Kristian Winter

Stalking II


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einer Gazelle. Ob er mich damit nur veralbern wollte, blieb unklar. Ich traute ihm jedenfalls alles zu.

      Sein Name ist Horst Mießling. Er ist Anfang sechzig, kaum etwas höher als ein Besenstiel und ebenso schmächtig, natürlich alleinstehend und kauzig. Sein Gesicht wäre durchaus angenehm, würden nicht die ohnehin schon kleinen Augen so nahe beieinander stehen und die Nase so weit vorspringen, dass ihm etwas Vogelartiges anhaftete. Irgendwie hat er Witterung aufgenommen und erinnert mich an meinen alten Nachbarn Hübner, nur noch etwas krasser.

      In letzter Zeit gehe ich ihm übrigens aus dem Weg, besonders, als er neulich aufgrund einer Postsendung bei mir im Pyjama klingelte. Man stelle sich nur vor, dieses Hämeken mit einer überproportionalen Wölbung in der Hose. Eine Unverschämtheit war das! Sein zwielichtiges Angebot einer Revanche mit einem Glas Champagner trieb mich zur Weißglut. Schon wollte ich ihn zurechtweisen, verkniff es mir aber, um mich nicht auch noch mit ihm zu überwerfen. Aber der Kerl hat einfach keinen Takt, hält sich für unwiderstehlich, ist aber in Wahrheit nichts weiter als eine Null. Aber was kümmert es mich? Ich habe andere Probleme.

      Es vergingen etwa zwei Wochen, bis es eines Nachmittags auf dem Heimweg zu einer seltsamen Begegnung kam. Ich bog gerade bei mir in die Straße ein, als mich ein entgegenkommender Typ anrempelte und sofort anfuhr, ob ich nicht aufpassen könne, was mir einfalle und so weiter. Verwunderlich war nur, dass dies in gutem Deutsch geschah, obwohl es sich dabei um einen der hier herumlungernden Nordafrikaner handelte. Das ist eine ganz besondere Sorte, die vor allem durch ihre Penetranz auffällt. Ich witterte sofort eine Falle. Hatte doch eindeutig er mich angerempelt und nicht umgekehrt, so dass ich instinktiv nach meiner Tasche griff. Die Sache lag aber doch anders. Dieser Bursche bestand nämlich ziemlich ruppig auf eine Entschuldigung und verband das sofort mit einem Diskriminierungsvorwurf. Zu allem nannte er mich noch eine ‚Furie‘, was mich an eine andere Sache erinnerte, die ich noch später erklären werde.

      Ich fragte ihn, was das soll, worauf er seine Forderung wiederholte – jetzt aber noch forscher. Seltsamerweise erschienen wie auf Kommando von irgendwoher gleich ein gutes Dutzend seiner Landsleute, die mich allesamt umringten. Sie brüllten auf mich ein, was ich mir erlaube, mit einem Mann so zu reden, inschallah! Ich wagte keine Widerrede, denn das Ganze drohte zu eskalieren. Als man dann noch anfing, mich zu schubsen, bekam ich es mit der Angst und wollte schon um Hilfe schreien.

      Doch erstaunlicherweise war das nicht nötig, denn wie von Zauberhand erschien plötzlich ein Funkwagen. Ich musste mich nicht erst erklären, denn die Beamten, von denen ich übrigens bereits einige kannte, hatten die Sache bereits beobachtet und wurden sofort von einer hitzigen Menge empfangen. Einander überbrüllend nannten sie mich eine Rassistin, weil ich einen Ausländer wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit beleidigt hätte. Worin die Beleidigung lag, wurde zwar nicht ganz klar, war aber auch nicht nötig. Allein dieser Vorwurf genügte für dieses ganze Aufsehen.

      Völlig perplex blieb ich unfähig zu reagieren. Immer wieder versuchte ich, eine plausible Erklärung zu finden, bis mir plötzlich einer dieser Kerle auffiel, der mir sehr bekannt vorkam. Obgleich er sich, wie alle Scharfmacher, bewusst im Hintergrund hielt und von dort aus die Stimmung anheizte, erkannte ich ihn sofort wieder. Es war der Schläger aus dem Gemüseladen, dieser Mustafa, der mich angespuckt hatte. Daran bestand kein Zweifel.

      Doch kaum hatte ich ihn gesehen, war er auch schon wieder verschwunden. Ich sagte das den Beamten, die allerdings aufgrund des Lärms noch immer Verständigungsprobleme hatten. Zu allem konnte ich meine Vermutung nicht bestätigen, da dieser Mann danach nicht mehr zu sehen war. Ein Rädelsführer ließ sich somit nicht ausmachen. Selbst der Bursche, der mich angerempelt hatte, zeigte sich plötzlich erstaunlich kleinlaut und tat letztlich so, als ginge ihn das alles nichts mehr an. Kurzum, diese ganze Sache stank zum Himmel.

      Am Ende herrschte ein heilloses Durcheinander, welches selbst bei allen Mühen für die Polizisten unentwirrbar blieb. Auch wenn nichts weiter passiert war, schien der Effekt erreicht. Die Leute blieben stehen und gafften, vorüberfahrende Autos hupten und die ganze Nachbarschaft hatte es mitbekommen. Fehlten nur noch so ein paar Affen von der Presse, auf die ich spätestens seit meinem Prozess nicht gut zu sprechen war. Damals hatte mich einer von ihnen als ‚Furie‘ betitelt und dazu mein Konterfei in seinem Boulevardblatt abgebildet. Kein Wunder, dass mich dieser Pöbel jetzt so nannte.

      Der Sachverhalt wurde vor Ort aufgenommen und aufgrund der unklaren und zum Teil doch recht verworrenen Angaben lediglich in Berichtsform erfasst. Zur Anzeige kam es nicht. Man kann sich denken, wie sehr diese Sache an mir nagte. Bestand doch die Gefahr einer Rufschädigung und das ausgerechnet in meinem neuen Wohnbereich. Das fürchtete ich am meisten.

      Und tatsächlich war danach nichts mehr wie zuvor. Man grüßte kaum noch und warf mir scheele Blicke zu. Selbst der Postbote, mit dem ich hin und wieder ein Wort wechselte, zeigte sich fortan merklich unterkühlt. Das verunsicherte mich. Ständig lebte ich in Angst vor einer neuen Eskalation. Natürlich verlor ich zu niemandem darüber ein Wort. Vielmehr beschloss ich, die Sache allein auszutragen, schon um anderen keinen weiteren Zündstoff zu liefern.

      Doch dadurch wurde alles nur noch schlimmer. Ich wurde noch dünnhäutiger, so dass ich mein ohnehin spärliches Kollegenumfeld kaum noch ertrug. Selbst die abendliche Einsamkeit in meinen vier Wänden wurde mir zunehmend zur Qual. In einem solchen Zustand kommt man auf die irrwitzigsten Gedanken. So meinte ich, plötzlich überall Zeichen oder Finten zu erkennen, um mich reinzulegen. Täglich guckte ich gleich zweimal in meinen Briefkasten in Erwartung irgendeiner Schmähschrift und kontrollierte abends meine Tür akribisch auf Verschluss. Ebenso wurde ich gegenüber unklaren Geräuschen empfindlich. Einmal war es so schlimm, dass ich bereits nach meiner Keule griff (ein neben der Tür stehender Baseballschläger), bis ich erleichtert feststellte, dass es nur der Postbote war.

      In der nächsten Zeit wurde es aber auch nicht besser, so dass ich eines Abends aus unerfindlichen Gründen ausgerechnet bei diesem widerlichen Horst Mießling klingelte, nur um mal ein paar Worte zu wechseln. Oh Gott, welch ein Drama! Kaum hatte er geöffnet, versagten mir die Worte und ich begann, irgendetwas zu stammeln. Aber selbst das war mir in diesem Moment egal, Hauptsache, es brächte mich auf andere Gedanken.

      Natürlich interpretierte er das völlig falsch, denn er bat mich sogleich herein, bot mir sogar ein Glas Wein an, was ich aber ablehnte. Ich meine mich auch an einen kurzen Wortwechsel zu erinnern, wobei er sogar etwas Süßholz raspelte, zwar ziemlich plump, aber immerhin. Was ihn aber dazu bewog, plötzlich meine Hand zu tätscheln, weiß ich bis heute nicht, denn ich hatte ihm in keiner Weise etwas angedeutet. Da ich darauf nicht sofort reagierte und einfach weiterredete, erkühnte er sich, sie sogar zu küssen und mir ein anzügliches Kompliment zu machen.

      Daraufhin muss ich ihn aber so entgeistert angesehen haben, dass er sogleich erschrak und sich tausendmal entschuldigte. Damit war die Sache zwar vom Tisch, er jedoch auch sichtlich unterkühlt. Folglich verabschiedete ich mich, ohne den erhofften Trost gefunden zu haben. Als Gesprächspartner schied er nunmehr aus und mir blieb nichts, als meinen Kummer allein auszutragen.

      Natürlich überspielte ich diese Schwäche, fürchtete aber, dass man mir das ansah. Mehrmals machte mich die Baderhof als Zimmerverantwortliche (so heißt das bei uns) auf einige Leichtsinnsfehler aufmerksam, die nur Folge meiner Schusseligkeit sein konnten und wenn ich eine Aussprache wünsche, stünden Herr Kahlenberg oder sie jederzeit zur Verfügung.

      Was sollte das? Ich war doch kein Pflegefall! Kein Wunder, dass ich es verharmlosend auf meine Migräne schob. Natürlich nahm sie mir das nicht ab, tat aber so. Dafür hasste ich sie noch mehr. Wer weiß, vielleicht hätte ich mich irgendwann wieder gefangen, wäre es nicht bald darauf zu einem weiteren unliebsamen Ereignis gekommen.

      Die Sache war die, dass ich eines Morgens in meinem Postkasten einen abgerissenen Zettel fand mit der Aufschrift ‘bitte helfen‘. Dabei handelte es sich um eine ziemlich ungelenke Handschrift, die offenbar zitternd geschrieben war. Zunächst dachte ich mir nichts dabei, zumal es sich bei solchen Aufrufen meist um eine an alle Hausmieter gerichtete Postwurfsendung handelte. Doch als ich durch Nachfragen erfuhr, dass es nur mich betraf, wurde ich unruhig. Der Briefträger, den ich eigens deswegen konsultierte, wusste davon ebenfalls nichts. Er versicherte mir, die Haustür stets wieder zu schließen, so dass kein Unberechtigter