Stefan Lange

Suicide


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Ich war in meinem Leben auch interessanten Frauen begegnet, aber am Ende wurden wir immer nur gute Freunde. Ich haßte es.

      Nach und nach hatte sich bei mir die Erkenntnis durchgesetzt, daß ich die Liebe eines Menschen nicht verdient hatte, daß ich über kurz oder lang alleine bleiben würde; ein Los, mit dem ich mich eigentlich seit langem abgefunden hatte.

      Ende April trat Franziska die Heimreise an, und ich versprach, mit ihr in Kontakt zu bleiben.

      Das darauffolgende letzte Aprilwochenende verbrachte ich mit Brian und Andrew in Nerja, einem kleinen Touristenort an der Costa del Sol. Wir fuhren mit Brians Auto über die Autobahn nach Málaga und nahmen von dort aus die Küstenstraße nach Nerja. Bei lauter Musik und heruntergekurbelten Fenstern ließen wir uns den heißen Wind durch die Haare fahren. In Nerja angekommen, stürzten wir uns ins Meer, tranken Bier am Strand, genossen die Sonne und hatten gemeinsam viel Spaß. Es tat gut, einmal für ein paar Tage aus Sevilla herausgekommen zu sein.

      Brian kannte den Ort gut, da er hier im Vorjahr eine Sprachschule besucht hatte. Als kompetenter Führer wußte er, wo abends die chicas anzutreffen waren und wo es die besten Drinks und gute Musik gab.

      Die ausgelassene Stimmung wurde an diesem Sonntag, dem 1. Mai, getrübt. Brian, begeisterter Formel 1-Fan, betrauerte den Tod seines Idols Ayrton Senna, der sein Leben beim großen Preis von San Marino in Imola ließ. Wir philosophierten über das Leben und den Tod und waren uns darüber einig, daß der Tod den Menschen, die bereits zu Lebzeiten Legenden waren, noch eine zusätzliche Mystik verlieh.

      Obwohl der Montag noch schulfrei war, beschlossen wir, bereits am Sonntagabend nach Hause zu fahren. Ich wollte den freien Tag für die Wiederholung des Stoffes nutzen, zudem türmten sich in meinem Zimmer Berge von Hausarbeiten. Wir ließen das schöne Wochenende, mittlerweile hatte sich Brians Gemütszustand wieder gebessert, in unserer Vierundzwanzigstundenbar ausklingen, ein wenig zu heftig und viel zu lang, denn erst gegen fünf Uhr morgens torkelte ich ins Bett.

      Montag, 2. Mai 1994

      Ich wurde von Georgs lautem Lachen geweckt. Müde drehte ich mich in meinem Bett um und schaute auf den Wecker. Dreizehn Uhr. Der Tag flutete durch die Jalousien meines Fensters und schnitt schwarz-weiße Streifen an die Wand. Mit dem Licht kroch auch die Hitze ins Zimmer.

      Ich stand auf und spürte ein Druckgefühl im Magen. Ein starker Durst machte sich breit und der Kopf hämmerte wie wild. Ich ging zur Küche, mich leicht wankend im Schatten haltend. Georg saß mit einem blonden Geschöpf an einem Tisch auf der Dachterrasse. Verkatert grüßte ich, als ich die Küche betrat.

      »Hi Georg, moin Siri.«

      Sofort böllerte Georg mit seinem schallenden Lachen los, während ich meinen Durst in kräftigen Zügen mit eisgekühlter Cola löschte.

      »He, Stefan, das ist doch nicht Siri. Komm mal her, wir haben einen Neuzugang!«

      Schon wieder jemand Neues!? Fast jede Woche mußte man sich in der Residenz an andere Gesichter gewöhnen. Ich trat mit zusammengekniffenen Augen auf die Terrasse, um mich vor der gleißenden Sonne zu schützen und ließ mich in einen Stuhl fallen.

      »Das ist Susanne«, sagte Georg.

      Es dauerte eine Weile, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Ich musterte sie. Ihr hübscher Mund war mir gleich aufgefallen. Das glatte blonde Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Es war sonnengebleicht und der gebräunte Teint verriet, daß sie bereits ausgiebig Sonne genossen hatte.

      »Angenehm, Stefan«, brachte ich müde hervor.

      Ich fischte mir, ohne Susanne zu fragen, eine ihrer Fortuna Zigaretten, zündete sie an und blies den gräulichen Qualm in den wolkenlos blauen Himmel. Susanne erinnerte mich an jemanden, nur kam mir nicht in den Sinn, wer das sein könnte. Wir redeten über Nebensächlichkeiten, über die Schule und die Bewohner der Residenz. Aber ich hörte nur mit halbem Ohr zu; ich war zu sehr mit dem dröhnenden Kopfschmerz beschäftigt.

      »Woher kommst du denn?« fragte ich, um ein wenig Interesse zu bekunden.

      »Aus der Schweiz.«

      »Oh Gott!« entfuhr es mir und Susanne schaute mich verdutzt an.

      »Wie so denn das?« fragte sie.

      »Nun, Schweizer haben bei mir gleich dreitausend Minuspunkte.«

      Georg lachte auf, und ich versuchte Susanne zu beruhigen, daß dies nur ein Scherz sei. Leider war ich nach der durchzechten Nacht zu keiner sinnigen Konversation fähig. Georg fragte nach meinem Wochenende, und ich erzählte ihm ausführlich von dem Spaß, den Brian, Andrew und ich gehabt hatten. Nach einiger Zeit stand Susanne auf und verabschiedete sich mit einem »bis später«. Kaum war sie verschwunden, beugte sich Georg vor und flüsterte mir zu, wie toll sie sei, und daß es immer dasselbe wäre, kaum hatte er eine Freundin, liefen ihm die tollsten Frauen über den Weg. Georg war seit zwei Wochen mit einer Sevillanerin, einem echten Heißblut, wie er meinte, zusammen. Ich dachte kurz über seine Worte nach. Ich fand, daß Susanne eine attraktive Erscheinung war, aber so umwerfend fand ich sie nun auch nicht. Rein äußerlich erinnerte sie mich entfernt an die Schauspielerin Goldie Hawn zu ihren besten Zeiten.

      An Hausaufgaben war angesichts der Hitze nicht zu denken. Ich beschloß erst einmal in die Stadt zu gehen, um meine trinkbaren Vorräte aufzufüllen.

      Ich lief zum Kaufhaus corte inglés. Die Weißglut unseres Zentralgestirns wirkte wie ein Vorschlaghammer. Ein stinkheißer Nachmittag. Es mochten gut und gerne fünfunddreißig Grad sein. Ich lief im Schatten, den mir die Häuser boten. Mir war schwindelig, die Hitze lastete drückend über der Stadt und es regte sich nicht der Hauch eines Luftzuges.

      Bepackt mit Wasser und Cola, ging ich zu Brian. Seit kurzem wohnte er zusammen mit Andrew in einem Appartement in der Nähe der Residenz. Die im Erdgeschoß liegende Wohnung hatte den Vorteil, während der Nachmittagsstunden angenehm kühl zu sein. Ich holte Brian aus den Federn, der mich benommen mit einem »oh tío« begrüßte. Wir verplauderten den Nachmittag bei Kaffee und Zigaretten, bis es sich draußen etwas abgekühlt hatte.

      Mein schlechtes Gewissen, noch nichts für die Schule erledigt zu haben, bewog mich, zur Residenz zurückzukehren. Auf der Terrasse tummelten sich allerhand neue Gesichter. Ich ging zunächst in die Küche und bereitete mir einen Kaffee zu. Als ich mein Zimmer betrat, war an Schularbeiten nicht zu denken. Die Hitze des Tages hatte sich in dem kleinen Raum angestaut. Statt Hausaufgaben abzuarbeiten, setzte ich mich zu Georg an den Tisch, der mit freiem Oberkörper und einem über dem Kopf zusammengebundenen Handtuch auf der Terrasse in der Sonne saß und lernte.

      Es geschah an diesem warmen Spätnachmittag. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und tauchte die Szenerie in orangefarbenes Licht.

      Ich erblickte Susanne, die zusammen mit zwei Frauen auf einer Holzbank am Ende der Terrasse hockte. Sie hob ihre Sonnenbrille und schaute herüber. In diesem kurzen Blick, der eine Ewigkeit zu dauern schien, lag eine ganze Wahrheit, eine Welt, die ich bereits zu kennen glaubte. Wie ein Déjà-vu-Erlebnis, das mich zusammenzucken ließ. Meinte sie wirklich mich? Auffällig drehte ich mich zuerst nach links, nach rechts und richtete dann den Finger auf meine Brust, so als wollte ich Susanne fragen, ob ihr Blick mir galt. Sie deutete meine Gestik richtig, lächelte, hob die Hand, winkte mir zu und schuf somit eine Verbindung. Ein wunderbares Kribbeln durchzog meinen ganzen Körper. Dieser Blick und das Lächeln hatten mich einfach umgehauen. Ich wollte Georg gerade von diesem berauschenden Erlebnis erzählen, doch er winkte ab. Er war ins Lernen vertieft und murmelte unablässig Vokabeln vor sich hin. »Streber«, dachte ich.

      So erging es mir immer, wenn ich jemandem begegnete, dessen Blick mich fesselte, oder dessen Lächeln seltsame Empfindungen in mir auslöste. Ich wollte nicht nur wissen, wie dieser Mensch hieß, woher er kam, sondern ich wollte wissen, was er dachte oder fühlte, wie er liebte und ob er ein Geheimnis in sich trug. Das, was aus diesem Blick geboren wurde, war die Neugierde, mehr über Susanne in Erfahrung zu bringen.

      Ein kleiner Junge, der offenbar zu den beiden anderen Frauen gehörte, spielte mit einem Plastikball. Ich stand auf und kickte ein bißchen mit ihm. Georgs