E.R. Greulich

Des Kaisers Waisenknabe


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dass einem Angst werden könne. Er hat was gegen mich, dachte Rudolf, er guckt mich immer an, als wenn er mich weghaben möchte. Zum Papa ist er nett. Aber er verstellt sich. Wie die Jonders.

      Rudolf tat der Tante den Gefallen und spielte den sanft Eingeschlafenen. Nun lag er allein, und in seinem Magen rumorte es. Er musste an den Besuch beim Großvater Treulich letzte Weihnachten denken. Da waren die Eltern mit ihm bis Jannowitzbrücke gefahren. Zur Blumenstraße war es dann nicht weit. Großvater Fritz Treulich hatte sich nach dem Tod der Großmutter, einige Zeit vor Rudolfs Geburt, eine junge Frau genommen, mit einer kleinen Elfriede, die zwei Jahre älter war als ihr "Neffe" Rudi. Rudolf nannte Elfriedes Mutter Tante Mariechen. Zierlich und heiteren Gemüts, hatte sie Mühe, ihr Töchterlein im Zaum zu halten, denn Elfriede war "ein Ass uff de Jeije", wie sie stolz von sich selbst behauptete. Sie hatte das Weihnachtsgedicht der Kleinkinder auf berlinisch umgedichtet und es Rudolf eingetrichtert.

      Die Lichter des Weihnachtsbaumes waren eben angezündet, als es auch schon die Treppe der Kellerwohnung heruntergepoltert kam. Knecht Ruprecht, in Schaftstiefeln, Pelzmantel und Zipfelmütze, einen Sack über der Schulter und eine Rute in der Hand fragte: "Seid ihr alle da?" Rudolf schrie am lautesten: "Jaaa!" Die Stimme des Weihnachtsmanns hörte sich bekannt an, auch hatte er einen genauso schönen Bart wie der Großvater. Und der hatte ausgerechnet zu dieser wichtigen Stunde dringlich weggemusst. Der Kleine witterte etwas, das stimmte ihn übermütig, und als er im Raubass gefragt wurde, ob er ein Gedicht aufsagen könne, deklamierte er Elfriedes Umdichtung:

      "Lieber oller Weihnachtsmann

      kiek mir nich so schofel an

      pack die doofe Rute ein,

      denn brauche ick nich artich sein!"

      Knecht Ruprecht entrüstete sich. "Schämste dir nich, den lieben Weihnachtsmann zu veralbern? Dafür kriegste was auf den Hintern!" Scheinbar zornig legte er den Frechling übers Knie und holte mit der Rute aus. So war der Großvater nie mit ihm umgegangen, und Rudolf bekam einen Todesschreck. Also schien es ein echter Knecht Ruprecht zu sein. Wenn der das ins große Buch schrieb und alle Jahre die Quittung mit der Rute brachte! Der Delinquent schrie.

      Die Erwachsenen sahen das Umkippen in die bleiche Angst und spielten nun ebenfalls Komödie. Onkel Wilhelm brüllte: "Hör mal, Weihnachtsmann, so böse is man doch nich zu kleene Jungs!" Sie fielen über Knecht Ruprecht her und raubten ihm Sack und Rute. Unter Hilferufen floh er die Treppe hinauf und ward nie mehr gesehen. Beim Ausschütten des Sacks kamen etliche Köstlichkeiten zutage, und Rudolf fragte, ob er wohl von dem rosigen Marzipanschwein kosten dürfe.

      Der Großvater erschien, der Enkel erzählte und schloss: "Der is vielleicht rausgefeuert worden, Großvater, und mir hat er das Schwein mit'm Holzbein geben müssen." Rudolf hatte inzwischen das eine Hinterbein abgenagt, und da war ein Wurstspeil zum Vorschein gekommen. Wahrscheinlich sei das ein Veteran von Leipzig-Einundleipzig, vermutete der Großvater, nach solch erhebenden Kriegen liefen leider immer eine Menge armer Schweine mit einem Holzbein herum. Der Enkel verstand die Ironie des Alten nicht, verspeiste zielstrebig das Marzipanschwein, und es blieben lediglich vier sauber abgenagte Speile von ihm. Rudolf aber fühlte sich bald recht unbehaglich. Auch Elfriede schien bedrückt. Eine entfernte Patin hatte ihr wohlverpackt eine Puppe geschickt, die fast ebenso groß war wie der Neffe Rudolf. Sie trug ein weißes Kleid und Lackschuhe, klappte die Augen zu und quiekte "Mama", sofern man sie waagerecht legte. Statt zu jubeln, erklärte das gewitzte Mädchen: "Da darf ick ja doch nich mit spieln." Diese Prophezeiung entbehrte nicht der Realistik. Tante Mariechen, von armen Häuslern im pommerschen Dorf Katerbow abstammend, dachte nicht daran, das Geschenk, welches "ein klotziges Geld" gekostet haben musste, der Gefahr einer Beschädigung durch Kinderhände auszusetzen. So stand die Puppe all die Jahre als Prunkstück in der Ecke des Sofas mit dem Paneel, auf welchem sich allerhand Raritäten reihten: Andenken an Großvaters Kutscherzeit. Für den Enkel Rudolf immer wieder Anlass, Fragen zu stellen, um dann mit glänzenden Augen die Geschichten aus der Markusgasse anzuhören.

      Nun lag Rudolf in einem fremden Bett und hatte ein schlechtes Gewissen. Das erste Mal zu Besuch und gleich der neuen Oma Scherereien gemacht. Sie war wirklich lieb, aber die Tanten hatten ihn alle ein bisschen wie ein Baby behandelt. Wo ihn der Papa doch in der letzten Zeit ein paar Mal seinen großen Jungen genannt hatte. Ob man der Oma beichtete, dass man schon lange kein solch herrliches Essen gesehen hatte. Hoffentlich gab sich bald das Magengrimmen, den lieben langen Sonntag im Bett, das wäre nicht auszudenken. Onkel Otto musste noch ausgefragt werden, denn auf dem Spielplatz in Bahnsdorf wurden alle möglichen Spiele gespielt, nur kein Fußball. Und richtig aufregend, was Tante Gretchen alles konnte. Eigentlich müsste man sich die zur Mama wünschen, wäre sie nicht so klein und gebrechlich. Derart geisterten Sorgen in Rudolfs Kopf, bis er davon müde wurde. Beim Einschlafen tröstete ihn, dass man auswählen könne. Sicherlich würde der Papa Tante Hedwig nehmen, sie war am meisten lieb gewesen.

      Von der Fahrt und allem danach überfordert, hatte der vom Opa zu Unrecht als Fresssack Bezeichnete einen langen Schlaf. Als er des Morgens geweckt wurde, wollte er nicht glauben, es sei bereits Montag. Tante Hanni wusch ihn, es war gründlicher als die eigenhändige Wäsche unter Aufsicht des Papas, der längst nicht alle Jungentricks kannte. Mit Tante Hanni setzte er sich an den Frühstückstisch, der Papa sagte, er müsse zur Arbeit, werde aber zur üblichen Zeit zu Hause sein, inzwischen fahre Tante Hanni mit Rudolf nach Bahnsdorf.

      "Tante Hanni?" entfuhr es dem Jungenmund.

      "Selbstverständlich, Sohnematz, sie ist bald deine Mama und freut sich darauf, mit dir nach Bahnsdorf zu fahren. Du kannst ihr den Weg über den Kirchsteig zeigen und überhaupt alles, was sie kennen muss, zum Beispiel den Schlächter Schöler. Von dort bringt ihr Koteletts für das Mittagessen mit."

      Das war ein fertiges Programm, unter dem Rudolfs Jungenwünsche schier begraben wurden, dennoch sagte er mit Zittern in der Stimme: "Ich wollte aber Tante Hedwig als Mama."

      Tante Hanni bekam ein erschrockenes Gesicht, Emil Treulich jedoch lachte. "Der Papa hat nun einmal Tante Hanni lieb, und auf dem Standesamt kann er nicht sagen, ich bitte um zwei Frauen, weil mein Sohn die Tante Hedwig wünscht."

      Das war freundlich gesprochen, es schmerzte den Betroffenen dennoch, Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Er kämpfte dagegen an, doch um so schlimmer wurde es. Wenige Monate eines Waisenknaben lagen hinter ihm, doch die genügten, den Verlust der Mama nachträglich zu durchleiden, nun, da er zum zweiten Mal eine Mama verlor.

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