Kristian Winter

Stalking II


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warf mich natürlich um. Denn das Gefühl, vor einem solchen Gremium nicht ernstgenommen zu werden, kam einer inneren Demontage gleich. Kein Wunder, dass ich fortan aus Protest schwieg und meine Kommentare auf gelegentliches Lachen oder Prusten beschränkte.

      Doch auch das störte niemanden. Vielmehr überbot man sich mit allerlei Unterstellungen und Unverschämtheiten, nur um mich zu kompromittieren. So erkundigte man sich zum Bespiel während der mehrere Wochen dauernden Verhandlung nicht ein einziges Mal nach meinem Befinden, obwohl ich kurz vor einem Kollaps stand.

      Dafür wollte man wissen, was ich fühlte, als das Opfer blutüberströmt vor mir lag. Man gierte förmlich zu erfahren, ob der tödliche Schuss Erleichterung, Neugier oder gar sexuelle Erregung in mir auslöste und erwartete sogar noch eine Antwort.

      Das konnte nur von Leuten kommen, die nichts verstanden oder - noch schlimmer - dafür bezahlt wurden, nichts zu verstehen, wie dieser schmierige Ahmet Selimgüler, seines Zeichens Anwalt für Straf- und Familienrecht des in meinem Fall zu Tode gekommenen Belutschen Neznadiq Shariquiri, übrigens einer seiner Landsleute.

      Dieser honorige Herr und Cambridge-Absolvent, der die Nase so überaus hoch trug und sich meisterhaft zu inszenieren verstand, war Vater vieler solcher Gedanken. Diese verstand er in passenden Momenten effektvoll einzustreuen und damit niederste Instinkte zu bedienen.

      Doch wer fragte nach der Kehrseite? Vermochte man nur im Ansatz die Situation eines Menschen zu beurteilen, der schlagartig ruiniert und ganz auf sich allein gestellt einen ungleichen Kampf gegen einen Verrückten führen musste?

      Stattdessen folgten halbseidene Anspielungen oder beleidigende Unterstellungen wie: „Es stimmt doch, dass Herr Shariquiri wesentlich jünger war - wie ich der Akte entnehme, fast zwanzig Jahre. Dennoch unterhielten sie regelmäßig sexuelle Kontakte zu ihm und das sogar recht leidenschaftlich, wie den Beschwerden der Nachbarschaft zu entnehmen ist. Natürlich taten sie das nur widerwillig und aus Angst, wie sie uns wiederholt versicherten, denn Ihr Liebhaber sei ja so emotional gewesen. Ich verweise hier auf Blatt 35 der Akte, in dem es heißt: ‚Natürlich feuerte ich ihn an, aber nur, um es rasch hinter mich zu bringen, wusste ich doch um seinen Jähzorn, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte‘. Man muss kein großer Psychologe sein, zu erkennen, dass eine solche Leidenschaft nur im gegenseitigen Einvernehmen möglich ist. Mich würde deshalb interessieren, ob Sie beim Vollzug des Beischlafs jemals Skrupel empfanden und vor allem, ob er für Sie erfüllend war. Immerhin wussten Sie ja, dass diese Beziehung in seinem Kulturkreis inakzeptabel war und somit keine Perspektive hatte. Folglich muss Ihnen auch klar gewesen sein, welche Folgen dieser offene Verstoß für Sie beide haben könnte! Und wenn Sie diesen Mann dann noch durch Ihren Gefühlsbetrug darüber hinwegtäuschten, muss man sich doch nicht wundern, dass er emotional in die Irre lief. Somit bleibt festzustellen, dass es sich nicht nur um eine sexuelle Verführung unter Ausnutzung Ihrer Position handelte, sondern vor allem um einen Ausdruck ausufernder Nymphomanie?“

      Aber es kam noch dicker: „Warum haben Sie den Schusswaffengebrauch nicht angedroht, wenn Sie noch die Zeit fanden, so gezielt zu schießen? Nach den ballistischen Untersuchungen haben Sie sofort mitten ins Herz getroffen, obwohl Herr Shariquiri noch gute zwei Meter von Ihnen entfernt stand. Es mutet schon sehr befremdlich an, unter solchen Bedingungen noch derart treffsicher zu agieren. Aber vielleicht haben Sie dafür eine Erklärung?“

      Die hatte ich freilich nicht. Aber wie sollte ich auch, da sie von ihm längst gefunden war und er nicht müde wurde, sie dem Gericht immer wieder zu zelebrieren.

      Nie werde ich sein Gesicht vergessen, als er dem Richter theatralisch das Leben des armen Opfers offerierte, angefangen von der Flucht vor Krieg und Terror, seiner Rolle und seinem Platz in der Großfamilie samt dem glücklichen Neuanfang bis hin zu den Folgen dieser verschmähten Liebe unter Berücksichtigung der patriarchalisch geprägten Denkmuster seines Kulturkreises.

      Unter die Gürtellinie ging er allerdings bei der Analyse der psychischen Konfliktsituation des Opfers. Demnach wäre dessen Reaktion nur logische Folge eines von mir permanent provozierten Reizes gewesen, bedingt durch mein ungeniertes Tragen von Reizwäsche. Man stelle sich nur vor; er entblödete sich sogar, einige dieser Stücke vorzulegen, freilich ohne zu erwähnen, dass mich Ned dazu gezwungen hatte.

      Ebenso verlor er kein Wort über die Grobheiten gegenüber der eigenen Familie, hier insbesondere seiner Frau, schon gar nicht über seine beiden Kumpane Ishmet und Hazi, die ihm bei der Realisierung des Terrors behilflich waren und von der Staatsanwaltschaft erstaunlicherweise verschont wurden. Keine Silbe zu den ständigen Nachstellungen, dem abgebrannten Auto und meinem ruinierten Ruf im Wohngebiet.

      Das hätte auch kaum in diesen rührseligen Nekrolog gepasst, wie man überhaupt nur mit Rührseligkeiten effektvoll anklagen kann. Natürlich sind dabei Diskreditierungen und Verunglimpfungen legitim, schon um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten zu untergraben. Dieser billige Trick spricht nicht nur für mangelnde Professionalität, sondern auch für Skrupellosigkeit.

      Zwar erhob mein Rechtsbeistand, ein gewisser Dr. Rauchfuß, hin und wieder einen Einwand, aber nur sehr zögerlich. Eine wirkliche Kampfansage, die sich vielfach anbot und womit er in meinem Sinne hätte punkten können, wagte er nicht.

      Einmal rastete ich aus, als mich Selimgüler direkt angriff. Dabei versuchte er mir mit krankhafter Penetranz etwas in den Mund zu legen, was ich so nicht gesagt hatte. Doch niemand intervenierte. Da brannten mir alle Sicherungen durch und ich ließ mich zu ein paar volkstümlichen Kraftausdrücken hinreißen. Diese brachten sogar den Richter zum Erröten, die Mehrheit der Zuschauer aber zum Schmunzeln.

      Dafür bekam ich eine gerichtliche Verwarnung, aber das kümmerte mich nicht. Allein die verklausulierten Fragen waren eine Frechheit, wogegen jeder halbwegs versierte Verteidiger sofort protestiert hätte. Nicht aber dieser hilflose Feigling, den man mir zur Seite gestellt hatte.

      Den Vogel schoss jedoch die auf Kosten des Steuerzahlers initiierte Nebenklage der islamischen Gemeinde ab. Auch hier agierte Selimgüler federführend. Dabei versuchte er die Sache so zu drehen, als habe ich durch meine ‚aggressive Abwehr‘ (man überlege sich diesen Unsinn) und die Einweihung des Imams in die ganze Sache die Eskalation erst provoziert und damit auch die zu erwartende Reaktion des Opfers. Das bedeutete nichts anderes als die Hauptschuld an einem zumindest bedingten Vorsatz für den nachfolgenden Totschlag - so jedenfalls seine Argumentation. Darauf standen zehn Jahre und wieder schwieg mein Verteidiger.

      Glücklicherweise besagte Frau Dr. Hövelbeins Epikrise zu meiner psychischen Verfassung etwas ganz anderes, ebenso die unstrittige Beweiskette des vorangegangenen Stalkings. Damit lagen die Fakten auf dem Tisch und erklärten in ihrer Schlüssigkeit letztlich mein Handeln. Das führte dann in Würdigung aller Umstände zu meinem Freispruch, woran selbst die nachfolgende Revision nichts mehr ändern konnte.

      Dennoch schleppte sich das alles ein halbes Jahr hin, durchdrungen von Höhen und Tiefen bis zum bühnenreifen Auftritt von Neds Frau im Gerichtssaal mit dem Kind auf dem Arm, welche noch einmal in erstaunlich gutem Deutsch und wohlformulierten Sätzen die Seelengüte und Herzenswärme ihres Mannes beteuerte und auf lebenslangen Schadenersatz klagte. Auch hier war klar, woher das kam.

      Doch selbst das hatte nichts mehr gebracht. Die Brutalität und vor allem Kontinuität der Nachstellungen meines Stalkers waren eindeutig belegt. Somit kam ich aus der Sache weitgehend schadlos raus - von den zweitausend Euro Geldstrafe wegen des unerlaubten Waffenbesitzes mal abgesehen. Damit war ich offiziell rehabilitiert, sehr zum Ärger meines Feindes, der daraufhin noch mit ‚Konsequenzen‘ drohte. Meinen Frieden fand ich deshalb aber nicht.

      Die formal juristische Würdigung war das eine, die Rechtfertigung vor dem eigenen Gewissen das andere. Und genau hier lag das Problem. Was nützt der juristische Sieg, wenn die Frage offen bleibt, ob es nicht besser wäre, den Rest des Lebens in einer Zelle zu schmoren oder unter einem ständigen Selbstvorwurf zu leiden.

      Dabei kann ich nicht einmal sagen, was ich mir vorwarf. Vielmehr lag der Grund meiner Verbitterung in meiner permanenten Verunsicherung. Aber gerade diese wurde durch andere stets genährt. Allein die Art, wie man mir danach begegnete, glich einer Mischung aus Neugier und Angst, gefolgt von Kommentaren wie: „Ach, Sie sind das? Na,