Kristian Winter

Stalking II


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konnte (oder durfte) er das nicht beantworten und verwies auf den Dienstweg, was ich wiederum nicht akzeptierte. Stattdessen kritisierte ich das laxe Vorgehen der Kollegen und ließ seinen Einwand bestehender Kommunikationsprobleme nicht gelten. Sowohl Opfer als auch Täter hatten in diesem Fall sehr gut verstanden, das wusste ich genau.

      Als er dann noch auf irgendeine Absprache mit dem ‚Friedensrichter‘ verwies, der für solche Fälle zuständig sei, platzte mir der Kragen. Kurzum, ich wurde sehr deutlich. Auch wenn ich den genauen Wortlaut nicht mehr weiß, genügte es, mein Gegenüber zu beeindrucken. Schließlich bat er um einen Moment Geduld und verschwand.

      Kurz darauf kehrte er in Begleitung eines stämmigen, rotbäckigen Burschen mit drei glänzenden Sternen auf den Schultern zurück - offenbar der Wachleiter oder so was. Seinem Gehabe nach musste er aber mindestens General sein.

      Während er sich nun auf den Vernehmerplatz wuchtete und den anderen wie einen dummen Jungen neben sich stehen ließ, begann er mir diese ‚Problematik‘ - wie er es nannte – gleich noch einmal zu erläutern.

      „Sehen Sie, verehrte Dame, darin liegt ja gerade das Problem, dass solche Opfer erfahrungsgemäß nur wenig Bereitschaft zur Mitwirkung zeigen, vor allem, sobald sie wieder dem gewohnten häuslichen Milieu überlassen sind. Dorthin können wir sie leider nicht begleiten und somit verhindern, dass die alten Strukturen greifen. Eine Rundumbetreuung ist leider nicht möglich, selbst wenn es wünschenswert wäre. Ihr Engagement in Ehren - aber ein mögliches Verfahren kann sich letztlich nur auf die Aussage des Opfers stützen, wenn dessen Bereitschaft vorliegt, anderenfalls sind uns die Hände gebunden. Im Übrigen darf ich darauf verweisen, dass es sich hier um eine Tätlichkeit unter Angehörigen handelt. Somit wäre ein zusätzlicher Strafantrag des Opfers erforderlich. Der wird aber in der Regel nicht gestellt und selbst wenn, dann aus den verschiedensten Gründen wieder zurückgezogen. Dadurch sind uns leider die Hände gebunden.“ Sein bedauerndes Achselzucken gab mir den Rest.

      „Woher wollen Sie das wissen?“, setzte ich sofort nach. „Es wurde doch nicht mal danach gefragt!“

      „Vielleicht haben Sie es nur überhört. Im Protokoll ist es jedenfalls vermerkt. Sehen sie, hier!“ Er tippte auf die Stelle und hielt mir den Passus unter die Nase.

      „Ich kann mich nicht an einen Dolmetscher erinnern! Schon deshalb bezweifele ich, dass die Betroffenen den Sinn dieser Erklärung verstanden haben!“

      „Da täuschen Sie sich. Diese Leute wissen sehr wohl, was sie unterschreiben. Auf Kosten des Steuerzahlers haben sie genug Rechtsbeistände, die ihnen das erklären und auch genügend Erfahrung mit solchen Dingen. So unbedarft, wie sie erscheinen, sind sie somit nicht!“

      „Das unterstellen Sie doch!“

      „Nur Erfahrungswerte“, entgegnete er.

      „Ihre Erfahrungswerte können mir gestohlen bleiben! Und was, wenn diese Frau einen größeren Schaden erlitten hätte oder womöglich zu Tode gekommen wäre?“

      „Ist sie aber nicht“, korrigierte er mich sofort. „Die ärztliche Untersuchung hat bis auf einige leichte Blessuren keine weiteren Schäden ergeben.“

      „Das mag vielleicht sein, aber wie sieht es mit den inneren Verletzungen aus, ich meine die seelischen? Ich habe gesehen, wie dieser Kerl sie zugerichtet hat und sie kann noch von Glück reden, dass es nicht schlimmer gekommen ist! Ich wage mir nicht vorzustellen, wenn das ohne Zeugen passiert wäre!“

      „Diese inneren Schäden sind nicht Gegenstand eines Verfahrens und alles Weitere wäre müßig zu diskutieren.“

      „Damit machen Sie es sich aber verdammt einfach!“, fuhr ich ihn an. „Kein Wunder, dass die Dunkelziffer solcher Taten so hoch liegt. Man sieht einfach nicht hin. So einfach ist das!“

      Meine Hartnäckigkeit milderte sein Lächeln merklich ab. „Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, gute Frau. Wo kein Kläger, da kein Beklagter. Im Übrigen ist es nicht unsere Aufgabe, alle nur denkbaren Erwägungen zu beurteilen.“

      „Also sollte ich demnächst besser wegschauen“, folgerte ich.

      „Das habe ich nicht gesagt! Aber offenbar gehören Sie zu jener Sorte Frauen, die schnell etwas missverstehen, wenn Ihnen etwas nicht passt!“

      Endlich hatte ich ihn. „Wie meinen Sie das?“

      „So wie ich es sage!“

      „Das ist eine Frechheit!“

      „Finden Sie?“

      „Allerdings! Ich werde mich beschweren!“

      „Das ist Ihr gutes Recht!“

      „Dann sind wir ja endlich einer Meinung! Übrigens bin ich erst vor kurzem in einer ähnlichen Sache mit jemandem ganz fürchterlich aneinander geraten! Sie können sich unter diesem Aktenzeichen dazu erkundigen!“ Ich legte ihm meinen Einstellungsbescheid vor.

      „Das mag alles sein, werte Frau …!“ Er suchte darauf nach meinem Namen.

      „Möller, Birgit Möller, Sozialdisponentin für Migration im hiesigen Stadtbezirk und Dezernentin beim Justizsenator dieser Stadt“, half ich ihm, log letzteres allerdings hinzu.

      Er blieb jedoch gelassen. „In jedem Fall sollten die Gesamtumstände beachtet werden und diese sind hier bestimmt andere.“

      „Das nehmen Sie an!“, hielt ich ihm entgegen. „Die Wahrheit interessiert Sie doch gar nicht!“

      „Ich versichere Ihnen, dass wir alles hinreichend prüfen werden!“ Mit diesen Worten streckte er mir die Hand entgegen, was einem Rauswurf gleichkam.

      Ich verließ höchst aufgekratzt das Revier, natürlich ohne Händedruck.

      ****

      02. Kapitel

      Natürlich tat es mir hinterher leid, denn ich war nicht fair, zumal die Gesetzeslage nicht mehr hergab. Die Beamten verrichteten ihren Dienst nach Vorschrift und nicht nach dem Herzen. Wer konnte ihnen also die Zurückhaltung verdenken, wenn nicht einmal das Opfer Interesse an einer Strafverfolgung zeigt.

      Dennoch wollte ich das nicht akzeptieren. Irgendetwas verbot mir jede Resignation. Somit blieb mir nichts, als meinem Unmut Luft zu machen. Aber ich hasse Inkonsequenzen, besonders wenn sie sich hinter dem Mantel der Rechtsstaatlichkeit verbergen. Schon deshalb leuchtete mir nicht ein, warum ein fehlender Strafantrag notwendige Ermittlungen verhindern sollte. Wer konnte ein Interesse daran haben, eine solche Tat zu decken?

      Ich nahm mir vor, künftig gelassener zu bleiben und sagte mir, wenn es so geregelt ist, wird es einen Sinn haben. Das hätte sicher funktioniert, würde das nicht Selimgülers Triumph bedeuten. Dieser Kerl war für mich die Inkarnation des Bürokratismus, vor allem aber des Unrechts. Dabei war man geneigt, ihn gar nicht ernst zu nehmen. So hielt ich ihn bei unserer ersten Begegnung glatt für einen Gerichtsdiener, kein Witz.

      Mit der dunklen, viel zu weiten Robe, die ihn bis zur Unmöglichkeit aufblähte, sah er so drollig aus, dass man unwillkürlich lachen musste. Er schien das auch zu wissen und zeigte sich manchmal reichlich verunsichert, vor allem gegenüber attraktiven Frauen. Dann wirkte er sogar verstört und leistete sich zuweilen manchen Fauxpas wie zum Beispiel einmal gegenüber einer Schöffin, die er wegen ihrer auffallenden Ohrringe ganz unverblümt ‚aufgetakelt‘ nannte und sich wunderte, wieso niemand darüber lachte.

      Möglicherweise war so die nachfolgende Wucht seiner Anschuldigungen gegen mich zu erklären, dieses Verunglimpfen und Verbiegen selbst elementarster Regeln, als stünde ich synonym für seinen Hass auf alle Frauen dieser Welt, die nicht seinen Wertvorstellungen entsprachen. Schon deswegen hätte man ihm seinerzeit die Mandantschaft entziehen müssen. Wenn das nicht geschah, dann allein aus Furcht vor seinem Ruf, der aber mit Sicherheit kleiner war als er glaubte.

      Von Anfang an machte er keinen Hehl aus seiner Voreingenommenheit mir gegenüber. Nicht genug, dass er sich an meiner