Anatol Anders

Die erst rückblickend vorhersehbare Geschichte meines Bruders, seiner Mutter und der widerspenstigen Freiheit nach meinem Scheitern


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lassen, es passe schon, will sie ihre Lüge aufrechterhalten. Natürlich meint sie es gut.

      Am nächsten Morgen bei Tageslicht, Sylvia schläft noch, entdecke ich immer mehr: Dass der Wasserhahn zwar an der Oberseite wie neu glänzt, das Chrom an der Unterseite aber schon ziemlich matt ist. Ich poliere sie auf Hochglanz, als könnte ich damit den verschwunden Schriftzug ausgleichen. Aber dann sind da noch die Übergänge, wo ich nicht hinkomme, erst zu sehen, wenn man von unten schaut, was zumindest ich bisher nicht getan habe. Wenn man es einmal weiß, allerdings auch, wenn man auf der Toilette sitzt. Dann sieht man außerdem, dass am Siphon das Kupfer grünlich oxidiert durch das Chrom kommt. Nochmals eine halbe Stunde polieren nur um festzustellen, dass ich den Grünspan zwar wegbringe, dafür jetzt aber das Kupfer rötlich durch die nur mehr hauchdünne Chromschicht zu sehen ist.

      Tatsächlich eine Erleichterung: Ob Schriftzug oder nicht, es gehört ohnehin alles ausgetauscht. Auch wenn Sylvia weiter Zufriedenheit vortäuscht und sich überhaupt vor Weihnachten mit anderen Dingen beschäftigen will.

      Dass ich meinen unüberlegten Umgang mit dem Schleifpapier – es war ja nicht zum ersten Mal – damit ausgleichen will, dass ich die Installation selbst durchführe, obwohl oder weil ich so etwas noch nie gemacht habe, möchte ich Sylvia nicht erklären. Sie würde es natürlich nicht verstehen. Keiner würde das. Und auf keinen Fall durfte ich sie auch noch hineinziehen: Sie sollte gar nicht auf die Idee kommen können über meinen Fehler hinaus auf ihren schwarzen Fleck zu stoßen. Ich begründe es deshalb lieber damit, dass wir keinen Installateur finden würden, wenn wir uns den Wasserhahn und den Siphon selbst besorgten. Sie glaubt es zwar nicht, sondern vermutet meinen Geiz als Grund, was sie schlimm genug findet, aber selbst damit komme ich besser davon.

      So groß ist meine Anspannung - Würde ich die Verschraubungen ohne Überschwemmung abmontieren können? Lassen sich die korrodierten Schrauben öffnen? -, dass ich nicht wie geplant auf den Sonntag warten kann, als die Lieferung wieder an einem Freitag eintrifft. Obwohl ich mir vorgenommen habe, nie mehr mit etwas zu beginnen, wenn ich nicht mehr frisch und konzentriert war.

      „Ich schaue nur, ob alles passt“ belüge ich sie und vor allem mich, während ich tatsächlich schon die alte Armatur abmontiere. „Willst Du sehen, wie der Hahn passt?“ weil es viel leichter als erwartet war. Trotzdem schon acht Uhr. Es wäre jedoch Unsinn ihn jetzt nicht gleich festzuschrauben. Jetzt solle aber Schluss sein, erinnert sie, schließlich hatten wir den Sonntag dafür geplant.

      Im Gegensatz zur alten Lösung, wo die Anschlussmutter mit einer Hülse abgedeckt wurde, war der sechseckige Anschluss jetzt direkt auf den runden Wandauslass zu montieren. Natürlich war es unter dem Becken, natürlich nur zu sehen, wenn man es sucht, natürlich weniger auffällig als der Grünspan davor. Aber gut sieht es deshalb nicht aus. „Ich putze nur mehr“, während ich die Hülse von der alten Armatur herunterschneide. Natürlich wird der Schnitt nicht schön, also feilen, aber da franst er aus. Nochmals schneiden, nochmals feilen. Es ist auch matter als das neue Chrom, darum polieren, aber auf keinen Fall mit Papier, lieber länger und nur mit Scheuermilch. Außerdem geht es nicht über die Mutter, ich helfe mit Öl nach, aber da bildet sich ein Riss in Längsrichtung. Warum habe ich es – schon wieder - mit Gewalt machen müssen? Aber dann schon die Idee: Ich könnte in Längsrichtung einen Schnitt machen, der dann auf der Rückseite und unsichtbar sein würde. „Hörst Du endlich auf? wird Sylvia ungeduldig, es ist schon neun und ich habe noch nichts gegessen. Wenn ich die Idee gleich gehabt und die Verjüngung nicht weggeschnitten hätte, würde jetzt die Anschlusskrimpung nicht über die Hülse hinausstehen. Wieso kann bei mir nie etwas perfekt werden?

      Um wenigstens etwas richtig gemacht zu haben, schraube ich noch schnell die Anschlussgarnitur hinein. Aber statt eines schnellen Erfolges gleich das nächste Problem:

      Beim Schließen des Ablaufs geht der Hebel hinter der Armatur nicht wie bei der alten nur nach oben, sondern auch nach hinten und damit gegen die Wand, entweder er öffnet sich also nur zu einem schmalen Spalt oder er schließt nicht. Sylvia steht schon wieder da und spricht von Lügen.

      Ich will es nur mehr hinter mir haben, perfekt wird es ohnehin nicht mehr, will wenigstens morgen einen normalen Samstag haben: Eine Einstellung, die halbwegs akzeptabel, aber dennoch ein Kompromiss ist. Wieder eine Niederlage. „Ich räume nur noch zusammen“

      Als ich den Siphon hinhalte, ist er zu lang. Ich hatte gewusst, dass ich das Rohr nach hinten würde abschneiden müssen, nicht jedoch, dass auch die Distanz vom Becken bis zur Höhe des Wandanschlusses ein Problem werden könnte. Warum habe ich nicht einfach einen Installateur gerufen?

      Ich zerlege den Siphon, man kann das Innenrohr abschneiden, aber es gab nur wenige Millimeter Spielraum. Mein T-Shirt ist nass vor Schweiß und ich kann kaum messen, so sehr zittere ich. Erst am nächsten Tag sollte ich die Krämpfe in den Oberschenkeln spüren. Unmöglich bis morgen damit zu warten, ich würde es die ganze Nacht immer und immer wieder analysieren und die nächsten Schritte überlegen. Nur noch abschneiden! Dann höre ich auf, bestimmt. Ich hole die größere Säge aus dem Keller, Sylvia glaubt zuerst, ich würde zusammenräumen. Als sie aber das Sägegeräusch hört, kommt sie. Ob ich denn genauso verrückt wie meine Familie sei. Ob ich diesen Stress, den man übrigens schon in der ganzen Wohnung riechen würde, notwendig hätte. Wenn ich es schon nicht könne. Und ich weiß selbst, dass eigentlich nie etwas so wird, wie ich es gerne hätte.

      Auf keinen Fall darf ich das Rohr falsch abschneiden. Also zerlege ich auch den alten Siphon, tatsächlich gibt es das gleiche Rohrstück, das ich als Muster schneiden kann. Die Säge ist nicht scharf, es quietscht und dröhnt – fast 10 Uhr -, während der Schnitt kaum tiefer wird.

      Es ist natürlich Wahnsinn gleich auf das neue Rohr zu wechseln, aber ich kann es nicht mehr verhindern. Natürlich geht es auch hier nicht, ich muss die kleine und scharfe Säge nehmen, wissend dass sie krumm schneiden wird und die Gefahr die richtige Länge nicht zu treffen immer größer wird. „Hörst Du wenigstens mit dem Lärm auf“ und auch die Trainingshose trieft schon vor Schweiß. Jetzt noch das andere Rohr und tatsächlich zum ersten Mal Glück, es passt gerade noch. Ich atme tief durch, bevor ich es zusammenstecke, so sehr zittere ich. Irgendwoher kommt Silikonpaste, ich schmiere sie ins Handtuch statt Papier zu nehmen, obwohl nur zwei Schritte mehr.

      Natürlich ist es nicht dicht, wie könnte es auch anders sein, noch dazu ganz oben am Ausguss, so dass ich den Siphon und den Abfluss zerlegen muss. Gehört die Dichtung auf die andere Seite? Es ist schneller montiert als jetzt noch überlegt. Tatsächlich ist es dicht, auch wenn jetzt der Abflussdeckel wieder schlechter passt als davor. Zehn Uhr dreißig.

      Ein Schlachtfeld an Werkzeugen, Teilen, Verpackung und Schmutzflecken der alten Armatur. Den Blutdruck möchte ich nicht messen, Puls und Atem wie nach Sport.

      „Gut sieht es aus“ sieht Sylvia gar nicht hin um nur ja nichts zu finden, was den Abschluss nochmals hinausschieben würde.

      Um mich zu beruhigen, räume ich zusammen.

      Der Griff für den alten Abfluss ist schmäler und könnte vielleicht passen, dann wäre das Problem mit dem Abflussdeckel gelöst. So leise wie möglich baue ich den neuen aus und versuche den anderen hineinzustecken. Nach einem kurzen Stück sitzt er fest. Weder vor noch zurück. Schweiß quillt aus mir, ohne Laut drücke ich mit beiden Händen, dann rutscht er hinein. Ich schraube alles fest, es passt von den Distanzen – super! -, aber auch die Stange ist grün von oxidiertem Kupfer. Nochmals raus und abscheuern, nochmals rein. Jetzt ist es auf einmal schwergängig. Habe ich etwas verbogen? Ich ziehe und biege und plötzlich ist die Querstange zu lang und klemmt an der Wand. Ich muss sie wohl in der Dichtungskugel verschoben haben. Und wirklich ist es undicht. Habe ich im letzten Moment wieder einmal alles zerstört? Es hämmert in meinem Kopf. Also nochmals den Siphon abmontieren, den Abfluss ausbauen, die Dichtungen neu setzen, wieder zusammenbauen. Alles ohne zu denken.

      Das Wasser läuft, es ist dicht.

      Als ich die Augen wieder öffne, kommt der Schwall, es hat nur gedauert, bis der Siphon voll war.

      Eigentlich müsste auch die alte Garnitur eine solche Dichtung haben, ich zerlege sie, aber sie sieht anders aus. Irgendwie geht sie trotzdem hinein, ich kann ohnehin nicht mehr überlegen, sondern stopfe