      „Was darf ich euch zu trinken anbieten? Ein Bier oder ein Glas Wein? Ich habe auch Radler da.“

      Florian entschied sich für eine Flasche Bier und bevor ich Luis antworten konnte, sah ich zögernd und gleichzeitig fragend meinen Mann an. In seinem Sortiment zählte er nichts Alkoholfreies auf. Mit zaghafter und unsicherer Stimme und immer noch den Blick auf Florian gerichtet, entschied ich mich für „ein Radler bitte.“ Halb Bier, halb Zitronenlimonade. Immerhin. Rein für das Gewissen in meinem jetzigen Zustand.

      Der Abend verlief sehr gemütlich. Luis zündete die Holzkohle im Grill an und bestückte diesen reichlich mit Fleisch, als die Kohle sich in graues Glutbett verwandelt hatte. Immer wieder ein faszinierendes Spektakel für unsere Kinder. Eigentlich alles, was mit Feuer zu tun hat. Ob das Lagerfeuer, die brennende Kohle oder das Feuer im Kamin ist, Hauptsache irgendetwas brennt und am besten wird hierzu die Feuerwehr gerufen. Unsere Jungs verstanden noch nicht, dass sich die Realität von den Trickfilmen im Fernsehen völlig unterschied, gerade wenn es um Gefahren ging. Umso unruhiger war ich, wenn sie sich dem Grill näherten oder generell mit langen Stöcken in Feuerschalen herumstochern wollen.

      Momentan lehnte ich mich ganz beruhigt in den Terrassenstuhl unter dem Glasdach, blickte zu den Männern und den Jungs am Grill und lauschte den Regentropfen, die auf das Dach leise anklopften, so als würden sie reingelassen werden wollen. Ich stellte meine, mit bisher wenigen Schlucken angetrunkene Flasche auf den Holztisch und fuhr mit meinen Händen in die Jackentasche. Eisig kalt waren sie und mussten gewärmt werden. Als ich in meiner gemütlichen und entspannten Situation einige Minuten verweilte, bemerkte ich plötzlich, dass meine Hände zwar warm waren, aber sie immer noch fest an meinem Bauch lagen. Besser gesagt, auf meinem Bauch. So, wie es eigentlich jede Schwangere macht. Das Kind zu beschützen und zu behüten. Solche Handlungen und Gesten konnten nur von meinem Herz gesteuert werden, denn in meinem Kopf ertönte ein ganz anderes Signal.

      Als Clara zur Stubentür auf die Terrasse trat, zwei Schüsseln mit Salat tragend, nahm ich sofort meine Hände aus den Jackentaschen und sprang auf, um ihr zu helfen. So bewahrte ich mein Bild des Anstandes und für alle anderen den Augenschein der Unterstützung. Ich hingegen kam mir ertappt vor, wie bei einer unerlaubten Handlung, als hätte ich etwas Verbotenes gemacht. Als Schwangere war es ganz legitim, dass ich meine Hände auf meinen Bauch legte, jedoch sollte niemand von meinen Umständen Kenntnis tragen. Auch Florians bester Freund nicht. Eine geplante Abtreibung ist schließlich nichts, womit man in der Öffentlichkeit angibt, es am liebsten in die weite Welt hinausschreien will und prahlen kann. Anders bei einer gewollten Schwangerschaft.

      Kaum waren die Nudel- und Kartoffelsalatschüsseln an ihren dafür vorgesehenen Platz abgestellt, blickte mich Clara an und fragte. „Trinkst Du ein Glas Rotwein mit mir mit? Alleine mag ich keins genießen.“ In diesem Moment horchte ich, sowohl auch Florian, auf und erneut trafen sich unsere Blicke. Fast so wie ein Kleinkind seine Eltern ansieht, wenn es um Erlaubnis bittet. Innerhalb kurzer Zeit verlockte nette Gesellschaft zum Konsumieren von Alkohol und unbemerkt darauf zu verzichten, ohne eine Anspielung wie zum Beispiel „bist du schwanger oder krank“ an den Kopf geworfen zu bekommen, war unmöglich. Wie mag es dann jeden trockenen Alkoholiker ergehen? Standhaft bleiben ist eine Herausforderung! Das Geheimhalten einer Schwangerschaft aber auch!

      „Trinkst du mein Radler weiter?“ rief ich Florian zu und ein Nicken folgte als Antwort. Ich schenkte meine Aufmerksamkeit wieder Clara und meinte „Ja, warum nicht.“

      Sie machte auf dem Absatz kehrt und holte von drinnen eine Flasche Wein sowie zwei Gläser. Das verschaffte mir erneut Zeit. Zeit zum Nachdenken, was in meiner jetzigen Lage kontraproduktiv war.

      „Ja, warum nicht?“, fragte ich mich selbst. Es gab keinen Grund, mit einem schlechten Gewissen Alkohol zu trinken. Wie bereits erwähnt, der Entschluss für eine Abtreibung stand. Es war somit völlig egal, ob ich verbotene Genussmittel zu mir nahm oder mich ausschließlich von Ungesunden ernährte. In diesem Zusammenhang schoss mir ein Gedankenblitz. „Misst, ich habe überhaupt nicht das Medikament ´Folioforte` genommen!“ Meine nachdenklich, zugekniffenen Augen suchten vergebens und hektisch einen fixen Punkt in dem offenen Raum und ließ gleichzeitig meinen Mund einen Spalt offenstehen. Ich weiß noch aus meiner ersten Gravidität, wie wichtig es war, dieses Präparat einzunehmen. Am besten schon drei Monate vor Beginn der Schwangerschaft und noch besser ab dem ersten Gedanken an eine gewünschte Schwangerschaft. Dieses Produkt war in aller Munde, in jeder Zeitschrift und Ärzte erinnerten immer wieder daran. Natürlich hielt ich mich an den Ratschlag, unwissend bei der ersten Schwangerschaft sowieso. Immer wieder wurde gepredigt, wie wichtig die Folsäure und das Vitamin B12 für Mutter und Kind sei. Und nun? Nicht einmal annähernd nahm ich etwas in der Form zu mir. Standen die Zeichen für das Baby jetzt schon schlecht? Die ersten Weichen, die gestellt werden müssen, habe ich völlig ignoriert. Was ist die Konsequenz? Trägt das Baby daher einen Schaden? Körperlich oder geistig oder beides? Ist damit bereits der Weg für das Baby vorbestimmt? Auch ohne unsere Entscheidung? „Quatsch!“, redete ich mir ein. Wie viele Pärchen werden unerwartet schwanger, nehmen ebenfalls dieses oder ein ähnliches Präparat nicht und bekommen gesunde Babys? Bestimmt genug! Garantiert.

      „Na dann, auf einen schönen Abend!“, vernahm ich plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund und erschrak. „Wo warst Du denn gerade mit deinen Gedanken?“, fragte Clara lachend. Sie saß neben mir in dem Gartenstuhl, die geöffnete Weinflasche stand auf dem Tisch und die halbvollen Gläser hielt sie in den Händen, von welchem sie mir eins reichte. Ich war so in meiner eigenen Welt vertieft, dass ich nicht bemerkte, wie sie wieder aus dem Haus kam und sich neben mir niederließ.

      Meine gedankliche Abwesenheit blieb nicht unbemerkt und vom Grill her ertönte Luis Stimme, der mein Zusammenzucken beobachtet hatte und anfangs mit Clara mitlachte, nun aber besorgt nachhackte. „Ist alles gut bei Dir, Conny? So nachdenklich kenne ich dich gar nicht.“ Damit traf er genau ins Schwarze. Sonst grübelte ich nicht so viel und war stets geistig anwesend, aber das Baby in mir beschäftigte mich doch mehr, als ich dachte und zugeben wollte.

      „Ja, es ist alles gut. Entschuldigt bitte“, erwiderte ich und griff zu dem Weinglas. Mit „danke für die Einladung“ stieß ich mit Clara an und nahm einen Schluck. Kaum das Glas abgestellt, war das Gegrillte fertig und alle nahmen an dem Tisch Platz. Ein besseres Zeitgefühl konnte Luis nicht an den Tag legen, denn genau in dem Moment, als alle in der überdachten Sitzecke einen Platz fanden, begann es in Strömen zu regnen und der Wind peitschte. „Hier habt euch ja das schönste Grillwetter ausgesucht“, meinte ich ironisch und schlagfertig, wie Luis war, konterte er sofort. „Bei schönem Wetter kann ja jeder