Kristian Winter

Stalking II


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zum Beispiel von einer Frau in Anspielung auf meine Haarfarbe gefragt. „Dieser grelle Ton passt nicht zu Ihnen. Das wirkt tuntenhaft! Also ich an Ihrer Stelle …“. Den Rest lasse ich weg. Auf meine Erwiderung, was sie das anginge, folgten allzu bekannte Plattitüden, so dass ich sofort wusste, woher das kam.

      „Anwälte sind Chauvinisten“, hatte mir Frau Dr. Hövelbein einmal erklärt. „Skrupellosigkeit ist Bestandteil ihrer Strategie. Dazu scheint ihnen jedes Mittel recht. Zwar sind Rechtstreue und Unvoreingenommenheit höchste Prinzipien, doch steht das nur auf dem Papier. Vielmehr verfahren sie allgemein nach dem Motto: après moi le déluge, nach mir die Sintflut. Schon deshalb würde ich seinen persönlichen Attacken nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Sie bleiben zweckgebunden und sind nur Ausdruck der Höhe des gegnerischen Honorars. Das allein beweist seine charakterliche Schwäche und sollte Sie ihm gegenüber erhöhen.“

      Das mochte sicher zutreffen. Doch war das nur ein schwacher Trost. Schon deshalb beschimpfte ich einen am Straßenrand schnorrenden Penner, als er mir die ‚Motz‘ verkaufen wollte – übrigens ein Projekt zur Sozialhilfe, das wir selber stützen.

      Damit nicht genug – ich drohte ihm sogar Schläge an für den Fall, ihn hier noch einmal zu erwischen. Der arme Kerl war daraufhin so verdattert, dass er seine Sachen zusammenraffte, verstört wegrannte und woanders einen Verkaufsplatz suchte. Natürlich tat es mir danach leid und ich hätte mich am liebsten entschuldigt. Doch ich brachte es nicht fertig und genau das war der Punkt. Seit meinem Freispruch quälte mich ein tiefes Durcheinander, die mich gegenüber allem aufbrachte, aber auch verunsicherte. Die daraus resultierende Aggressivität war zwar ungewollt, jedoch unvermeidlich.

      So sehr ich mich auch mühte, ich konnte nicht anders. Oft tat ich nachts kein Auge zu und betäubte mich mit Alkohol oder etwas Gras, das ich hin und wieder von einem schrägen Typen im Görlitzer Park erstand. Der hatte es wiederum von einem Afghanen, von einer garantiert sauberen Plantage, wie er mir mit breitem Grinsen versicherte. Auch suchte ich gelegentlich die ‚Busche‘ auf, ein bekanntes Szenelokal in meinem alten Kiez, in dem gehurt und gedealt wurde.

      Dort fand ich manchmal jemanden, der keine großen Fragen stellte; meist eine Blondine mit Bürstenhaarschnitt und gepiercter Zunge. Von ihr ließ ich mich die ganze Nacht verwöhnen und bezahlte auch dafür. Aber die zurückliegenden Erfahrungen hatten mich Männern gegenüber immunisiert, so dass ich mich in solcherlei Illusionen flüchtete. Das Ergebnis blieb jedoch ernüchternd. Danach war mir nur noch elender zumute, vor allem, nachdem ich wiederholt bestohlen wurde.

      Heute glaube ich, es gibt nichts Schlimmeres als solch innere Zerrissenheit. Sie macht mich schon aus Prinzip skeptisch. Nur so war es zu erklären, warum mir mein zum Hahnenkamm toupiertes und mit Zuckerwasser versteiftes rotes Haar nicht mehr genügt. Seit einiger Zeit trage ich einen goldenen Nasenring. Außerdem ziert nun ein buntes Krähentattoo meinen Nacken. Das kommt nicht immer gut an und vielleicht will ich das sogar. Doch meine Opposition erhöht mich zu etwas Besonderem, womit ich mich als Außenseiter identifiziere und darin wohlfühle.

      Kein Wunder, dass man mich meidet, vor allem, sobald ich meine Jacke ablege und meine ebenfalls reichliche verzierten Oberarme entblöße. Dabei hat sich mein Chef, Herr Kahlenberg, für mich erst stark gemacht. Man munkelte, er habe sogar für mich gebürgt, nachdem er meinen Einsatz in meiner neuen Arbeitsstelle gegen den Widerstand der dortigen Belegschaft durchsetzte.

      Nun wurde mir auch klar, weshalb er mir neulich die Notwendigkeit einer vollständigen Reintegration nahelegte. „Nur so können Sie sich aus Ihrem Schatten lösen, Frau Möller! Vor allem aber versuchen Sie, künftig eine größere Distanz zu den Ihnen anvertrauten Schicksalen zu entwickeln. Jeder von uns ist zu helfen bereit – das ist nicht die Frage - nur sollte man die Kirche im Dorf lassen. Sie können nicht die ganze Welt retten und sich selbst dabei zugrunde richten. Ein zu großes Verständnis verringert die Distanz und trübt das Urteilsvermögen. Damit ist niemandem gedient, am wenigsten Ihnen!“

      Ich gelobte Besserung. Doch bewies mir jeder weitere Fall die Schlechtigkeit der Welt und die Verwahrlosung der Sitten. Warum entfiel ein großer Anteil an häuslicher Gewalt auf bildungsferne Familien? Wieso war die Abneigung gegenüber unseren Werten gerade dort am größten, wo man am meisten davon profitierte? Fragte man jedoch nach, folgten erschrockene Blicke, bis hin zu rassistischen Unterstellungen.

      Aber dort lag nicht das wirkliche Problem. Vielmehr war es die schleichende Gewöhnung samt der Abstumpfung gegenüber moralischen Prinzipien. Was blieb mir anderes übrig, als zum Abbau meiner Aggressivität wiederholt Taekwondokurse zu besuchen. Dort ging es dann richtig zur Sache und ich legte schon mal den Trainer auf die Matte.

      Das war der Jürgen, ein schöner, sonnengebräunter Jüngling von gerade mal sechsundzwanzig Jahren, mit breiten Schultern und neckischen Grübchen in einem wundervollen Knackarsch. Mit ihm hätte ich mir schon eine Affäre vorstellen können. Doch er zeigte kein Interesse, nicht mal, als wir nach dem Training zusammen duschten und uns gegenseitig einseiften. Normalerweise ist das unter Sportsfreuden nichts Besonderes. Da die nachfolgenden Berührungen aber intensiver wurden und ich ihm sogar ganz unmissverständlich meine Bereitschaft signalisierte - ich war schon vor ihm niedergekniet – zog er mich wieder hoch und bedeutete mir, dass ich ihm dafür zu alt sei.

      Damit kränkte er mich sehr und ich suchte nach einem Ausweg. Doch was ich auch tat - er blieb für mich unerreichbar. Hinzu kam, dass er eine sehr schöne, junge Frau hatte und ich mir vorstellen konnte … Aber nein, ich wollte mir nichts vorstellen, schon gar nichts, was ich nicht selber haben konnte. So etwas schmerzte nur.

      Seither verspüre ich einen Dang nach Gewalt als Ausgleich für solche Defizite, obwohl ich natürlich weiß, dass das keine Lösung ist. So wird mein Auftritt in Avcici‘s Gemüseladen sicher auch verständlich. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, begann ich unter diesem Zustand auch zu leiden, obwohl ich meinen Ruf als ‚Emanze‘ oftmals selber provozierte. Ich wollte angegriffen werden und legte es bisweilen sogar darauf an. Aber gerade dazu waren meine beiden neuen Kolleginnen, Gisela Ermel und Anett Baderhof nicht geschaffen.

      Während erstere, eine schlanke Endvierzigerin mit stets krankhaft blassem Gesicht und einem unerträglichen Hang zur Sentimentalität, mir oftmals auswich, um mich bloß nicht zu provozieren, versuchte es die andere, ein kleines Pummelchen von Anfang dreißig und durchaus sympathischem Äußeren, mit allerlei schrägem Humor. Darüber lachte sie dann am lautesten und wunderte sich über meine Zurückhaltung. Es war klar, dass mich beide gleichermaßen fürchteten, nur auf verschiedene Weise zeigten. Wie mich das bessern sollte, mochte verstehen, wer will.

      Ehrlich gesagt, wären mir zwei Zankbesen lieber gewesen, wie damals Lisa Möllenhaupt, die mir schon mal eine Schrippe an den Kopf knallte oder mich ‚dumme Tusse‘ nannte, weil ich sie als mannstoll entlarvt hatte. So etwas reinigt die Luft, vor allem, wenn man sich danach wieder entschuldigend in die Arme fällt. Doch diese beiden benahmen sich mit ihrem muffigen Anstandsgehabe, als wären wir hier in einem Mädchenpensionat. Ich mochte das zwar nicht - tolerierte es aber aus Fairnessgründen.

      Dabei meinte es Kahlenberg nur gut. Er wollte alles vermeiden, was mich provozieren könnte, erreichte jedoch nur das Gegenteil. Auf dieser Basis konnte kein kollegiales Verhältnis entstehen, sondern wir begannen, uns ständig zu belauern. Zugegeben habe ich mich aber auch nicht sonderlich bemüht, blieb maulfaul und übernahm auch nicht die Initiative, wie es mir Kahlenberg wiederholt riet. Warum auch? Wir würden ohnehin niemals Freundinnen werden und nur so zu tun, war mir zu blöd. Lieber trat ich einem Rentnerclub bei, als mit denen ein falsches Wort der Freundlichkeit zu heucheln.

      Nun gut, ganz so schlimm war es auch wieder nicht. Immerhin bot mir zumindest die Ermel schon mal einen Kaffee an, selbst wenn ich sie zuvor angeschnarrt hatte. Auch die Baderhof zeigte sich sofort besorgt, wenn ich ihre Auflockerungsversuche nicht erwartungsgemäß kommentierte. Der Wille war also da, fehlte nur noch die Umsetzung. Aber vielleicht kam das noch.

      Selbst mein weiteres Umfeld erwies sich durchaus nicht so trist, wie es sich jetzt vielleicht darstellt. Offen gestanden habe ich sogar einen heimlichen Verehrer. Dabei handelt es sich um niemand anderen als unseren Hausverwalter, ein undurchsichtiger Typ von Parterre, der mir bei jeder Begegnung ein Gespräch aufnötigt. Ihm gefallen meine Fesseln,