K. R. Jaylin

Todestanz


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      Leonard erblühte förmlich in der neu gewonnenen Freiheit außerhalb seines Zimmers; er konnte sich von da an besser auf den Unterricht konzentrieren, wurde zusehends selbstbewusster und neugieriger. Eleonore beobachtete mit sorgenvoller Miene, wie ihr Sohn im Schloss und in den Gärten umhertollte, und wartete unentwegt auf ein Unheil, doch es ereilte sie anders, als sie es erwartet hatte. Vermehrt erreichten sie in den kommenden Monaten Mitteilungen über tragische Unfälle mit Todesfolge, welche ihrer Familie widerfuhren. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass dies kein Zufall sein konnte und verzweifelt wachte sie weiter im Hintergrund über ihren Sohn und ihren Mann, denn sie waren alles, was ihrem Leben Bedeutung gab.

      Doch es vergingen 2 weitere Jahre voller Todesfälle, in denen Leonard wohlbehütet aufwuchs. Eines Morgens im August war er früh aufgestanden, um zuzusehen, wie die Pferde für die Jagd vorbereitet wurden. Er liebte Tiere sehr und fühlte sich ihnen stark verbunden. Denn da Eleonore ihren mittlerweile sechsjährigen Sohn noch immer kaum aus den Augen ließ, hatte Leonard keine Freunde; die Tatsache, dass er der Kronprinz war, trieb das Kind nur noch weiter in die Isolation. So widmete er sich seinen vierbeinigen Freunden, auch wenn die Königin es nicht gern sah, wenn er zu den Ställen ging. Sie pflegte dann stets zu sagen:

      „Die Stallburschen sind kein Umgang für dich.“

      Also schlich sich der kleine Prinz heimlich fort, so wie auch an diesem Morgen. Er hatte keinerlei Angst vor den großen Tieren und streichelte sehnsüchtig die Nüstern eines jungen schwarzen Hengstes.

      „Ich wünschte, ich könnte dich auch reiten so wie Vater.“

      Der König hatte zwar angeordnet, dass Leonard das Reiten beigebracht werden solle, doch wieder einmal hatte die Königin sich durchgesetzt - nur allzu deutlich war ihr bewusst, welche Möglichkeiten sich dem Tod bieten würden, sollte Leonard erst einmal auf dem Rücken eines Pferdes sitzen. Wieder hatte es eine heftige Auseinandersetzung gegeben, bis der König ihr entgegengekommen war: Leonards Reitausbildung sollte warten, bis er 10 Jahre alt war. Bedrückt sah dieser nun zu, wie die stolzen Tiere an ihm vorbei in den Hof geführt wurden, und machte sich widerwillig auf den Weg zurück zum Schloss.

      Da ertönte mit einem Mal ein schriller Schrei und der Junge wirbelte herum, als ein lautes Wiehern zu hören war. Er sah den Reiter einer weißen Stute reglos am Boden liegen, während das Tier wild auf ihn zu stürmte. Wie versteinert starrte Leonard ihm entgegen, da legte sich mit einem Mal eine Hand auf seine Schulter. Verwirrt sah er auf und erblickte einen ihm fremden Mann neben sich, dessen Blick fest auf das rasende Tier gerichtet war und der langsam die rechte Hand hob. Das Pferd wurde langsamer und blieb stehen, ehe es den Prinzen niedertrampeln konnte. Überrascht blinzelte der Junge und merkte nun, dass auch die anderen Menschen sich nicht mehr rührten; sie waren in äußerst seltsamer Körperhaltung scheinbar erstarrt. Als er den Blick umherschweifen ließ, erkannte er, dass eigentlich alles um sie herum still war. Fragend sah er auf den Mann, der sich nun auf Augenhöhe mit ihm begab und leise sagte:

      „Du musst vorsichtiger sein, Leonard. Sonst waren all die Bemühungen deiner Mutter vergebens.“

      Verblüfft starrte Leonard ihn an.

      „Woher weißt du das? Wer bist du?“

      Der Mann lächelte, während sein blondes Haar im Licht der Sonne golden glänzte. Leonard fand es sonderlich, dass der Mann an einem warmen Morgen wie diesem so dunkel angezogen war; er trug sogar schwarze Handschuhe. Mit sanfter Stimme beantwortete er nun die Fragen des Jungen.

      „Ich bin ein Freund, der über dich wacht. Doch wenn du nicht für den Rest deines Lebens von der Königin eingesperrt werden willst, solltest du ihr besser nichts von unserer Begegnung verraten.“

      Neugierig neigte Leonard den Kopf zur Seite.

      „Warum? Mag sie dich nicht?“

      Das Lächeln vertiefte sich.

      „Sagen wir, sie geht mir lieber aus dem Weg. Sie würde sagen, dass ich kein Umgang für dich bin.“

      Als er dies hörte, empfand Leonard augenblicklich ein aufkeimendes Gefühl der Zuneigung für den Mann.

      „Ach, das sagt sie zu jedem. Darum bin ich auch immer allein …“

      Der Fremde hob die Hand und streichelte ihm tröstend übers Haar.

      „Ich weiß, und deshalb habe ich auch ein Auge auf dich, wann immer es mir möglich ist. Wenn du mich brauchst, rufe einfach nach mir; ich werde zu dir kommen.“

      Damit erhob er sich wieder und aus einem Impuls heraus griff Leonard nach seiner Hand. Er wollte nicht, dass der Fremde ging.

      „Warte! Bleib doch da!“

      Der Mann sah auf ihn hinab und erwiderte ruhig:

      „Hab keine Angst, ich bleibe dir nah.“

      Und mit einem seltsamen Funkeln in den Augen fügte er hinzu:

      „Das verspreche ich dir.“

      Mit diesen Worten zog er das Kind in seine Umarmung und hob erneut die rechte Hand, woraufhin die Welt offensichtlich wieder zum Leben erwachte. Leonard schrak zusammen, als das Pferd mit unglaublicher Geschwindigkeit an ihnen vorbeidonnerte und sein Herz raste wie verrückt. Die Hände des Fremden ruhten an den Oberarmen des Jungen und in dem Moment fiel diesem ein schwerer Silberring mit einem funkelnd schwarzen Stein auf, welcher an der behandschuhten linken Hand des Mannes steckte.

      „Was ist das für ein Ring?“

      Langsam zog der Mann seine Hände zurück und antwortete schlicht:

      „Er ist ein Glücksbringer.“

      Interessiert wandte Leonard sich zu ihm um.

      „Und von wem hast du ihn bekommen?“

      Da lachte der Fremde.

      „Das waren genug Fragen für heute, mein Lieber. Sei ein braver Junge und kehre nun in den Palast zurück. Und denke immer daran: wenn du mich brauchst, komme ich zu dir.“

      Und ehe Leonard auch nur geblinzelt hatte, war der Mann zwischen den nahen Bäumen spurlos verschwunden.

      2. Kapitel - Er ist, wie ich ihn haben will (15 Jahre später)

      „Zum Teufel noch mal, was soll schon wieder dieser Aufruhr?“

      Zornig kam König Albert am frühen Nachmittag in die Gemächer seines Sohnes gestürmt, wo er in einen hitzigen Streit zwischen Eleonore und Leonard geriet.

      „Da siehst du, was du angerichtet hast!“

      Kaum hatte er den Raum betreten, stürzte die Königin sich auch schon auf ihn.

      „Deinetwegen hat er nur leichtsinnige Dinge im Kopf, weil du ihn stets dazu ermutigt hast, all seinen Neigungen nachzugehen!“

      Wütend entfuhr dem Prinzen:

      „Das ist eine vollkommen überzogene Reaktion, Mama! Ich will nur einen Ausritt machen!“

      Sie drehte sich aufgebracht zu ihm herum.

      „Und? Denkst du, der Rücken eines Pferdes wäre sicher? Mein Bruder war ein exzellenter Reiter, und wie endete sein Leben? Bei einem Reitunfall!“

      Albert seufzte in sich hinein. Er wusste, es war aussichtslos, seine Frau beruhigen zu wollen. In den vergangenen 20 Jahren war ihre Familie aufgrund vieler mysteriöser Unfälle beinahe völlig ausgelöscht worden, weshalb er ihre Erregung verstehen konnte. Jedoch war ihr Sohn inzwischen 21 und kein Kind mehr; sie konnte ihn nicht länger wegsperren, wenngleich auch ihm nicht behagte, wie sorglos der junge Mann mit seinem Leben umging. Doch in diesem Fall konnte er nicht verlangen, dass der Prinz den Anweisungen seiner Mutter folgte. So sagte er mit ernster Stimme:

      „Ich denke, es gibt nichts, was wir dazu sagen können, Eleonore. Er ist ein erwachsener Mann und trifft seine Entscheidungen selbst.“

      Sie erblasste.

      „So