Günther Seiler

Die Balken biegen sich doch nicht


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genossen und zu viel über den sogenannten Durst getrunken wird, was der Gesundheit nicht dienlich ist. Aber hier kann oder darf man Alkohol konsumieren, ohne dass einer mit erhobenem Finger auf denjenigen Konsumenten zeigt. Jeder ist für sich letztlich selber verantwortlich und was können die Räumlichkeiten einer Kneipe dafür, wenn dunkle Gesellen etwas im Schilde führen? Zum Glück ist das nicht die Mehrheit, sondern die meisten wollen fröhlich sein und Spaß haben. Doch das Leben vor der Kneipentür holt einen schon wieder ein, wenn man die Tür des Hortes der schlechten und, früher als man noch rauchen durfte, mit Zigaretten geschwängerten Luft, hinter sich schließt, das Lachen und Gejohle nicht mehr hört und schließlich in seinem öden Zuhause alleine sitzt oder wenn die eigene schlecht gelaunte Ehefrau einem die Leviten nach dem Kneipengang, leider oft zu Recht, liest. In der heutigen Zeit sieht man zum Glück immer mehr Frauen in Lokalen und in Kneipen. Sie kommen lieber in einer Gruppe mit anderen Frauen, um sich ungestört unterhalten zu können Und das ist gut so. So fühlen sie sich sicherer. Männer, lasst sie sich dort in Ruhe unterhalten, sonst verscheucht ihr sie wieder.

      Geschichte 2

      Heringskopp in Lüneburg

      Lüneburg, die niedersächsische Stadt mit knapp dreiundsiebzigtausend Einwohnern ist eine alte Hansestadt an der Ilmenau und liegt in der Nähe von Hamburg in der schönen Lüneburger Heide. Lüneburg ist, was nicht ganz so bekannt ist, eine Universitätsstadt. Siebentausend Studenten leben und studieren in Lüneburg und das ist ein ganz schönes Potenzial für die Kneipenlandschaft in dieser Stadt. Kulinarisch betrachtet ist hier der leckere und beliebte Heidschnuckenbraten zuhause. Labskaus und Stint sind weitere wahre Leckereien in den Lokalen. Vor allem das erst genannte ist eine Köstlichkeit für Seeleute, ebenso der Skipperlabskaus mit Rind- und Schweinefleisch. Lüneburg beherbergt eine große Anzahl von Kneipen und wird nur noch in der Kategorie Kneipendichte, man höre und staune, von Madrid in Spanien übertrumpft. Wohlgemerkt ist hier von der europäischen Kneipendichte die Rede.

      Die Kneipe ‚Heringskopp‘, also ‚Heringskopf‘ auf hochdeutsch, in Lüneburg in der Nähe des Hafens befand sich im Hagedorner Bruch und war eine typische Eckkneipe. Zur einen Seite konnte man, wenn man frische Luft brauchte, den Hafen sehen und zur anderen Seite blickte man auf das weiter weg gelegene Industriegelände. Hier befand sich eine Sand- und Kiesanlage zum automatischen Befüllen von diversen unterschiedlichen Sandkörnungen, alles was die Autobahnbauer so brauchten, um unsere Autobahnen und Nebenstraßen auf Vordermann zu halten und zu bringen. Der Bauschotter wurde hier in einer großen Anlage gecrackt und als kleiner Schotter für den Straßenunterbau benutzt. In der Nähe der Kneipe lagen große mehrstöckige Wohnblocks für unzähligen Menschen. Die Anlagen wurden von der Stadt gepflegt und die Stadtgärtner waren tagaus und tagein mit dem riesigen Areal vollauf beschäftigt.

      Die Fischbüchsenfabrik Bruns verarbeitete seit hundert Jahren die Heringe und Heringshappen in Büchsen und verkaufte diese mit dem unveränderten Logo auf den Büchsen in aller Welt. Die Firma Bruns war ebenfalls wie das Kieswerk im Einzugsbereich der Kneipe Heringskopp ansässig. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma Bruns hatte die Idee mit der Kneipe, wählte einen griffigen Namen, damit er den Kontakt zur Fischverarbeitung nicht verlöre und investierte sein ganzes Geld in diese Kneipe. Bis heute gibt es hier etwas Leckeres zu essen und zwar die frischen Heringsbrötchen. An der Theke hängt eine kleine windschiefe Tafel von zwei Ketten gehalten, mit der Aufschrift: Frische Heringsbrötchen. Zusatz: Bitte beim Wirt anfragen, ob die Heringe auch wirklich frisch sind. Schon mancher Gast, der am Tresen gelangweilt in die Runde blickte, wunderte und fragte sich, wen sollte man denn außer dem Wirt hier in der Kneipe fragen? Es wagten auch Gäste den Wirt auf den Zusatz anzusprechen, der sagte aber immer: „Diese Frage hat einen sooo einen langen Bart“, dabei fasste er auf den nicht vorhandenen langen Bart an seinem Kinn und die Sache war erledigt. Die Gäste am Tresen kannten den verblüfften Blick des neuen Gastes und klärten ihn auf, dass es sich bei der Frage zur Frische des Herings um einen reinen Spaß des Wirtes handelte. Er wurde aber trotzdem immer wieder gefragt: „Ob der Hering auch wirklich ganz frisch sei?“ Zu Anfang hatte er noch immer freundlich geantwortet: „Ja natürlich, was denken Sie denn, ich verkaufe doch keine alte Ware.“ Dann hatte er irgendwann keine Lust mehr zu antworten. Der Wirt war eben kauzig und auch launisch. Die weitere Einrichtung der Kneipe war eher bescheiden und einfach, aber gemütlich und sauber. Das Publikum waren Arbeiter aus dem Kieswerk und der Fischfabrik, die man diese leicht aufgrund des Geruches am Tresen unterscheiden konnte. Keiner käme auf die Idee, nach der Arbeit nach Hause zu gehen, um geduscht und neu angezogen in die Kneipe zu kommen. Also kam man in seiner Arbeitskluft an den Tresen. Entweder mit grauem Kiesstaub im Gesicht oder mit Fischgeruch am Körper, es war sowieso egal, denn dort wurde geraucht und nach einiger Zeit gewöhnte sich auch eine fremde Nase an die Gerüche in der Kneipe.

      Lüneburg ist, wie bereits gesagt, schon lange eine Universitätsstadt. Die Studenten zahlen für ihre Bude nicht so viel wie in Berlin oder Hamburg und man braucht hier in der Stadt kein Auto. Man kann alles zu Fuß oder wenn man etwas weiter weg muss, leicht die Fahrten mit dem Fahrrad erledigen. Auch schlägt die Großstadthektik nicht so voll durch, man ist hier insgesamt gelassener. Hamburg ist ja schließlich ein Vorort von Lüneburg. Bremen und Hannover sind weit weg. Die Hochschullehrer wollen ja auch mal gerne auf den Swutsch, also mal ausgehen, und dort, wo ganzjährig die Touristen sind, will man sich ja auch nicht unbedingt an den Tresen zwängen. Hier würde man auch von seinen Studenten zu oft angesprochen. Man sucht sich schließlich eine Ecke aus, die nicht jeder kennt, und das war hier in dieser Kneipe der Fall. Natürlich und das war auch gut für den Umsatz, verirrten sich auch Touristen hierher. In der Woche war die Kneipe allerdings so ziemlich leer, man merkte auch hier, dass das Geld im Beutel nicht mehr ganz so klingelte wie früher. Aber am Freitag und Sonnabend bekam man am späteren Abend keinen Platz am Tresen, man musste schon bis Sonntag warten, da waren wieder die begehrten Plätze auf den Hockern frei.

      Der Wirt hieß Hubertus Mertens und kam aus Tirol, jenseits der Weißwurstgrenze. Die Liebe zur Seefahrt hatte ihn hier stranden lassen, obwohl einige Gäste meinten, er wäre über Helgoland nicht hinausgekommen. Wenn der Laden so richtig mit Gästen brummte, so kam es vor, dass die Gäste Hubertus baten, einmal zum Akkordeon zu greifen und als Tiroler Seemannslieder zum Besten zu geben. Hubertus war schon lange Witwer und wenn er neuen Gästen von seinen Abenteuern erzählte, saß still ein anderer Stammgast in der Ecke und meinte einmal: „Hubertus, das letzte Mal war in deiner Seemannsgeschichte im Kattegat von Sturmstärke zehn die Rede und jetzt erzählst du dieser jungen Landratte etwas von Windstärke vierzehn bis fünfzehn auf deinem Äppelkahn im Kattegat. Du weißt ja nicht einmal, wo das Kattegat liegt und es geht nur bis Windstärke zwölf nach der Beaufortskala, nach dem seligen Sir Francis Beaufort.“ Die junge Landratte wandte den Blick zum Zurufer und wollte etwas fragen. „Ja“, rief der Wirt dazwischen, der dankbar für die Hilfe war und das lenkte so wunderschön von seinen Seemannsgeschichten ab. „Es gab schon einmal mehr als zwölf Windstärken, du Klugschnaker, und wer hatte diese erfunden?“, rief der Wirt zum Zwischenrufer und bekam vor Ärger einen roten Kopf. Der Zwischenrufer zuckte nur mit den Schultern. Die Landratte aber erzählte weiter: „Das war der Ingenieur Smeaton. Es gab bis 1970 sogar siebzehn Stärken und dann wurde es auf bis zwölf, also Orkanstärke, begrenzt.“ Der Zwischenrufer war nicht so wie der Wirt verärgert, er freute sich immer, wenn er für sein Kreuzworträtsel etwas dazulernen konnte. Inzwischen verfolgten alle Gäste in der Kneipe das Gespräch und waren fasziniert. Der Arbeiter vom Kieswerk sagte zu seinem Knobelbruder aus der Fischfabrik am Tresen: „Na, das ist doch mal was anderes, als den ganzen Tag den Fisch in die Büchse zu löten oder nicht, du alter Fischkopp. Hier kann man was lernen.“ Die Mitarbeiter aus der Fischfabrik wurden immer als Fischköppe bezeichnet. Sie erwiderten aber, ihr seid alle nur Sandschipper. Der Wirt war zufrieden und fragte die Landratte: „Was machst du beruflich?“ „Bin Meteorologe auf Helgoland“, sagte er trocken und die Kneipe in Lüneburg bog sich vor Lachen, man konnte es bis auf die Straße hören.

      An dem Tresen im Heringskopp saß auch immer regelmäßig am Freitagabend Erna. Frauen waren entgegen einiger anderen Meinungen den Männern am Tresen durchaus willkommen. Erna betreute den Oberstudienrat Dr. Bertram Hoffmann, einen Pädagogen mittleren Alters, der nach seinen schrulligen Gewohnheiten, die wir ihm auch nicht