Ralf Lützner

Die Irrfahrt des Charles Philip Plumpton


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„Sir ... es signalisiert, Sir!“

       „Hmm“, knurrte Boles. „Mouse, hol mal das Kodebuch aus meiner Kabine!“ wies er den Schiffsjungen an.

       „Es ist die ‚Trafalgar’, Sir“, sagte Tobias, nachdem man die Flaggensignale entschlüsselt hatte. „Wir sollen stoppen ... und längsseits kommen.“

       „Bollocks!“ fluchte der Käpt’n. „Hätte das nicht warten können, bis wir zu Hause sind?“

       „Vielleicht ist zu Hause etwas vorgefallen“, erwiderte Tobias. „Vielleicht eine Epidemie?“

       Erschrocken sahen die Männer einander an.

       „Vielleicht machen ja die Franzosen wieder Ärger“, warf Spunk, der Harpunier, ein.

       „...oder Piraten!“ ergänzte der alte Abraham.

       Feindselige Blicke wandten sich daraufhin Emma Prendegast-Willis zu, die sich nun ebenfalls zu der Gruppe gesellte.

       „Wir werden es früh genug erfahren“, beschwichtigte der Kapitän. „Los, Männer! Holt die Segel ein! Tun wir, was sie wollen...“

       Rasch kam die ‚Trafalgar’ heran. Laut Register war sie ein Schlachtschiff 1. Ranges mit 104 Kanonen. Mit fast 70 Metern Länge war sie mehr als doppelt so groß wie die zierliche ‚Eleanore’. Sie war fast vollständig schwarz lackiert, allein die Breitseiten der drei Batteriedecks erstrahlten in leuchtendem Weiß.

       Eine stattliche Anzahl Marineinfanteristen war auf dem Oberdeck angetreten. Zwischen all dem Rot der Uniformröcke war es schwer, andere Crewmitglieder auszumachen.

       „Mir gefällt das nicht“, flüsterte Emma Charlie Plumpton zu und zog diesen von der Steuerbordreling fort. „Sieht mir nicht nach einem Freundschaftsbesuch aus...“

       Auch die ‚Trafalgar’ strich nun Segel. Sie war jetzt fast schon Seite an Seite mit der ‚Eleanore’.

       Käpt’n Boles griff zum Sprachrohr.

       „Schiff ahoi!“ tönte seine Stimme über das Meer. „Wie steht’s daheim in St. George’s?“

       Einen Moment lang herrschte Stille.

       Dann sah man die Marineinfanteristen anlegen.

       Wie ein Dutzend Peitschenschläge löste sich eine Salve Musketenfeuer.

       Tödlich getroffen ging Boles zu Boden.

       Die Mannschaft der ‚Eleanore’ war vor Schreck wie gelähmt. Kreidebleich stand Tobias direkt neben der Stelle, an der sein Kapitän gerade gefallen war. Er betastete seinen Bauch. Ungläubig starrte er auf das Blut an seinen Händen. Dann begann er zu schwanken und brach ebenfalls zusammen.

       Die übrigen Männer blieben wie angewurzelt stehen.

       „Runter!“ zischte Emma und riss Charlie auf die Planken.

       Eine neuerliche Musketensalve prasselte auf das Deck. Weitere Seeleute wurden niedergemäht.

       Die ‚Trafalgar’ öffnete ihre Kanonenluken.

       Ein vielstimmiger Donnerhagel brach über die ‚Eleanore’ herein. Man hörte das Pfeifen der Projektile aus den langen 12-Pfündern vom oberen Deck des Schlachtschiffs, während die schwereren Kaliber der unteren Batterien düster grollend dem Schiffsrumpf zusetzten. Die kleine Bark zitterte und bebte unter der schieren Gewalt der Geschütze.

       Panik brach aus. Einige der Seeleute versuchten sich unter Deck in Sicherheit zu bringen. Andere liefen einfach wie aufgeschreckte Hühner umher.

       Charlie Plumpton war wie betäubt. Er sah Mouse, den Schiffsjungen, der gerade von einem Volltreffer über Bord gefegt wurde.

       „Komm schon, Plum!“ Dumpf erklang Emmas Stimme in seinen Ohren. Sie zerrte an seinem Arm. „Keine Müdigkeit vortäuschen...“

       Er lag am Boden und konnte sich nicht entsinnen, wie er dorthin gelangt war. Als er den Kopf hob, sah er einen Gewittersturm aus Holz und Eisen über die ‚Eleanore’ hinweg ziehen. Flüchtende Männer wurden von umherschwirrenden Planken und Bruchstücken der Takelage von den Füßen gerissen. Einschlagende Geschosse ließen Schwärme spitzer Holzsplitter durch die Luft flirren.

       All das wirkte wie in einem Traum.

       Vor seinen Augen drehte sich plötzlich alles.

       „Vorsicht!“

       Kreischend krachte ein menschlicher Körper vor ihm auf das Deck.

       Unsanft packte ihn daraufhin jemand am Kragen und versetzte ihm links und rechts eine Ohrfeige.

       „Wach endlich auf!“ schrie Emma ihn an. „Sonst bringst du uns noch beide um!“

       Charlie kam wieder zu sich. Irgendwie hatte ihn seine Begleiterin mittschiffs manövriert. Vor sich erkannte er die Leiche von Jerome. Ein Scharfschütze hatte ihn vom Masttopp geschossen. Eine Kugel steckte in seinem Hals. Aus dem zerschmetterten Hinterkopf strömte das Blut.

       Dann war das Trommelfeuer vorüber.

       Die ‚Trafalgar’ war fürs Erste an ihnen vorbei gesegelt.

       Emma ließ Charlies Kragen los.

       Sie erblickten Spunk, der wie ein Wahnsinniger zum Achterdeck stürmte und dem Schlachtschiff seine Harpune hinterher warf.

       „Nehmt das, ihr Schweine!“ brüllte er, schäumend vor Wut.

       Harmlos landete die Harpune im Wasser.

       Die Marinesoldaten nahmen Spunk ins Visier und schossen ihn nieder.

       „Die kommen zurück“, sagte Emma. „Uns bleibt nicht viel Zeit!“

       Neben ihnen knarrte und knackte es. Der von der Kanonade stark beschädigte Großmast brach. Knirschend bog sich die tonnenschwere Konstruktion. Armlange Splitter platzten an der Bruchstelle aus dem Holz, bis er schließlich nachgab. Im Fallen verfing er sich in der Vertakelung des Heckmastes und riss diesen mit um. Ein Ächzen ging durch das Schiff.

       Die ‚Eleanore’ hatte kapitale Schlagseite. Charlies Blicke wanderten über das zertrümmerte Oberdeck. Hier und da regte sich noch jemand. Man hörte Stöhnen und Wimmern.

       Emma griff wieder nach seinem Arm und zog ihn mit sich. „Los, komm!“ drängte sie. „Wir müssen runter vom Schiff!“

       Über auf Deck gestürzte Rahen und zerfleddertes Segeltuch arbeiteten sie sich zurück zum Bug vor. Der Fockmast war etwa auf halber Höhe glatt weggeschossen worden. Nur noch ein paar Taue hielten die Reste von Bugspriet und Klüverbaum zusammen.

       Geradewegs steuerte Emma auf das beschädigte Fangboot zu, an dem Charlie zuvor gearbeitet hatte. Die Wucht der Kanonade hatte es durch die Reling brechen lassen. Es hing bereits halb über Bord. Eine gekrümmte Gestalt kroch davor auf den Planken.

       Es war der alte Abraham.

       Charlie eilte auf ihn zu. Behutsam drehte er den Alten auf den Rücken.

       Abraham schien durch Charlie hindurch zu sehen. Seine Augen suchten die junge Frau. Blutstropfen rannen aus seinen Mundwinkeln. Ein gurgelndes Husten entwich ihm, als er zu sprechen versuchte.

       „Verfluchte Hexe!“ keuchte er nur noch und starb.

       Emma schenkte ihm keine Beachtung.

       Ein Blick nach achtern ließ erkennen, dass die ‚Trafalgar’ beidrehte und für einen zweiten Angriff zurückkam.

       „Los, fass mit an!“

       Gemeinsam stemmten sie sich gegen das Bootswrack, um es von Bord zu schieben. An einem letzten Halteseil blieb es hängen und baumelte von der Reling. Emma zog ein Messer aus dem Schaft ihres Stiefels und kappte damit das Seil. Ein paar Meter weiter unten hörte man das Wrack auf die Wasseroberfläche klatschen.

       „Vertraust du mir?“

       Charlie Plumpton