Kristian Winter

Stalking II


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Zettel, wieder der gleiche Text und dieselbe Handschrift, doch abermals nur in meinem Kasten. Das ließ mir keine Ruhe. Hinzu kam, dass ich mich bisweilen beobachtet fühlte, vornehmlich auf dem abendlichen Heimweg. Es mag sicher albern klingen, aber ich konnte es förmlich spüren. So schlimm war es, dass ich mich sogar spontan umsah. Natürlich erwies es sich jedes Mal als Irrtum und doch wurde ich diesen Eindruck nicht los.

      Weitere zwei Tage vergingen, als ich am späten Abend den Hausflur betrat. Es war bereits dunkel, so dass ich die Beleuchtung betätigen musste. Ich wollte gerade den Postkasten öffnen, als sich plötzlich von hinten eine schlanke Hand auf meine Schulter legte. Zu Tode erschrocken fuhr ich um. Zunächst erkannte ich nur einen Schatten, der infolge meiner Reaktion sofort zurückwich. Dann aber entpuppte er sich bei genauerer Betrachtung als muslimisch gekleidete Frau. Sie hatte das dunkle Kopftuch tief in die Stirn gezogen, so dass ihr Gesicht nicht sofort zu erkennen war.

      „Bitte helfen Sie mir“, flehte sie in akzentfreiem Deutsch, dabei noch immer den Blick scheu nach unten gerichtet. Dann aber erkannte ich sie. Es war Halime, das Opfer aus dem Gemüseladen, die mich offenbar bereits erwartet hatte.

      „Du also“, sagte ich und nahm einen weiteren Zettel aus meinem Postkasten, worauf sie schweigend nickte. Erst jetzt bemerkte ich die Hämatome unter ihren blutunterlaufenen Augen und die Kratzspuren an ihren Händen. Zudem wies ihre linke Wange eine starke Schwellung auf. Zweifellos war sie wieder verprügelt worden, denn sie machte einen völlig verstörten Eindruck. Ihr unruhiger Blick wanderte ständig hin und her, so dass es unmöglich war, ihn einzufangen. Zudem zitterten ihre Hände und ihre bleichen Lippen verzogen sich immer wieder kummervoll.

      „Ich weiß nicht wohin, aber mein Mann wird mich umbringen“, klagte sie schließlich mit tränenschwerer Stimme.

      Auf meine Frage, was geschehen war, druckste sie zunächst herum und erzählte irgendetwas von Sorgen um ihr Kind und wenig Geld. Dann aber nannte sie mir den wahren Grund. Sie fürchte wegen ihres Ungehorsams um ihr Leben, da sie ihrem Mann gesagt habe, sich nicht länger verschleiern zu wollen. Außerdem gedenke sie, künftig den Ramadan zu verweigern und ein westliches Leben zu führen. Sie sei es leid, immer nur zu darben und wollte endlich anders sein. Ich konnte es kaum glauben. Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Schon gar nicht von ihr.

      „Waren Sie schon bei der Polizei?“, wollte ich als nächstes wissen und verwies auf die Notwendigkeit einer Anzeige.

      Sie wehrte jedoch mit der Bemerkung ab, dass das ihr Ende beschleunigen würde, denn auch dort würde sie wieder nur nach Hause geschickt. Sie bräuchte aber jetzt Hilfe und vor allem Schutz. In diesem Moment kniete sie vor mir nieder, umfasste meine Hände und begann sie zu küssen. „Bitte! Sie sind ein guter Mensch, helfen Sie mir! Ich habe sonst niemanden! Sie dürfen mich nicht wegschicken!“

      Mir war das sehr unangenehm. Zudem fürchtete ich, jeden Moment von anderen Mietern entdeckt zu werden – womöglich von Mießling. Das fehlte noch!

      „Aber um Himmelswillen! Wie stellst du dir das vor? Wie kommst du gerade auf mich?“, erwiderte ich, ohne recht zu wissen, warum ich sie gleich duzte.

      „Sie sind eine starke Frau und haben ein gutes Herz. Sie wissen genau, wie mir jetzt zumute ist“, bedrängte sie mich erneut.

      „Woher willst du das wissen? Ich bin eine Ungläubige. Eure Probleme sind nicht meine!“, versuchte ich sie abzuwehren. Doch sie ließ nicht locker und meinte, dass ich auf ihrer Seite stehe. Mein Auftreten gegenüber der Polizei habe ihr imponiert. So jemand würde sich den Mund nicht verbieten lassen. Deshalb vertraue sie auf meine Hilfe für den Schritt in ein neues Leben.

      Damit hatte sie mich gefangen. Ohne weiter nachzudenken, nahm ich sie in meine Wohnung mit. Dort machte ich ihr einen Kaffee und bat sie, sich erstmal zu sammeln. Nun erfuhr ich auch die ganze Geschichte samt Nachspiel. Ihr Mann Mustafa begann ihr aus irgendeinem Grund den Eklat im Laden vorzuwerfen und hatte sie daraufhin derart zusammengeschlagen, dass sie mehrere Tage nicht die Wohnung verlassen konnte. Zu einem Arzt wagte sie sich nicht aus Angst vor einer Meldung an die Polizei und da sie niemanden weiter habe, sei sie zu mir gekommen.

      Im Verlauf ihrer immer wieder von emotionalen Ausbrüchen und längeren Schweigephasen unterbrochenen Schilderung begriff ich die ganze Tragweite ihres Martyriums. Auch wenn sie in Bezug auf die genauen Tätlichkeiten nicht konkret wurde und sich nur in Andeutungen verlor, wusste ich sofort um den Ernst der Lage. Ich war mir nicht mal sicher, ob es sich bei den Schnittverletzungen an ihren Händen wirklich nur um Abwehrfolgen handelte. Vor allem fragte ich mich erneut, wieso in einer zivilisierten Gesellschaft wie der unseren so etwas überhaupt möglich war. Je länger ich ihr zuhörte, um so wütender wurde ich.

      Wie sich herausstellte, hatte sie während der Sachverhaltsaufnahme meine Adresse aufgeschnappt und war mir mehrere Male unbemerkt nach Hause gefolgt. Dabei hatte sie das Haus immer unmittelbar nach mir betreten und dazu den Schnapper mit einer Plastikkarte gedrückt - ein Trick, den sie von ihrem Mann kannte. Zweifellos setzte sie nun alle Hoffnung auf mich. Ich aber wusste nicht, wie ich reagieren sollte.

      Wie ich weiter erfuhr, hatte ihr Mustafa verboten, die Wohnung zu verlassen, sie teilweise sogar angekettet, so dass sie gezwungen war, aus einem Napf zu essen. Zu allem hatte er ihr auch noch die gemeinsame Tochter Sevgül weggenommen und zu seiner Familie gebracht, um sie ihrem schädlichen Einfluss zu entziehen. Da aber Ali Abu Hussein (Ihr ‚Wali‘ genannter Vormund), Mustafas Onkel war, konnte sie von ihm keine Hilfe erwarten, so dass sie auf eine Konsultation des Friedensrichters verzichtete. Dieser habe normalerweise in solchen Dingen großen Einfluss. Hinzu kam, dass Hatice, Mustafas Erstfrau, eine große Eifersucht auf sie empfand und bereits versucht hatte, ihr ein Ohr abzuschneiden. Zum Glück war deren Schwester Özgül dazwischen gegangen und konnte das verhindern. Sonst wäre sie jetzt bestimmt nicht hier. Nun aber fühle sie sich nirgendwo mehr sicher und fürchte um ihr Leben.

      Das alles schilderte sie in kurzen, abgerissenen Sätzen, ohne einmal aufzuschauen, wobei man spürte, wie schwer es ihr fiel. Ihr Brustkorb bebte, ihre Stimme stockte und sie verfiel teilweise in Atemnot, vor allem, wenn sie von der Brutalität ihres Mannes berichtete. Ich war sehr ergriffen und konnte vieles nicht glauben, vor allem, dass er bereits angedroht habe, sie nach Syrien an den IS zu verkaufen.

      Ich entschloss mich, sie fürs erste bei mir zu behalten in der Hoffnung auf die rettende Idee.

      ****

      03. Kapitel

      Damit brachte sie mich in eine schwierige Lage. Auch wenn ich mit solchen Geschichten nichts mehr zu tun haben wollte, blieb mir keine Wahl. Nun galt es, kühlen Kopf zu wahren und alle Optionen noch einmal durchzugehen. War ihr wirklich niemand gefolgt? Hoffentlich hatte sie keinem davon erzählt. Womöglich lauerte ihr Mann oder irgendein Schwager bereits vor der Tür mit einem Messer in der Hand. Verstümmelungen oder gar Ehrenmorde waren dort keine Seltenheit.

      Kaum zu glauben, aber mein Misstrauen ging so weit, dass ich in den Hausflur schaute. Auch wenn das völlig idiotisch war, konnte ich nicht anders. Ich fühlte mich durch diesen ‘Flashback‘, wie es Frau Dr. Hövelbein nannte, sofort wieder in meine alte Rolle gedrängt und witterte überall Gefahr.

      Wieder in der Wohnung, verriegelte ich die Tür und hielt die Keule griffbereit. Dann setzte ich mich zu meinem Gast und dachte nach.

      Aber warum starrte sie mich so an? Waren meine Bedenken nicht berechtigt? Woher sollte ich wissen, ob sie mich nicht hinterging? Schon deshalb musste ich an meine eigene Sicherheit denken. Am liebsten hätte ich sie jetzt rausgeschmissen, schämte mich jedoch gleich wieder dieses Gedankens, denn dieser Fall lag doch anders. Was gab es also noch zu überlegen?

      Zunächst mussten bestimmte Verhaltensregeln festgelegt werden, um das Risiko eines Entdeckens zu minimieren. Dazu durfte sie bis auf weiteres die Wohnung nicht verlassen. Ebenso galt es, jeden überflüssigen Lärm zu vermeiden und natürlich auch ein absolutes Telefonverbot. Das war gerade hier, wo die Wände Ohren hatten, besonders wichtig. Das Dumme war nur - ich wurde das Gefühl nicht los, dass die Sache stank. Folglich hielt mein Misstrauen an.

      Als