Kristian Winter

Stalking II


Скачать книгу

hasse dieses aufgesetzte Verständnis samt seinem falschen Mitleid! Warum konnte man nicht ganz normal bleiben? Aber offenbar gehörte das dazu, oder um es mit Camus zu sagen: Es lag an der Absurdität meines Daseins schlechthin.

      Möglicherweise hätte ich irgendwann selbst solch verschwurbelte Erklärungen akzeptiert, wäre ich nicht eines Tages zufällig Zeuge eines brutalen Überfalls geworden, der alles änderte.

      Das alles trug sich am späten Nachmittag ganz in meiner Wohnnähe zu, und zwar in Avcici‘s Gemüseladen, und das ausgerechnet in einer Situation, in der ich beruflich wie privat umdisponieren musste, das heißt, ich wurde in eine andere Dienststelle versetzt und zog in eine neue Wohnung. Bis auf meinen Chef wusste niemand etwas von meiner Vergangenheit, ebenso wie ich im neuen Wohngebiet völlig unbekannt war. Demnach standen die Sterne günstig und doch kam es anders.

      Das Opfer, eine Frau aus dem Orient, mit Kopftuch und typisch knöchellanger Kleidung, war mit einem Kind an der Hand unterwegs, um Einkäufe zu tätigen. Dabei war sie so unscheinbar, dass ich sie sicher übersehen hätte, wäre nicht plötzlich dieser Mann mit blutunterlaufenen Augen und Schaum auf den Lippen hereingestürzt. Ohne jeden ersichtlichen Grund begann er sofort auf sie einzuprügeln und das derart brutal, dass alle wie erstarrt stehen blieben und das Geschehen fassungslos betrachteten.

      Die Angegriffene fiel indes rücklings zu Boden und riss dabei den Einkaufswagen um, so dass der ganze Inhalt über den Boden rollte. Aber selbst als sie schon lag und sich vor Schreck und Schmerz krümmte, trat dieser Unhold noch auf sie ein wie auf ein Stück Vieh, das den Gehorsam verweigert, indes sie nur leise wimmerte und jeden Hilfeschrei vermied.

      Es war ohnehin niemand weiter da, denn von den wenigen Kunden - überwiegend ältere Leute - traute sich niemand hervor. Es ist kaum vorstellbar, wieviel Hass und Brutalität vonnöten ist, sich derart zu vergessen. Und doch war an der ganzen Situation auch etwas unstimmig. Ich weiß nicht, aber ich hatte den Eindruck, als wüsste das Opfer genau, wie es sich verhalten musste, ja, als wäre es darin beinahe geübt.

      Jedenfalls entstand ein schreckliches Durcheinander. Das kleine Mädchen - offenbar die Tochter - begann sogleich zu schreien und wollte fortlaufen, wurde aber durch einen hereinkommenden Kunden zurückgehalten Zu allem zögerte dieser Schlappschwanz von Ladeninhaber unnötig lange, die Polizei zu rufen. Dabei hatte ich ihn wiederholt dazu aufgefordert. Erst meine Drohung mit einer Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung machte ihn gefügig.

      Kaum aber war das Wort ‚Polizei‘ gefallen, sprang der Schläger auch schon auf und versuchte zu flüchten. Natürlich stolperte er dabei über meinen Fuß. Da lag er nun und rieb sich jammernd das Knie. Verständlicherweise hielt sich mein Mitleid in Grenzen.

      Jetzt aber geschah etwas Unerwartetes. Statt mir zu danken, sank diese Frau, die inzwischen wieder etwas zu sich gekommen war, neben ihrem Peiniger nieder und begann, ihn zu bemitleiden. Sie küsste ihm sogar die Hände, als wollte sie sich bei ihm entschuldigen und drückte in unzüchtiger Weise noch den Kopf in seinen Schoß. Der jedoch stieß sie nur fort, rieb sich weiterhin das Knie und starrte mich böse an.

      Dann wollte er sich erheben, was aber aufgrund der Verletzung nicht gelang, obgleich ihn diese Frau stützte. Auf der Suche nach Halt riss er gleich noch eine ganze Palette mit Büchsen um, die nun, über den Fußboden rollend, das ganze Chaos noch verschlimmerten. Ich war fassungslos und glaubte an ein Déjà-vu, als er mich ‚deutsche Schlampe‘ nannte und in meine Richtung spuckte. Ich musste mächtig an mich halten, das nicht zu erwidern.

      Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei diesem Burschen um einen gewissen Mustafa El Jeries von der Volksgruppe der Jesiden, ein überaus schmächtiges, boshaft dreinschauendes Männlein mit eisgrauem Haar, Schnauzbart und verwahrlostem Äußeren. Man hätte ihn auf Mitte fünfzig schätzen können, lag aber mit Sicherheit falsch. Diese Typen wirken alle älter und haben den gleichen stumpfsinnigen Gesichtsausdruck aller Kerle, die ihre Weiber prügeln oder schwängern und den ganzen Tag Gebetskettchen drehend in Teestuben hocken.

      Das Opfer hingegen war ein graziles Persönchen von mittlerer Größe, welche vom Alter her getrost seine Tochter sein konnte. Zu allem aber – und das schockierte mich am meisten - handelte es sich um seine Zweitfrau. Diese wurde ihm bereits im Kindesalter versprochen, wie ich später erfuhr. Ihr Name war Halime Arboloi und wie viele dieser Frauen wagte sie kaum ein Wort zu sagen, ja nicht einmal aufzuschauen.

      Dennoch bediente sie nicht unbedingt das gängige Klischee der weltfremden Muslima mit demütiger Miene und stoischem Gleichmut. Ihr Gesicht war durchaus sympathisch, wobei der blassrote Hauch von Rouge auf den Wangen eine leichte Verwestlichung verriet. Obwohl ihr Haar unter diesem altmodischen Kopftuch steckte, ließ eine Strähne über der Stirn eine üppige Fülle davon ahnen. Und noch etwas fiel mir auf. Es war die Weichheit und Lautlosigkeit ihrer Bewegungen, die einer natürlichen Grazie entsprang, welche selbst ihre knöchellange säkulare Verhüllung nicht mildern konnte. Nie und nimmer passte das zusammen.

      Auch wenn sie jenes von ihr erwartete demütige Verhalten zeigte, wofür es weder eine Rechtfertigung noch Erklärung gibt, schien es nur Fassade. Das sah ich sofort. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass sie aus dem nahen Asylheim am Kirchhainer Damm kam, welches wegen seiner Überbelegung und ständiger Polizeipräsenz bekannt war. Ich habe übrigens bis heute von offizieller Seite den wahren Grund dieses Angriffs nicht erfahren bzw. er konnte nicht vollständig ermittelt werden, da weder Halime noch ihr Kind Sevgül zur Aussage bereit waren.

      Das blieb mir unverständlich, zumal ich sie noch dazu ermutigte und meines Beistandes versicherte. Doch obwohl sie mich durchaus verstand (jedenfalls hatte ich diesen Eindruck), wagte sie mich kaum anzusehen. Vielmehr schien sie derart verängstigt, dass sie selbst den eintreffenden Polizisten gegenüber nichts äußerte. Selbst dieser Jammerlappen von Gemüsehändler zog sich zurück. Folglich blieb alles an mir hängen. Das wiederum schien den Beamten zu missfallen, die offensichtlich beide Personen kannten. Ich bemerkte das an ihren Mienen. Nun bestand ich erst recht auf eine Anzeige und verwies ausdrücklich auf das Legalitätsprinzip. Außerdem hatte diese Frau durch den Faustschlag einen Zahn verloren und das Kind war traumatisiert.

      Das alles setzte ich dem Einsatzführer, einem großen, kräftigen Glatzkopf, noch einmal in aller Deutlichkeit auseinander. Der wollte schon wieder abrücken, wogegen ich jedoch in aller Schärfe protestierte. Es folgte erwartungsgemäß meine Personalienaufnahme mit der obligatorischen Zeugenbelehrung. Seine Abneigung mir gegenüber gipfelte in der dümmlichen Frage, was ich denn konkret anzeigen wolle.

      Da platzte mir der Kragen. Soeben wurde hier eine Frau vor meinen Augen zusammengeschlagen und er wollte den Grund für eine Anzeige wissen? Das war doch nicht zu fassen und das sagte ich auch.

      „Aber das ist bei denen üblich, verehrte Dame“, versuchte er sich dümmlich grinsend zu rechtfertigen.

      „Wie bitte?“ Ich glaubte mich verhört zu haben. „Das ist ein klassischer Fall von schwerer Körperverletzung. Selbst wenn das bei denen üblich ist, ist es das bei uns noch lange nicht! Das sollten Sie doch wohl am besten wissen!“

      Ich fühlte mich wie angespuckt und fragte mich, warum ich mir das eigentlich antat. Da geschieht eine Straftat und niemanden interessiert das!

      Man nahm mich mit aufs Revier. Hier wurde ich noch einmal akribisch zum Ablauf des Geschehens befragt, allerdings von zweifelnden Bemerkungen unterbrochen wie solche, ob es auch wirklich so gewesen war und ich mir absolut sicher sei? Immerhin könnten Falschaussagen zu meinem Nachteil gereichen usw. .

      Was sollte das? Diese Ermahnungen waren überflüssig! Würde ich sonst eine Anzeige erstatten, wenn es mir nicht ernst wäre? Zu allem wurde diese Vernehmung auch noch von einem ganz anderen Beamten geführt, der gar nicht mit vor Ort war. Ich fand das unzweckmäßig und sagte das auch, erhielt aber keine Antwort.

      Glücklicherweise war mir der Neue nicht ganz so unsympathisch, selbst wenn er ebenso unnahbar wirkte. Seine Wangen waren eingefallen wie bei einem Extremsportler und seine Haut sonnengebräunt. Sein Blick hingegen wirkte ungemein fest und beharrlich, aber auch eigentümlich unbestimmt. Teilnahmslos, geradezu mechanisch, hämmerte er in die Tasten und zeigte sich von meiner Betroffenheit