G. T. Selzer

Sonata Mortale


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meine nicht dieses neumodische Zeug da mit Schaum ...“

      „...Crema ...“

      „... sondern richtigen Kaffee aus einer richtigen Maschine!“

      „Herr Langer, das ist frisch gemahlener ...“

      „Lassen Sie mich in Ruhe mit diesem Mist.“

      Schmidtbauer verzog sich schleunigst. Meist kühlten die beiden schnell wieder ab, doch in die Schusslinie zu geraten, war trotzdem nicht zu empfehlen.

      Korp zuckte mit den Schultern, warf einen Blick auf seine Uhr und nahm sein Jackett von der Stuhllehne. „Ich muss jetzt zum Bahnhof – Sie erinnern sich: Ich hatte heute Morgen eigentlich frei genommen. Bin heute Nachmittag wieder da.“ Damit schloss sich die Tür hinter ihm.

      „Und nur hergekommen zum Kaffeetrinken,“ brummte Langer vor sich hin und vergaß geflissentlich, dass nicht nur er bereits fast einen halben Arbeitstag hinter sich hatte. Dann brüllte er ins Nebenzimmer: „Schmidtbauer!“

      Als der junger Obermeister erschrocken an der Tür erschien, drückte Langer ihm einen Zehn-Euro-Schein in die Hand und bat ihn etwas freundlicher: „Versuch doch mal, in diesem Haus einen anständigen Kaffee aufzutreiben. Die Betonung liegt auf anständig, kapiert? Und bring dir auch was mit, was Süßes, oder was du willst.“

      Schmidtbauer starrte eine Sekunde mit offenem Mund auf den Geldschein in seiner Hand, dann auf seinen Vorgesetzten und wieder zurück, bis er schließlich kehrt machte und sich auf der Suche nach einem anständigen Kaffee begab.

      Und kauf dir was Süßes, dachte er kopfschüttelnd. Es wird wirklich immer schlimmer mit ihm.

      Johannes Korp stand im Frankfurter Hauptbahnhof und sah mit gemischten Gefühlen dem einfahrenden ICE aus Hamburg entgegen. Er hatte keine Ahnung, was mit diesem Zug auf ihn zurollte, fühlt aber instinktiv, dass es sein geordnetes Leben für die nächste Zeit durcheinander bringen würde – soweit man bei seinem Beruf von geordnet sprechen konnte. Langsam, majestätisch und fast lautlos schwebte die Riesenschlange auf dem Gleis ein und kam zum Stehen. Die Türen öffneten sich und und spuckten Hunderte von Fahrgästen auf den Bahnsteig.

      Korp blieb am Kopf des Gleises zur Halle hin stehen, das hatten sie so verabredet, und ließ die Männer, Frauen und Kinder passieren. Als sein Handy klingelte und er abhob, schweifte sein Blick weiter über den Bahnsteig. Er hörte die Stimme und sah das Winken eines baumlangen jungen Mannes in etwa dreißig Metern Entfernung gleichzeitig.

      „Hallo, Onkel Hans, ich kann dich sehen!“

      Korp zuckte zusammen. Das ging gar nicht. Das würde ganz schnell abgestellt werden müssen.

      Er winkte zurück. „Ich sehe dich auch!“

      Wenig später sah er sich einem blonden Jüngling gegenüber, gegen den er sich mit seinen Einsvierundachtzig klein vorkam. Der Junge stellte seinen Rollkoffer ab und gab ihm die Hand. Sein Haar war modisch asymmetrisch geschnitten, am Hinterkopf sehr kurz, fast kahl rasiert, dafür mit umso längerem Pony, der in einer langen Strähne von links nach rechts quer über der Stirn lag, was ein wiederholtes Schnicken des Kopfes nötig machte, da sie ihm permanent wieder ins Gesicht fiel. Aknepickel auf der Stirn erzählten von den Herausforderungen der Pubertät.

      „Hallo David“, sagte Korp. „Lange nicht gesehen. Willkommen in Frankfurt.“

      „Nenn' mich Dave!“, lachte sein Neffe fröhlich. „Kein Mensch sagt David zu mir.“

      „Aber nur, wenn du mich nicht Onkel Hans nennst. Ich heiße Johannes. Ohne Onkel.“

      „Gebongt.“ Dave schnappte sich seinen Rollkoffer und sie gingen zusammen durch die große Bahnhofshalle. Skeptisch schielte Korp auf eine große, rechteckige Tragetasche, die Dave auf dem Rücken trug.

      „Was ist das denn?“

      „Och, nur mein Keyboard.“

      „Ist das laut?“

      „Nö, hab' Kopfhörer dazu.“

      Sie traten auf den Bahnhofsvorplatz, kreuzten eilig dahin hastende Reisende beiderlei Geschlechts, die meisten in der gleichen Standarduniform – Businessanzug, Laptoptasche, Rollkoffer –, den Blick beständig nach unten auf teure Smartphones gerichtet, passierten Rentnerehepaare in vorwiegend Beige-Braun, gingen an schlafenden Stadtstreichern und Junkies vorüber, die mit starrem Blick vor sich hin stolperten.

      „Wie geht’s denn deiner Mutter?“

      „Ganz gut, glaub' ich. Hat jedenfalls nichts anderes gesagt.“

      „Hast du sie denn mal gefragt?“

      „Nö.“ Ein erstaunter Seitenblick streifte den Onkel.

      Überbordendes soziales Interesse konnte man dieser Jugend nicht vorwerfen. Es soll Ausnahmen geben, dachte Korp, aber David – Dave – gehört fraglos nicht dazu. Dass sich seine eigene Anteilnahme an seiner zehn Jahre älteren Schwester in Hamburg und deren Familie bislang auch sehr in Grenzen gehalten hatte, zählte nicht; das musste unter frühkindlichen Traumata verbucht werden. Er sah den Jungen nachdenklich an. Eigentlich müsste er ihm gegenüber wenigstens so etwas wie Mitgefühl aufbringen, war Dave nicht nur geschlagen mit drei älteren Schwestern, sondern eben auch mit dieser äußerst dominanten Mutter, mit der Korp in früher Jugend seine eigenen Erfahrungen hatte machen müssen. Er nahm sich vor, nett zu seinem Neffen zu sein, obwohl der Unwille, ihn bei sich wohnen zu lassen, noch überwog.

      Korp holte seinen Golf vom Parkplatz und sie fuhren am Main entlang nach Oberrad, wo er vor einigen Jahren eine geräumige Dreizimmerwohnung gekauft hatte, nicht zuletzt wegen ihrer unmittelbaren Nähe zum Stadtwald, den er in zwei Minuten joggend erreichen konnte. Während der Fahrt ging die Unterhaltung ähnlich einsilbig weiter, gestört vor allen Dingen von der ungeteilten Aufmerksamkeit, die der Junge seinem Smartphone zuteil werden ließ.

      Im Wohnzimmer sah sich Dave prüfend um. „Okay. Und wo ist mein Zimmer?“

      Korp ging ihm voraus in sein Schlafzimmer. Gestern Abend hatte er kurzfristig umdisponiert und entschieden, seinen Neffen nicht im Arbeitszimmer einzuquartieren, sondern dieses für die Zeit des Besuches selber zu nutzen. Sein geräumiger begehbarer Kleiderschrank, der - neben dessen exquisitem Inhalt - der einzige wirkliche Luxus darstellte, den er sich leistete, war vom Flur aus neben dem Schlafzimmer von einer Art Alkoven zu betreten. Es würde also kein Problem bei der morgendlichen, oft recht langwierigen Garderobenwahl geben. Die Bettcouch im Arbeitszimmer war bequem genug, und im Schlafzimmer stand ein Beistelltisch; dort konnte Dave arbeiten. Falls er das vorhatte.

      „Das Arbeitszimmer ist tabu – damit das klar ist.“

      „Ja, gebongt.“

      Er hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen. Dave hörte schon gar nicht mehr richtig hin, hatte sich kaum umgesehen, seine Habseligkeiten zwischen Tür und Bett verteilt, auf dem er jetzt saß und und sich wieder mit seinem Smartphone beschäftigte.

      „Wenn du jetzt erst mal alles hast, gehe ich ins Präsidium." Korp warf einen unschlüssigen Blick auf seinen Neffen, dann auf die Uhr. Er hatte sich diesen Vormittag zwar frei genommen, fand sich aber plötzlich völlig überflüssig in den eigenen vier Wänden. Was hatte er erwartet? Small Talk mit einem Achtzehnjährigen? Es war ein Alter, das Johannes Korp aus seiner Vergangenheit am liebsten getilgt hätte.

      „Ich bräuchte noch den WPA2-Schlüssel und die SSID, dann könnte ich meine Flatrate sparen, solange ich hier in der Wohnung bin“, kam es plötzlich aus dem Zimmer hinter ihm.

      „Wie bitte?“

      Korp blieb an der Tür stehen und hob erstaunt die Augenbrauen. Der Junge konnte ganze Sätze sprechen!

      „Na, das Passwort fürs Internet.“

      „Gebongt“, sagte Korp.

      Entgegen seiner sonstigen Art schlurfte Oberkommissar Johannes Korp eine Stunde später langsam in das gemeinsame Büro zurück, zog seinen Mantel aus und setzte