Kristian Winter

Stalking II


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musste ich mich erst einmal davon überzeugen, ob sie es auch wirklich ernst meinte und ihr Entschluss nicht nur eine Kurzschlussreaktion war. Sicherlich käme spätestens nach ein paar Tagen die Sehnsucht nach ihrem Kind hoch.

      Aber selbst dann konnte der jetzige Zustand nicht andauern. Meine Wohnung bestand nur aus einer Wohnstube und einem kleinen Schlafzimmer und bot für zwei Personen nicht genügend Platz. Aber da sie sich in ihren Ansprüchen sehr genügsam zeigte, war die damit verbundene Einschränkung letztlich geringer als befürchtet.

      Man mag es kaum glauben, sie erwartete nicht mal ein Bett, sondern kauerte sich allen Ernstes in der Ecke neben dem Fenster zum Schlafen hin. Sogar eine Decke lehnte sie ab. Das kam natürlich nicht in Frage. Also richtete ich ihr fürs erste die Couch her, die ich freilich so positionierte, dass ich sie bei geöffneter Tür von meinem Bett aus sah.

      Das geschah nicht aus Misstrauen, sondern aus Sorge, denn wer wusste schon, was in ihr vorging. Niemand konnte garantieren, dass sie sich nichts antat. Natürlich hatte ich zu diesem Punkt noch keine Vorstellung, wie die Sache wirklich stand. Doch selbst wenn, hätte das meinem Pflichtgefühl ihr gegenüber kaum Abbruch getan. Mein Herz ließ mir keine andere Wahl.

      Nur eines irritierte mich. Es war Halimes offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Familie, vor allem gegenüber ihrem Kind. Auch wenn ich selber kinderlos war, hätte ich doch eine solche Trennung niemals zugelassen. Da war keinerlei Reue, kein schlechtes Gewissen oder gar Sehnsucht, wie eine Mutter in dieser Situation empfinden müsste. Allein der Drang nach Freiheit und Eigenständigkeit schien alles zu überlagern. Das war doch sehr befremdlich, da zutiefst egoistisch. Natürlich hätte mich ihre Erklärung dafür interessiert und ich machte auch ein paar Andeutungen.

      Doch sie blieb kurz angebunden, als wäre es ihr unangenehm, darüber zu reden. Am meisten aber verwirrte mich ihre Aussage, die zwölfjährige Sevgül wäre nicht ihr Kind, sondern vor allem sein Kind, freilich ohne das näher zu erklären. Das klang so kalt und fremd. Zu allem umspielte noch ein seltsames Lächeln ihre Lippen, das mich doch etwas ängstigte, denn es schien mir irgendwie hasserfüllt, kein Lächeln jedenfalls, das von einer Mutter zu erwarten war.

      Wie auch immer - ich verstand es nicht. Ebenso erstaunte mich ihr tiefer Fatalismus angesichts der eigenen Zukunft. Da waren keinerlei Ängste zu erkennen, ebenso keine Überlegungen bezüglich einer Lösung, beinahe so, als erwarte sie allein im blinden Gottvertrauen einen sich selbst öffnenden Weg.

      In der folgenden Nacht schlief ich schlecht, denn das alles war schon sehr verfahren. Zu allem geisterte mir die ganze Zeit so ein dummer Gedanke durch den Kopf. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber ich fürchtete allen Ernstes, ihr Mustafa oder irgendein anderer Kerl könnte jeden Moment mit einem Messer in der Hand hereinstürzen und mir die Klinge in die Wade rammen. Warum ausgerechnet in die Wade, kann ich nicht sagen. Aber seit meiner Traumatisierung hatte ich mitunter sehr seltsame Gedanken.

      Als ich von meinem Bett aus durch die geöffnete Tür zu ihr hinübersah, konnte ich sie im Halbdunkel auf der Couch erkennen. Völlig reglos lag sie da, leicht zusammengekauert, die Decke bis zum Hals gezogen und mir zugewandt. Durch das Fenster im Hintergrund fiel das Licht der Straßenbeleuchtung auf sie herab und tauchte ihre Gestalt in ein milchiges Blass. Ich weiß das jetzt nicht besser auszudrücken, aber gerade dadurch wirkte sie auf mich surreal.

      Es war kaum anzunehmen, dass sie schon schlief. Vielmehr meinte ich zu fühlen, dass sie die ganze Zeit zu mir herübersah und mich betrachtete. Was hätte ich darum gegeben, jetzt ihre Gedanken zu kennen. Ich fand aber kein Mittel, mich ihr zu nähern, ohne aufdringlich zu wirken. Also schwieg ich, in der Hoffnung, sie würde von sich aus das Gespräch suchen.

      Und tatsächlich dauerte es nicht lange und sie fragte etwas. Ohne die Antwort abzuwarten, redete sie gleich weiter, als habe sie nur nach einem Einstieg gesucht. Dabei entschuldigte sie sich noch einmal für ihre anfängliche Weigerung, sich zu entkleiden. Wollte sie doch tatsächlich im Mantel schlafen.

      Erst nach längerem Zureden war es mir gelungen, sie davon abzubringen. Ich bot ihr auch ein Nachthemd an, was sie zunächst noch ablehnte. Der Islam verbiete es, den Körper zu entblößen, nannte es aber im gleichen Atemzug lächerlich - vor allem einer Frau gegenüber. Das führte schließlich dazu, dass sie dann doch ihre Kleidung ablegte, freilich erst, nachdem das Licht gelöscht war.

      Als ich sie dabei beobachtete, waren mir ihre grazilen Formen nicht entgangen. Und doch würde sie spätestens ab Mitte Dreißig wie Hefeteig auseinanderfließen, ihr Gesicht bekäme Runzeln und ihr Bauch würde aufgrund des vielen Gebärens erschlaffen. Sicher trachteten diese Frauen nur deshalb danach, sich hinter Tschador und Mantel zu verbergen. Es war eine Schönheit für den Augenblick. Vielleicht war das der Grund für die Vielweiberei in diesen Ländern? Ich war überzeugt, dass sie unverschleiert und mit offenem Haar wesentlich natürlicher wirkte und sich bei entsprechender Pflege länger jung halten könnte. Aber offenbar wollte sie das gar nicht, aus Angst, genau das zu provozieren, was es zu vermeiden galt – männliche Begierde.

      Dann aber erzählte sie auch von weiteren Dingen, vor allem von Bektül, ihrer großen Liebe, in den sie offenbar noch immer sehr vernarrt war. „Was ich gesagt habe, war Unsinn“, gestand sie dabei erstaunlich offen. „Niemand kann einen Mann allein aus Angst lieben. Abneigung und Ekel werden immer zu Hass und Gleichmut führen. Man wird innerlich leer, selbst dem eigenen Kind gegenüber, denn es ist keine Frucht der Liebe, sondern des Zwanges. Mit Bektül wäre das anders gewesen. Das weiß ich! Nach meiner Hochzeit ist er fortgezogen und hat eine andere Frau geheiratet. Ich aber werde ihn immer lieben, auch wenn ich ihn niemals haben kann. Seinetwegen hatte ich schon Todesgedanken, vor allem nach der ersten Nacht mit Mustafa.

      Wie habe ich mich davor gefürchtet, so dass ich es nur möglichst schnell hinter mich bringen wollte. Er aber wurde nicht fertig und begann mich zu quälen. Als er dann merkte, dass ich ‚haram‘ war, schlug er mich mehrfach ins Gesicht und spuckte mich an. Dann griff er nach einem Messer und wollte mich schächten wie ein Schaf. Ich wusste, dass meine letzte Stunde gekommen war und hielt ganz still. Nur ein kleiner Schnitt, dachte ich, und es ist vorbei. Es ist seltsam, was man in einem solchen Moment alles denkt - Bedeutsames verschwimmt und Nebensächliches tritt hervor. Ich hatte nicht einmal Angst, und hätte er es getan, es wäre mein Eintritt ins Paradies gewesen. Aber dann ließ er von mir ab, kauerte sich in eine Ecke und begann zu heulen. Es war schrecklich ... Warum ich das alles ertrug, ist nur schwer zu erklären“, kam sie meiner Frage zuvor. „Aber ich denke, dass äußerer Schmerz oftmals den inneren verdrängt. Allah hat es so eingerichtet und sich dabei etwas gedacht. Ich bin sehr gläubig, wissen Sie. Der Glaube gibt mir die Gewissheit, dass es mehr gibt, als nur mein eigenes Leben. Wir sind Bestandteile eines größeren Ganzen und daher nur bedingt für unser Schicksal verantwortlich. Das ist sehr beruhigend. Sind Sie eigentlich gläubig?“

      „Kaum“, gab ich halblaut zurück.

      „Warum?“

      „Weil ich manchmal auch an meinem Glauben zweifele, vor allem, wenn sich alles gegen mich verschworen hat.“

      „Dann glauben Sie an den Shaitan.“

      „An wen?“

      „An den Teufel. Jeder Mensch glaubt mehr an den Teufel als an Gott. Das liegt in der Natur des Menschen.“

      „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber wie kommst du darauf?“

      „Weil der Glaube unser Schicksal bestimmt.“

      „Klingt logisch und ist doch Unsinn. Der Mensch ist zuerst für seine Taten verantwortlich und nicht für seine Gedanken. Wie kommst du auf solche Ideen und wieso kannst du eigentlich so gut deutsch?“, wollte ich wissen und erfuhr, dass sie einen intensiven Sprachkurs machte und sogar die höhere Reife belegte. Ursprünglich habe sie studieren wollen, aber der Imam sei gegen ihr Interesse für Rechtswissenschaften oder Philosophie gewesen, da diese nach hiesiger Auslegung nicht mit dem Koran übereinstimmten. Ihr Heimatland sei ihr inzwischen fremd geworden und sie kenne es nur aus Erzählungen. Dennoch wäre sie den Traditionen ihres Clans schon immer derart verpflichtet gewesen, dass ihr eine Emanzipation und somit Entwicklung nach westlichem Vorbild unmöglich blieb.

      „Aber