Günther Seiler

Die Balken biegen sich doch nicht


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Das könnte euch doch wieder zusammenbringen, als Türöffner sozusagen. Und ich könnte auch davon profitieren! Ich hätte in meinem Arbeitskreis ein Thema, nämlich euch und eure Konfliktlösung. Wenn ich Glück habe, wird dein Fall, euer Fall, sogar in einem Artikel in einer Fachzeitschrift erwähnt werden und ich bekomme von dem Professor eine gute Note.“ Hubertus stellte ihm das Bier hin und kratzte sich am Kinn: „Meinst du? Ich könnte ja einmal...., wo habe ich nur die Telefonnummer von Gudrun. Ach ja, in meinem alten Adressbuch.“ Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Kneipe ‚Zum Schauermann‘.

      Geschichte 3

      Gärwiete in Hitzacker

      Hitzacker mit knapp fünftausend Einwohnern in der Samtgemeinde Elbtalaue liegt an der Jeetzel, einem Nebenfluss der Elbe. Dieses malerische Städtchen im Wendland liegt an der Niedersächsischen Spargelstraße und der Deutschen Fachwerkstraße. Die Gastschenke in der Nähe des Marktplatzes in der Heinrich Dümpter Str.14, trug den Namen aus dem Kürzel der Wirtsleute Gärtner und Wietemann. Sie hatte den Namen ‚Gärwiete‘, nicht Twiete, wie manche meinten. Die gemütliche Schenke im hohen Norden ist im bayerischen Stil mit kleinen Fenstern und hübschen Gardinen ausgestattet. Monika Gärtner kam aber nicht aus Bayern, sondern aus der Nähe des Ortes Neu Kaliß, der schon in Mecklenburg-Vorpommern liegt. Wenn man nur etwas weiter bis Lenzen fuhr, war man schon in Brandenburg. Mit ihrem Lebenspartner Franz Wietemann, der aus Hitzacker kam, hatten sie ihren Lebenstraum, hier in Hitzacker eine bayerische Schenke zu eröffnen, realisiert. Beide liebten das gemütliche Bayern mit seinem Essen. Der jährliche Urlaub wurde auch immer in Bayern verbracht und für die Einrichtung ihrer Schenke wurden Dekorationsgegenstände mit heimgebracht und in der Schenke aufgebaut. Zum Oktoberfest wurde alles sehr festlich geschmückt und das Bier und die Schnäpse kamen selbstverständlich aus Bayern. Es gab aber, auf einen Protest der Hitzacker Gäste hin, auch hiesiges Bier, das sogar aus dem Bierhahn kam. Dazu musste die Theke um eine Zapfstelle erweitert werden. Was unternahm man nicht alles für seine Gäste, damit sie sich wohl fühlten. Auf den Regalen unterhalb der Decke standen wunderbare Bierkrüge mit handgemalten Motiven. Zur Adventszeit wurde eine große selbstgebaute Krippe mit handgeschnitzten Figuren aufgebaut und liebevoll dekoriert. Natürlich lief in der Musikanlage leise bayerische Musik. Einigen Gästen aus dem Ort gefiel das Ganze nicht und sie wechselten das Lokal.

      Durch Hitzacker führt auch die Oranjer Route. Diese zweitausendfünfhundert Kilometer lange Strecke beginnt in Amsterdam, führt über Bremen nach Schwerin, Berlin und schwenkt ab nach Mainz und wieder zurück nach Amsterdam. Es werden interessante Ortschaften und Städte mit Schlössern und Residenzen berührt, die in einer Beziehung mit den Niederlanden und der Krone stehen. So steht auch Hitzacker auf der Route. Diese Station hier führt zur Prinz Claus Gedächtnisbüste. Denn Prinz Claus von Amsberg wurde in Hitzacker geboren.

      Hätte ein Gast am Tresen den Wirtsleuten in der Kneipe Gärwiete folgendes erzählt: „Ist es möglich, dass ein an sich verwurzelter Bayer aus dem Bayerischen Wald seinen Wohnsitz nach Amsterdam verlegt, einen Wohnwagen mit gelbem Kennzeichen besitzt, der niederländischen Sprache fehlerlos geläufig ist und in Hitzacker strandet?“ Die Tresengäste würden sagen, im Prinzip ja, aber ansonsten unmöglich, ein doppelter Sechser im Lotto wäre häufiger. Aufgemerkt. Wie das Leben so mit uns Menschen nach Belieben Ping Pong spielt. Der Niederländer und früherer Bürger von Bayern, Korbinian Rufus Niedermüller mit seiner lieben Ehefrau Theresa Niedermüller, geborene van Riuterdam aus Katwjik aan Zee aus der Nähe der Stadt Leiden und nicht sehr weit von Amsterdam entfernt, waren mit ihrem großen Zugfahrzeug und einem langen Wohnwagen die Oranjer Route genau nach Plan ab Amsterdam abgefahren. Korbinian hatte seiner Frau diese Reise zum Hochzeitstag geschenkt. Er hatte seine charmante Frau auf einem Lehrgang einer großen deutschen Firma in München auf dem Oktoberfest kennengelernt und die Liebe zu ihr war groß. Er hatte ohne zu zögern sein Bayern aufgegeben und sich in den Niederlanden eine neue Stelle gesucht. Wie viele Niederländer hatte seine Frau nichts gegen die niederländische Krone und war stolz auf diese tolerante königliche Familie. Also hatte man beschlossen, auch das sehr schöne und sehenswerte Städtchen Hitzacker zu besuchen und die Gedächtnisbüste von Prinz Claus zu besichtigen. Es war von Korbinian bei der Routenplanung allerdings um eine Ausnahme gebeten worden. In München sollte in einigen Tagen das Oktoberfest beginnen. Und bei dem Gedanken war bei Korbinian Rufus eine kribbelige Unruhe aufgekommen. Man konnte auch sagen: ‚Der Ruf der Berge oder der Wiesn war bei ihm fast körperlich spürbar.‘ Sie hatten ihr Auto und den Wohnwagen voll gepackt und der niederländische Bauchwärmer in Schnapsform und der gute Käse durften nicht fehlen. Endlich ging es los. Die Tour war akribisch geplant und mit dem Finger waren sie schon in allen Ortschaften angelangt. Ein Reisebegleiter mit diversen Faltplänen der einzelnen wichtigen Stationen mit den Besichtigungszeiten war dabei und so waren sie an diesem Morgen früh aus Katwjik aan Zee abgefahren. Nach langer Autofahrt hatte sie das Unverhoffte getroffen. Korbinian Rufus war auf ein leises Geräusch beim Fahren aufmerksam geworden, das kontinuierlich lauter wurde und in einem Stakkato der Fahrgeräusche schließlich die Oberhand erreichte. Seine Frau war kurz von dem vorherigen gleichen Fahrgeräuschen eingeduselt und wurde nun von dem ungewohnten Klackern wach, blinzelte ihren Mann skeptisch von der Seite an und schloss die Augen wieder: „Lieber heiliger Patrick, du Schutzpatron der Wohnwagen, lass uns keine Panne bekommen, mein Mann hat Anfang des Jahres den Autoschutzbrief gekündigt.“ Korbinian Rufus blickte derweil angestrengt abwechselnd in die Rückspiegel und in den Innenspiegel und es sah schon recht komisch aus, wie dieses Mannsbild von einem bayerischen Niederländer, der etwas auf die Waage brachte, wie ein Vogel ruckartig nach den beiden Seiten erst die Rückspiegel und dann in den Innenspiegel schaute, so als könnten die Spiegel etwas dafür, was sie in dem schon abgefahrenen Abschnitt der Straße zeigen mussten. Es war schon erstaunlich, zu welchen Klacktönen in den verschiedensten Höhen und Tiefen und in einem wechselnden Rhythmus eine im Begriff sich zu lösende Karkasse eines Reifens fähig war. Als sich die ersten Reifenstücke der Karkasse aus dem Orchester still verabschiedeten, sah Korbinian Rufus in dem rechten Seitenspiegel das Malheur. Er bremste das Gespann gekonnt ab, damit sich der Wohnwagen nicht mit dem schönen ganzen Inhalt auf die Seite legte. Korbinian schwitzte, als er ausstieg und sich die Reifenbescherung ansah. Seine Frau stand daneben und sagte nichts mehr. Sie waren auf der Bundesstraße 216 kurz hinter Nadlitz mit dem Waldmuseum und dem schönen Jagdschloss. Eigentlich hatten sie bei Metzingen in Richtung Hitzacker abbiegen wollen und wären an dem Dörfchen Kamerun vorbeikommen, wenn nicht hier, auf der B 216, ihr Gespann eine schöne Gummispur hinterlassen hätte. Ein freundlicher Autofahrer bot seine Hilfe an. Korbinian Rufus bat um die Telefonnummer einer Werkstatt für Wohnwagen in Hitzacker, die es dort etwas außerhalb der Ortschaft gab, und rief dort an.

      An diesem Tag war es in der Vertretung für Wohnmobile, Wohnwagen und Campingzubehör aller Art eher ruhig bis bedächtig. Kurz und gut, es war nichts los. Die Firma Camping Döhring hatte allerdings in der Saison genug zu tun. Denn wenn die Touristen wie Honigbienen auf den Stell- und Campingplätzen in der Gegend unterwegs waren, brummte es auch im Laden und in der Werkstatt. Der Verkäufer, Mark Zinner, der einzige, der immer schnieke im Anzug und mit Krawatte in der Firma war, saß an seinem Schreibtisch. Der Meister und Inhaber Heribert Döhring starrte in seine Kaffeetasse. Seine Frau hatte ihm heute Morgen ordentlich den Marsch geblasen und er war von dem schrillen Redeschwall noch halbbetäubt. Ab und zu rieb er sich mit der offenen Handfläche das rechte Ohr, so, als wenn man mit einem Sauggummi einen Abfluss freibekommen wollte. Dabei schluckte er heftig, hielt sich die Nase zu und versuchte durch Schnaufen den Druck aus den Gehörgängen zu bekommen. Es ergab den Eindruck, als würde ein wütender Elch vor einem Artgenossen stehen, der ihm die Herde streitig machen wollte. Mark Zinner kannte diese Unarten seinen Chefs. Nur als einmal ein Kunde in der Nähe war und irritiert aufgrund der Brunftgeräusche um die Ecke des Büros schaute, fragte der Verkäufer später seinen Chef, ob er seine Gehörgangsakrobatik nicht in der lärmenden Werkstatt veranstalten könne, am besten dann, wenn die Monteure mit der Trennscheibe Metallteile bearbeiteten. Denn dort würden seine Geräusche untergehen. Mark Zinner fand sich richtig mutig und die Kollegen, denen er davon berichtet hatte, bogen sich vor Lachen. Sein Chef hatte diese Schnauf- und Röhrarie, seit er vor zwei Jahren von einem Fernflug aus Südafrika zurückkam und das Flugzeug in eine Turbulenz mit anschließendem Luftloch geriet. Bei den